Mittwoch, 23. November 2011

1 €-Krimi

Meine Frau hatte mir aus einem Räumungsverkauf in der Bonner Fußgängerzone einen Kriminalroman mitgebracht; bei der Räumung waren nur noch kümmerliche Restposten übrig geblieben; 1 € kostete der Kriminalroman.


Der Kriminalroman spielt in Havanna. Die Lösung des Falls und die Suche nach dem Mörder habe ich beim ersten Lesen nicht verstanden, weil der Roman permanent überladen ist mit lauter Abscheulichkeiten, Hässlichkeiten und Brutalitäten. Der Roman beginnt mit einer Szene, dass ein Grab geöffnet wird, in dem drei Leichen voller Maden und Insekten nur so wimmeln und der Leichengestank alles überlagert. Die Brutalitäten setzen sich fort, wie gemordet wird: ein Mordopfer wird mit einem Buschmesser zerlegt, die Knochen frisst anschließend der Hund; einem anderen Mordopfer wird die Kehle durchgeschnitten, zusätzlich die Zunge abgeschnitten, die dann mittels einer Stecknadel auf die Brust geheftet wird.


Beim zweiten Lesen habe ich festgestellt, dass die Lösung des Falls eigentlich einfach ist. Der frühere Mafia-Boss Alex Varga, der den Fall recherchiert, besitzt eine leere Grabstätte, die außer ihm niemand kennt. Dort werden drei Leichen gefunden. Dank seiner früheren Kontakte recherchiert er in der Drogen- und Prostituiertenszene und wird fündig: ein Spanier und ein Gehilfe mit seiner Schwester vertreiben Drogen in die USA. Als sie ihre Abnehmer mit gestreckten Drogen von schlechterer Qualität betrogen haben, werden sie von Hintermännern ihrer Abnehmer ermordet. 


Trotz – oder vielleicht gerade wegen – all der Abscheulichkeiten, Hässlichkeiten und Brutalitäten ist die Sprache griffig und anschaulich. Die Sprache gleitet zwar allzu oft in eine milieubehaftete Fäkaliensprache ab, doch insgesamt ist sie authentisch, dicht, intensiv; der Roman ist kurzweilig und gut zu lesen.

Im Vorwort betont Amir Valle, dass der Kriminalroman auf wahren Begebenheiten beruht. Und das ist das eigentlich schlimme, dass die Zustände in Kuba – insbesondere in Havanna – katastrophal sind. Er beschreibt, dass Häuser einstürzen, weil Geld zum Renovieren fehlt und dass Menschen unter diesen eingestürzten Häusern begraben werden. Straßen sind zu einem großen Teil unpassierbar, weil sie voller unreparierter Schlaglöcher sind. In den Gefängnissen bricht die Wasserversorgung immer wieder zusammen, so dass die sanitären Anlagen eine einzige Kloake sind. Er beschreibt, dass Drogenhandel und Prostitution der einzige nennenswerte Wirtschaftsfaktor sind, weil es ansonsten keine überlebensfähigen Industrien gibt. Amir Valle beschreibt zudem – unabhängig von der Lösung seines Falls – innerhalb der Drogen- und Prostituiertenszene eine Vielzahl von Morden, die ich nicht gewagt habe zu zählen. 


Beim Lesen des Romans ist mir bewusst geworden, dass der Quantensprung in die Karibik mit der Nischenexistenz von Kuba nicht meine Welt ist. Bei Kriminalromanen bin ich bodenständiger, etwa bei Jacques Berndorf in der Eifel oder bei Henning Mankell in Schweden. Valle hat dieses Buch 2003 geschrieben. Ich kann nicht beurteilen, inwieweit sich seitdem der Kubas Steinzeit-Kommunismus geöffnet hat und der Bevölkerung vielleicht Perspektiven geboten werden können.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen