Freitag, 25. Mai 2012

Marguerite Yourcenar - Die schwarze Flamme

Brügge im 16. Jahrhundert. Die Hansestadt in Flandern ist der Ort des Geschehens, als ein Arzt nach 30 Jahren Reisetätigkeit an den Ort seiner Jugend zurückkehrt. Brügge – eine der romantischsten Städte, die ich kenne, hatte mich auf diesen Roman neugierig gemacht. Grachten, Kanäle, Häuser aus rostbraunem Backstein, Treppengiebel – dies alles sollte ich in dem Roman vermissen. Das war nicht schlimm, denn die Handlung wurde zum Monument.

Es war eine Neuheit für mich, einen historischen Roman zu lesen. Literatur über Geschichte hatte ich vor längerer Zeit verschlungen – Biografien oder Einzelthemen – Weltkriege, Aufklärung oder Römerzeit, aber noch keinen historischen Roman.

Es hat sich gelohnt. „Die schwarze Flamme“ ist ein gewaltiges Werk, in dem sowohl geschichtliche Ereignisse wie Persönlichkeiten der Renaissance zusammengefügt werden. Hierdurch entsteht ein sehr dichtes Bild der Renaissance – welche Weltanschauungen geherrscht haben, wie die Menschen gelebt haben, welche Bewegungen quer durch Europa gegangen sind.

Dabei klingt es unglaublich, dass Yourcenar rund 40 Jahre an diesem Roman geschrieben hat. Als sie Anfang 20 war, hatte sie einen Entwurf von 40 Seiten geschrieben, der sich in dem ersten Teil wiederfindet. 1935 erschien eine Erzählung zu demselben Thema, die sie später in ihren Roman integrierte. In den 50er Jahren fügte Yourcenar einzelne Kapitel des ersten Teils hinzu. Sie vollendete ihren Roman zwischen 1962 und 1965. „Die schwarze Flamme“ kann somit als eine Art Lebenswerk betrachtet werden, welches die Autorin über viele Lebensabschnitte hinweg begleitet hat.

Marguerite Yourcenar (1903-1987) stammt ursprünglich aus Brüssel. Mit Beginn des 2. Weltkrieges emigrierte sie in die USA, sie ließ sich dort dauerhaft nieder und nahm die amerikanische Staatsbürgerschaft an. Neben ihrer Tätigkeit am Lehrstuhl für französische Literatuwissenschaften in New York veröffentlichte sie mehrere Romane, Erzählungen und Gedichte, wovon die historischen Romane „Die Wölfin“ und „Die schwarze Flamme“ am bekanntesten waren. Sie erhielt verschiedene Literaturpreise und wurde 1981 als erste Frau in die „académie francaise“ aufgenommen.

Begegnungen ziehen sich als roter Faden durch den Roman. Zenon, die Hauptfigur, begegnet wesentliche Persönlichkeiten des 15. Jahrhunderts, die die maßgeblichen Einflüsse der Renaissance beschreiben. Zenon wird 1510 in Brügge als uneheliches Kind geboren. Sein Vater, ein Amtsträger der Kirche, wird einige Jahre später in Rom ermordet. Seine Mutter begeht den folgenschweren Fehler, sich nach Münster zu begeben, wo sich die Stadt der Reformationsbewegung nach dem Vorbild des Calvinismus in den Niederlanden geöffnet hat. Diese Form des Protestantismus geht der deutschen Reformationsbewegung zu weit. Daher dringen Truppen aus den umliegenden Fürstentümern in Münster ein und begehen ein Massaker an der Bevölkerung. Dabei wird Zenons Mutter hingerichtet. Aber bereits vorher – bei der calvinistischen Reformationsbewegung – werden religiöse Exzesse beschrieben, dass beispielsweise Menschen, die den Müßiggang pflegen und nichts tun, hingerichtet werden, weil dies nicht der religiösen Weltanschauung entspricht.

Zenons Vetter ist Sohn eines Bankiergeschlechtes. Handel, Kapital, Geldflüsse, Warenflüsse, Manufakturen blühen in der Renaissance auf. Die Bankiers verkehren zwischen den Fürsten in illustren Kreisen, wobei ihr geistiges Potenzial mittelmäßig ist und ausschließlich die Höhe des Geldkapitals entscheidend ist.

Zenon selbst sucht seinen eigenen Weg, unabhängig von seinen Eltern. Schon als Jugendlicher zeigt er eine enorme Strebsamkeit nach Wissen, welches ihm sein Onkel – der Dompropst in Brügge ist – vermittelt. Das ist vor allem die Philosophie: diese Wissenschaft verleiht im die Basis seines Wissens, und in der Renaissance koppeln sich eigenständige Disziplinen von der Philosophie ab, namentlich die Naturwissenschaften und die Medizin. Zenon verkörpert eine Dreiereinheit der Wissenschaften: Philosophie, Alchimie und Medizin.

Um seinen Wissensdurst zu stillen, geht Zenon auf Wanderschaft – quer durch Europa. Fiktiv konstruiert oder historisch belegt – so erzählt Yourcenar die Episoden während der Wanderschaft. Zenon stößt auf Bankiers, er erlebt einen Aufstand in einer Weber-Manufaktur, wo man sich gegen die miserablen Arbeitsbedingungen wehrt, er durchlebt die Pest. Die Pest hat ihn vielleicht am nachhaltigsten geprägt, denn er versteht seinen Beruf als Arzt – er will anderen Menschen helfen, unabhängig von deren Anschauung, Status, Beruf oder sonst was. Seine Reisen führen ihn bis in den Orient hinein und fast bis ans Nordkap. Von sexuellen Ausschweifungen, bei denen vor allem Geistliche ein schlechtes Bild abgeben, hält Zenon nicht allzu viel – mit Ausnahme von Schweden, wo er seine wahre Liebe kennen lernte, aber wegen der Wanderschaft wieder verlassen musste.

Als Philosoph, Alchimist und Arzt verfasst er Schriften, in die die treibenden Kräfte der Renaissance einfliessen: ein Weltbild, das die Naturwissenschaften neu begründet, Alchimie, um neue Materie aus bereits vorhandener Materie zu schaffen, ein Katholizismus, dessen Gott-zentriertes Weltbild revidiert werden muss. Das soll ihm später zum Verhängnis werden.

Nach 30jähriger Wanderschaft müde geworden, beschließt er, in Brügge sesshaft zu werden. Dort ist er als Arzt in einem Hospiz tätig. Bis ihn ein Vorfall den Boden unter den Füßen wegreisst: einem Protestanten, der ansonsten verblutet wäre, rettet er in Brügge in den katholischen Niederlanden durch seine ärztliche Hilfe das Leben. Zenon steht zu seinem Verhalten, und aus seiner Umgebung erhält er Ratschläge, Brügge besser zu verlassen. Er ignoriert diese Ratschläge, und gemeinsam mit seinen veröffentlichen Schriften, die weithin bekannt sind, wird ihm der Prozess gemacht.

Flandern gehört im 16. Jahrhundert zu Spanien, das rege von der Inquisition Gebrauch macht. In diesem Umfeld bergen die Schriften Zenons, eine Unendlichkeit des Weltraums zu postulieren oder von einem geozentrischen Weltbild auszugehen, ein inquisitorisches Potenzial. In dem Prozess muss Zenon den kirchlichen Grundsätzen Rede und Antwort stehen. Zenon wird zum Tode verurteilt, wobei er seiner Hinrichtung durch seinen Selbstmord zuvor kommt. Yourcenar hat sich bei dem Prozess an Giordano Bruno angelehnt, der im Jahr 1600 wegen seines gegenläufigen Weltbildes von der Kirche in Rom hingerichtet worden ist.

Als ich den Roman zu Ende gelesen hatte, war ich geradezu hingerissen. Yourcenar ist es gelungen, die sehr vielschichtigen Einflüsse in der Renaissance zu einem Ganzen zusammenzufügen. Ihre Sprache ist verständlich, die einzelnen Episoden schildert sie kurzweilig, sie sind mitten aus dem Alltagsleben in der Renaissance heraus gegriffen, der Leser muss kaum geschichtliche Vorkenntnisse mitbringen, die Autorin bewegt sich auf Augenhöhe mit dem Leser. Bei der Komplexität des Themas ist dies ein sehr großer Wurf. Zusammenfassend, war ich entsetzt darüber, wieviel Unheil die Religion den Menschen in Europa gebracht hatte.

„Die schwarze Flamme“ war 1968 veröffentlicht worden und avancierte danach in Frankreich zum Bestseller. „L’oeuvre au noir“ – so hieß der französische Originaltitel -, war sogar 1988 unter der Regie von André Delvaux verfilmt worden – ich habe allerdings nicht rechercheiren könne, ob der Film ins Deutsche übersetzt worden ist.

Bislang gibt es bei mir einen Roman, den muss ich alle paar Jahre lesen – das ist „Die Pest“ von Albert Camus. Nun kommt wahrscheinlich Yourcenar mit „Die schwarze Flamme“ dazu.

4 Kommentare:

  1. Ik ben zeer blij dat het boek in je smaak gevallen is, Dieter. Het is inderdaad een zeer mooi, filosofisch geschraagd werk. Misschien zou ook Yourcenars "autobiografie" van keizer Hadrianus je bevallen? Mémoires d'Hadrien, oorspronkelijke titel.

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  2. ein gewaltiges Buch die Pest aber hoch intressant wie es damals zu ging .. intressant dein Posting mit diesem Buch schwarze Flammen doch das ist mir viel zu schwer zu lesen, früher habe ich so was gelesen.. mein eigenes inneres Buch war sehr schwer zu schreiben deswegen jetzt was leichteres flockiges!
    Viel Spannende Momente beim Buch lesen!
    Schöne Pfingsten wünsche ich dir!
    Lieben Gruss Elke

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    1. Bei mir muss es momentan auch eher leicht und flockig sein.
      Wie ein Kurzurlaub vom Alltag,in dem man schnell eintauchen kann.
      Hab hier noch einige Bücher,die auf Aufmerksamkeit warten...mal schauen wann ich dazu komme.

      Herzliche Grüße und danke für diese tolle Buchbeschreibung,
      Line

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  3. Vielen Dank Dieter, mich hast du inspiriert...beim nächsten Bücherladenbesuch stehen beide Bücher auf meiner Liste. Bei historischen Romanen bin ich immer vorsichtig...von diesen Büchern gibt es inzwischen ein Überangebot auf dem Markt oftmals mit etwas kitschiger Handlung....doch jetzt hast du mich mit deiner Beschreibung des Buches neugierig gemacht!
    ♥lichst Zaunwinde

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