Mittwoch, 31. Oktober 2012

Glockentürme (5) - Glockenspiel in Bonn-Bad Godesberg


Dass Nova’s Glockenturmprojekt so viele Ideen erzeugen würde, hätte sie wahrscheinlich nie für möglich gehalten. Angelika, Nova und ich, wir haben mittlerweile mehrer Posts zu diesem Thema geschrieben.

Verknüpfend mit meinem heutigen Post, habe ich zurückgeblickt auf all die schönen Glockentürme. Begriffe und Strukturen habe ich entworfen, worüber diese Posts geschrieben worden sind. Diese führen dann mitten hinein in meinen heutigen Post.

Nova und Angelika zeigen Glockentürme, die gleichzeitig Kirchtürme sind, wobei in Nova’s Glockentürmen auf Teneriffa die Glocken von außen zu sehen sind. In Angelika’s Glockentürmen aus dem Rheinland (Ausnahme Glockenturm Nr. 3) sind die Glocken – wahrscheinlich - in einer eigenen Glockenstube innerhalb des Kirchturms untergebracht und von außen nicht zu sehen.

In meinem zweiten Post über Glockentürme hatte ich die Bedeutung von Glockenspielen erwähnt, die in Belgien und Nordfrankreich zu Rathäusern gehören. Eine Stadtglocke strukturierte die Zeit und gab das Signal zum Öffnen und Schließen der Stadttore, markierte Anfang und Ende der Arbeitszeit oder läutete zu Festivitäten. In diesen Glockentürmen in Belgien und Nordfrankreich befinden sich heute Carillons bzw. Glockenspiele. Auch in Deutschland sind vielerorts in Kirchen oder Rathäusern Glockenspiele zu hören.

Der Bau von Glockenspielen bzw. Carillons ist eine Handwerkskunst, die im 17. Jahrhundert in den Niederlanden entwickelt wurde. Der Glockenspieler bzw. Carilloneur war ein eigener Beruf, der erlernt werden musste. Um als Glockenspiel zu gelten, musste der Carilloneur über mindestens zwei Oktaven das Glockenspiel spielen können. Dazu benötigt das Glockenspiel mindestens 23 Glocken.

Anläßlich der Bundesgartenschau 1979 in Bonn hatten die Organisatoren die Idee, ein Glockenspiel nach der Tradition der Carillons nachbauen zu lassen. Der Bau geschah in den Niederlanden, da dort diese Tradition besonders verwurzelt ist. Dieses Glockenspiel hat genau 23 Glocken, um als Glockenspiel zu zählen. Gebaut wurde die Metallkonstruktion mit den herunterhängenden Glocken – ohne Glockenturm oder Glockenstube. Bei der Bundesgartenschau war das Glockenspiel eine der maßgeblichen Attraktionen und ein niederländischer Carilloneur spielte während der Öffnungszeiten.

Als die Bundesgartenschau beendet war, fand das Glockenspiel einen Platz im Stadtpark von Bad Godesberg. Die Bundesgartenschau liegt mittlerweile mehr als dreißig Jahre zurück. Danach ist auf dem Glockenspiel weder gespielt worden, noch überhaupt etwas gemacht worden. Es ist schlichtweg vergessen worden. Rost hat sich zwischen den Metallteilen gebildet. In der Glasabdeckung sind Öffnungen eingelassen, da Tasten, Klöppel und Züge die Zufuhr von Luft brauchen. Somit dringt Regenwasser ein. Wahrscheinlich ist das Glockenspiel erst nach einer gründlichen Sanierung wieder bespielbar.

Dafür fehlt in der Stadtkasse – natürlich – über Jahrzehnte hinweg das Geld. Die Stadt Bonn hat zwar Geld, beispielsweise Straßenbahnhaltestellen in einer architektonisch aufgehübschten Form neu zu bauen, obschon die alten Straßenbahnstellen ihrem Zweck vollkommen genügen. Das ist so wie in anderen Städten: so etwas wird de-priorisiert, es fehlt sogar dasGeld, um die scheußlichen Schmierereien am Betonsockel zu entfernen.

Im Zusammenhang mit einem Pavillon hatte ich in Nova’s Blog zuletzt gelesen, dass die spanische Mentalität, Bausubstanz zu erhalten, grundlegend anders ist als in Deutschland. Dies muss ich revidieren: Zerfall macht sich auch in Deutschland breit. Und dies an Stellen, wo es durchaus weh tut.

Dienstag, 30. Oktober 2012

das Haus vom Lehrer Welsch

In die Tiefen der Mathematik gelangt man nicht über Euklid, Aristoteles, Pythagoras, den Arabern, Euler, Lagrange oder Gaus. Schon Aristoteles hatte sich an der Mathematik die Zähne ausgebissen: die Dinge sind mit ihrer Gestalt unterschiedlich, also kann Eins nicht gleich Eins sein. Wenn man eine Herde von zwanzig Ziegen zusammenzählen will, kann man überhaupt 1+1 rechnen ? Schließlich stehen weiße, gefleckte, bärtige, schwarze, gehörnte Ziegen usw. auf der Weide. Genauso schwer tat sich der französische Mathematiker und Philosoph Descartes, ein richtiges Verständnis der Mathematik herzustellen: bevor man mit dem Zählen beginnen kann, müssen Definitionen und Prinzipen geklärt werden, was überhaupt zu zählen ist. Voller Skepsis fasste er zusammen: alles, was lediglich wahrscheinlich ist, ist wahrscheinlich falsch.


Die Wurzeln des allumfassenden Gesetzes in der Mathematik findet man nicht bei den großen Mathematikern, sondern in Grafschaft-Arzdorf. Und zwar in einem hübsch heraus geputzten Fachwerkhaus mit rotem Gebälk. Von Wachtberg aus kommend, neigt sich die Straße eine Senke hinab. Hinter Apfelbäumen, die den Berg hinab fallen, taucht linkerhand der Pferdehof Welsch auf. Hinter einer sanften Kurve steht das Geburtshaus des Lehrers Welsch, zu dessen Lied alljährlich zu Karnevalszeiten kräftig geschunkelt, gesungen und getanzt wird.

Aristoteles wäre sicher vor Neid erblasst, denn der Lehrer Welsch war tausendmal schlauer als sämtliche Mathematiker zusammen und hat den finalen Beweis in der Mathematik erbracht:

0 + 0 + 0 = 0

Wer will diese Berechnung widerlegen ?

Heinrich Welsch wurde 1848 in diesem Haus in der Grafschaft südwestlich von Bonn geboren. Am königlich-preußischen Lehrerseminar in Brühl wurde er zum Lehrer ausgebildet. 1877 wurde er in den preußischen Schuldienst in Köln übernommen.

0 + 0 + 0 = 0 (oder „Dreimol Null es Null bliev Null“), damit schuf Lehrer Welsch seine eigene Sprache, um seine Schüler – entsprechend ihrem Bildungsniveau - zu unterrichten. Die Schule, an der er unterrichtete, lag im Stadtteil Kalk, der während der Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts boomte. Zwischen den Fabriken in Köln-Kalk lernte er Armut, Proletarisierung, miserable Arbeitsbedingungen, katastrophale Wohnbedingungen und insbesondere den verwahrlosten Zustand von Kindern in der Schule kennen.

1905 gründete er die erste Hilfsschule. Er wurde zum Rektor, er kümmerte sich um seine Schüler und deren soziale Situation. In den Folgejahren wurden in den Arbeitervierteln Kölns weitere Hilfsschulen gegründet.

Dass der Lehrer Welsch unsterblich wurde und Eingang in den Kölner Karneval fand, hat er einem Zufall zu verdanken. Die drei „Laachduuve“ (Willi Herkenrath, Hermann Kläser und Heinz Jung) wollten in der Karnevalssession 1937/38 – der Lehrer Welsch war 1935 übrigens verstorben – ein Karnevalslied über einen Lehrer schreiben, der aus einem typisch Kölner Stadtviertel stammte. Bei der Komposition des Liedes kam ihnen der Einfall, dass sich „Welsch“ auf „Kölsch“ reimt. Man mag vielleicht kurz nachdenken, ob dies tatsächlich so ist – aber der Kölner nimmt vieles nicht so genau.

Geschummelt wurde auch beim Titel des Karnevalsliedes „En d’r Kayjass Nummer Null“. Bis 1917 war er Rektor an der Hilfsschule in Köln-Kalk gewesen. Die Kaygasse liegt aber linkrheinisch, auf der gegenüberliegenden Rheinseite gar nicht so weit weg vom Dom. Dort lag eine weitere Hilfsschule, und die drei Laachduuve rechneten dies der Einfachheit halber seinem Verdienst zu.

Bis heute ist das Lied vom Lehrer Welsch eines der populärsten Karnevalslieder:

En d'r Kaygaß Nummer Null steiht en steinahl Schull
Und do han mer drin studeet.
Unsre Lehrer dä heeß Welsch
Sproch en unverfälschtes Kölsch,
un do han mer bei jeleert.
Un mer han off hin und her üvverlaht,
un han vür de Lehrer jesa - a - aht

Nä nä dat
wesse mer nit mih, janz bestemp nit mih,
denn dat hammer nit studeert.
Denn mer woren beim Lehrer Welsch en d'r Klaß
un do hammer su jet nit jeleert.
Dreimol Null es Null bliev Null,
denn mer woren en d'r Kaygaß en d'r Schu - u - ull
Dreimol Null es Null bliev Null
denn mer woren en d'r Kaygaß en d'r Schull.

Es besteht kein Zweifel: die Unumstößlichkeit dieser Hypothese ist nicht von der Hand zu weisen:

0 + 0 + 0 = 0

Vielleicht findet der Lehrer Welsch irgendwann Eingang in eine „Hall of Fame“ der größten Mathematiker.

Montag, 29. Oktober 2012

Wochenrückblick #43


Health Award
Die ersten vier Wochen sind nun vorbei, dass alle sportlichen Aktivitäten erfasst werden und in Kilokalorien umgerechnet werden. In unserer Abteilung nehmen insgesamt 20 Arbeitskollegen an diesem„Gesundheits-Preis“ teil. Die Sieger-Teams sollen mit einem Überraschungs-Event belohnt werden sowie mit Geldbeträgen, die an einen sozialen Zweck gespendet werden sollen. Als Radsportbegeisterter bin ich alleine auf weiter Flur. Die meisten halten sich in Fitness-Studios fit, es sind aber auch einige Jogger oder Halbmarathon-Läufer dabei. Die Teilnehmer sollen ein Tagebuch führen und dies durch Fotos dokumentieren. Dadurch hat sich beim Fotografieren der Blickwinkel verschoben: ich fotografiere nicht mehr das, was ein interessantes Thema für einen Blog hergibt, sondern durch Ortsschilder, Hinweisschilder oder sonst wie mitsamt Fahrrad eindeutig zuordenbar ist, um die gefahrenen Kilometer nachzuweisen. Die Motive für die Foto-Blogs sind mir zwar noch nicht ausgegangen, die unterschiedlichen Blickwinkel schließen sich aber einander aus. Die Auswahl ist mittlerweile riesig, bei denen mein Fahrrad mit eindeutig identifizierbaren Hintergrundmotiven kombiniert ist.

Kunden der Deutschen Post
Mein Bruder arbeitet in einem Postamt am Schalter und hat sich auf seinem Arbeitsplatz mit verschiedensten Kundenanliegen auseinander zu setzen. Selbst nutze ich in meiner eigenen Firma gerne Gelegenheiten, mich in ein Call-Center zu begeben und etliche Kundengespräche an der Telefonanlage mitzuhören. Diese Kollegen in den Call-Centern bewundere ich, wie sie über den ganzen Tag hinweg dem Druck des Kunden ausgesetzt sind und wie sie insbesondere damit umgehen. Eine Reihe von Kollegen habe ich dort erlebt, denen es gelingt, Kunden durch freundliches Auftreten und durch fachliche Kompetenz zufrieden zu stellen, wenn diese sich zu Recht beschwert haben. Ich habe dort gelernt, dass der Umgangston gegenüber dem Kunden vieles bewirkt sowie eine fundierte Recherche, wie dem Kunden in seiner Situation geholfen werden kann. Es hat durchaus Fälle gegeben, die nicht zur Zufriedenheit des Kunden gelöst werden konnten. Bei den Kunden der Deutschen Post fällt mir auf, dass der Anteil von Hartz IV-Empfängern, Ausländern aus allen Ecken der Welt oder Menschen mit finanziellen Engpässen überproportional hoch ist. In Fällen, in denen die Anliegen nicht zur Zufriedenheit des Kunden gelöst werden können, wird dieses Kundenklientel massiv, droht, wird frech, zeigt sich unnachgiebig, wird vulgär. In einem Fall, in dem einem Kunden kein Geld wegen Kontoüberziehung ausgezahlt werden konnte, drohte dieser meinem Bruder: „ … ich brauche Geld … ich brauche was zum Bumsen …“. In einem anderen Fall, als ein Kunde nicht warten wollte, weil die Warteschlange bis zur Straße stand, zog dieser seine Hose herunter und machte auf dem Fußboden sein Geschäft.

Ökowelle und Ökosiegel
In meinem Blog „Ethik und Konsum“ hatte ich thematisiert, wie sehr der Verbraucher in die Irre geführt wird bei Öko-Produkten. In einem Artikel in der letzten Wirtschaftswoche wurde nun das Dickicht von Öko-Produkten durchforstet. Das Ergebnis war niederschmetternd. Es gibt einen regelrechten Wildwuchs von Öko-Siegeln, für die es keine durchgängigen Regeln gibt, nach welchen Kriterien diese vergeben werden dürfen. Den Unternehmen geht es nur darum, dass irgendetwas mit Grün oder Öko auf der Verpackung erscheint, unabhängig davon, ob die Botschaft überhaupt stimmt.
Beispiele für solche Öko-Lügen sind:
-    die Bio Aloe-Vera von Nivea enthält Zutaten auf Erdölbasis
-    wenn man die im Handel erhältlichen Textilien aus Biobaumwolle von C&A und H&M weltweit zusammenzählt, ist das Volumen an Biobaumwolle deutlich größer als die weltweit angebaute Biobaumwolle
-    Öko-Küchenrollen oder Öko-Klopapier enthalten zu einem gewissen Anteil Papierfasern aus Tropenholz
-     ALDI und REWE hatten kompostierbare Plastiktüten in den Handel gebracht, die in Kompostieranlagen nicht verrotteten.

Ein Beispiel dafür, dass die gesamte Öko-Bilanz betrachtet werden muss, ist die Diskussion um den Bio-Sprit E10. Einerseits fällt CO2 in den Ölraffinerien weg, andererseits wird in der Dritten Welt tropischer Regenwald gerodet, um Palmöl oder Zuckerrohr anzubauen. Kontrollinstanz sind Institutionen wie die Deutsche Umwelthilfe, Greenpeace oder der BUND. Ihnen ist es gelungen, die eine oder andere Öko-Lüge zu entlarven und die Produzenten zu bewegen, diese Produkte vom Markt zu nehmen. Doch sie stoßen auf eine der Grundprobleme unserer Wirtschaftsordnung: die Schar derer, denen solche Öko-Lügen nützen, ist größer als die Schar derer, die den Aufstand proben und Sand ins Getriebe streuen.

Islamische Moschee in Köln-Ehrenfeld
Im WDR-Fernsehen wurde eine Dokumentation über den Bau der Moschee gezeigt, die die größte Moschee in NRW sein wird. Infolge baulicher Änderungen hat sich die Fertigstellung über mehrere Jahre verzögert; sie soll nun ca. Mitte 2013 fertig gestellt sein. Vor dem ersten Spatenstich gab es in der Öffentlichkeit eine breite Diskussion und es regte sich auch heftiger Widerstand – dementsprechend ablehnend äußerte sich zum Beispiel der Schriftsteller Ralph Giordano. Umfragen zeigten, dass die Mehrheit der Bevölkerung den Bau durchaus begrüßte und als Zeichen der Integration sah. Da ich selbst drei Jahre in Köln-Ehrenfeld gewohnt habe, hat mich das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern, bewegt. Der Ausländeranteil ist hoch, sie kommen aus fast der ganzen Welt. Im Gegensatz zu den kleineren Strukturen in Klein- oder Mittelstädten wird in Köln alles durchmischt. Eine Ghettoisierung wie anderenorts findet hier nicht statt. Iraker, Türken, Italiener, Chinesen, Greichen, Afrikaner, alles existiert gleichwertig nebeneinander und kaum etwas isoliert sich. Man wird überproportional wenige bis zu den Augen verschleierte Frauen sehen. Grundsätzlich bin ich Islam-skeptisch, aber an dieser Stelle setzt die Moschee genau das richtige Zeichen.

Ärger mit dem früheren Vermieter
Nachdem unser großes Mädchen ausgezogen ist, hat sie Ärger mit ihrem früheren Vermieter. Er hat von ihrer Kaution eine Nachreinigung abgezogen, weil die Wohnung angeblich nicht sauber genug war, dann Kosten für eine überproportionale Benutzung der Waschmaschine, schließlich hat er 50 €, die laut Mietvertrag für Renovierung einbehalten werden dürfen, nicht mit den tatsächlichen Renovierungskosten verrechnet, sondern diese oben drauf gepackt. Ich komme auf ca. 150 €, die wir nachfordern wollen. Frage: gibt es unter Euch Bloggern jemanden mit juristischen Kenntnissen ? Unsere nächsten Schritte wären: Nachforderung stellen, Frist setzen, mahnen, Mahnbescheid erwirken (wenn Vermieter nicht zahlt). Und dann ginge es Richtung Rechtsanwalt oder Gericht – aber wir haben keine Rechtsschutzversicherung. Da werden die 150 € Nachforderung schätzungsweise durch die Kosten für den Rechtsanwalt wieder „aufgefressen“, wobei ungewiss ist, ob wir sie an irgendeiner Ecke über die gerichtliche Durchsetzung der Forderung wieder zurück bekommen. Für 110 € dem Mieterbund beitreten, das hatte ich noch im Internet gefunden (150 € minus 110 € ist fast ein Nullsummenspiel). Evtl. ist die Verbraucherberatung für Studenten kostenlos – das habe ich aber nur gehört. Kann mir jemand einen Tipp geben ?

Sonntag, 28. Oktober 2012

Hochwasser auf dem Rhein 1920 und 1926


Im Schaufenster einer Bäckerei in unserem Ort wurden Fotos der beiden Rheinhochwasser aus den Jahren 1920 und 1926 gezeigt, in denen unser Ort zu großen Teilen überflutet wurde. Angesichts dieser schlimmen Katastrophe wurde in den Folgejahren durchgesetzt, dass ein Deich gebaut wurde. Mit den technischen Gerätschaften, die damals zur Verfügung standen, packte das ganze Dorf an. Bei weiteren Hochwassern auf dem Rhein konnte dadurch eine solche Katastrophe verhindert werden. In dem Haus, in dem wir bis 2008 gewohnt hatten, waren wir bei Hochwassern durch Grundwasser betroffen, welches in den Keller eindrang. Wir hatten einen Altbau bewohnt, der 1955 gebaut worden war und dessen Keller poröse Betonwände hatte. Der Altbau lag ungefähr im tiefsten Punkt in unserem Ort und war Luftlinie einen halben Kilometer vom Rhein entfernt. Am 16.1.1920, am 1.1.1926, am 23.12.1993 und am 20.1.1995 erreichte der Pegel des Rheins in Köln Rekordstände mit rund 10,70 Meter. 1993 und 1995 liefen die Pumpen in unserem Keller auf Hochtouren, um das Wasser heraus zu pumpen. 1995 waren zeitweilig bis zu vier Pumpen in Betrieb. Bei den übrigen Rheinhochwassern hielt sich das Grundwasser, welches in unseren Keller eindrang, in Grenzen. 1998 wurde der Deich abgetragen und komplett neu gebaut, wobei sich im Sommer die Arbeiten verzögerten. Im Herbst war der Deich noch nicht komplett fertiggestellt, als sich Anfang November ein Hochwasser ankündigte, das mit 9,49 Meter das siebthöchste Hochwasser in Köln im 20. Jahrhundert wurde. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurden unter Einsatz sämtlicher verfügbarer LKW’s riesige Massen an Erdreich herangeschafft, um die Deichlücke zu schließen. Der Deich hielt. Bei jedem Hochwasser haben wir den Atem angehalten, obschon nur die drei 1993, 1995 und 1998 kritisch waren. Seit unserem Umzug 2008 ist der Spuk vorbei, denn nun wohnen wir hochwassersicher.

Dies sind die Fotos aus den Jahren 1920 und 1926 im Schaufenster der Bäckerei:















Samstag, 27. Oktober 2012

Grundschule


Dies ist nicht die Grundschule, die unser kleines Mädchen besucht, sondern diejenige in unserem Nachbarort. Der Schulweg ist ein Stück Vertrautheit. In der Grundschule werden Weichen für das restliche Leben gestellt. Die Klassenlehrerin ist Vertrauensperson und Kümmerer – jedenfalls in unserer Klasse. Man lernt in der Klassengemeinschaft. Es ist eine prägende Phase im Leben eines jeden Menschen. Da ich diese emotionale Ebene betrachte, habe ich zur Grundschule in unserem Ort eher positive Assoziationen. Vor mehreren Wochen war ich aber in der Grundschule unseres Nachbarortes. Die positiven Assoziationen waren mit einem Mal weggeblasen. Die Tristesse überwog. Mir wurde bewusst, wie platt und einfallslos Schularchitektur sein kann.



Die Türen haben nichts Einladendes, sondern sind nur Bestandteil eines funktionalen Gebildes.


Die Funktionalität wird kaum durchbrochen. Bei Schule und Funktionieren denke ich an Pink Floyd „Another Brick in the Wall“: we don’t need no education, we don’t need no thought control …




Dreh- und Angelpunkt ist der Schulhof. Was sollen diese breiten Straßenmarkierungen ? Die Schüler auf den rechten Weg führen ? Mich nerven sie jedenfalls als Betrachter.


Solche Fassaden findet man als Kopie wahrscheinlich an einer Unmasse anderer Grundschulen bzw. Schulen.


Diese Säulen sind ebenfalls einfallslos und langweilig.



Mülleimer und Fußmatten - wieder diese Reduzierung auf das Zweckmäßige, was notwendig ist.


Für ein wenig Auflockerung sorgt dieses Klassenfoto.


Diese Hinweistafel auf das Bildungspaket verbinde ich mit Bürokratie. Die Grundschule bewegt sich auf Augenhöhe mit der Bürokratie, mit deren Ineffizienz und deren verzweifelten Versuchen, die Bedürfnisse ihrer Bürger zu erreichen.

Unser kleines Mädchen ist genug damit beschäftigt, Rechenaufgaben zu lösen, Sätze zu schreiben und ihre Schulbücher zu lesen. Mit Freude ist sie beim Lernen dabei. Das finde ich das wichtigste. Unabhängig davon, wie die Schularchitektur aussieht.

Freitag, 26. Oktober 2012

50. Blog-Leserin !


Hurra ! Die 50. Leserin hat sich auf meiner Leseliste eingetragen. Herzlich Willkommen, liebe Jeanette !

Genauso begrüßen möchte ich die anderen neuen Leser:
-          Samate
-          Rebellenblog
-          Alex bloggt’s
-          Nova
-          Helga Hold
-          Christa Mavropoulou und
-          Aritha Vermeulen.

Dies möchte ich zum Anlaß nehmen, auf ein Jahr Bloggen zurückzublicken. Ja, es fasziniert mich bei jedem Blog aufs Neue. Es prickelt in mir, das Bloggen ist für mich eine Reise ins eigene Ich. Welche Gefühle ich habe, in welchen Stimmungen ich mich befinde, wie ich die Dinge sehe. Sich auf die Dinge des Alltags zu konzentrieren, das habe ich beim Bloggen gelernt. Es fängt mit einer Idee an, ich muss den Blick für Details schärfen, Worte finden, und vor allem so erzählen, dass der Leser auch angesprochen wird.

Eigentlich existiert mein Blog anderthalb Jahre. Die ersten Versuche empfinde ich im nachhinein noch als unausgereift. Ungefähr im Herbst des letzten Jahres lesen sich die Texte flüssiger, so dass Stil und Form einen Leser auch ansprechen können.

Wenn ich mich mit anderen Bloggern vergleiche, ist meine Leserzahl vergleichsweise klein. Das liegt wahrscheinlich daran, dass ich meist in einer erzählenden Form schreibe, in der der Text gegenüber den Bildern überwiegt, was beim Leser relativ viel Aufmerksamkeit erfordert. Triviale Themen wird der Leser vergeblich suchen, anstatt dessen Themen, in die ich all meine Leidenschaft hinein gesteckt habe: was mich am Rheinland fasziniert, Geschichte, Zeitgeschichte, Geschichten, Philosophisches und auch, in welche Gegenden mich mein Hobby des Rennradfahrens führt.

Den Rückblick möchte ich dazu nutzen, einige Highlights beim Bloggen aufzuzählen.

Der absolute Spitzenreiter bei den Seitenaufrufen ist mein Geburtstag. Sagenhafte 1.859 mal ist die Seite aufgerufen worden. 0:00 Uhr auf meinem Geburtstag, das war feierlich, schön, romantisch. Wunderbar, dass man einen solch schönen Moment in einem Blog festhalten kann.

Die Form des Geschichten-Erzählens kommt mir in meinem Blog noch etwas zu selten vor. Dennoch gibt es Geschichten, die ich als gelungen empfinde und die auch beim Leser gut angekommen sind.

Der Testkäufer war ein eigenes Erlebnis im Postamt, wo ich mich angewidert gefühlt hatte, weil ich auf ein Girokonto bei der Postbank angesprochen wurde, obschon ich nur Briefmarken kaufen wollte und sonst nichts. Das war mein erster Blog, dessen Besucherzahl explodierte.

Beim Blog über Lieven Deflandre hielt sich die Besucherzahl in Grenzen. Seine Geschichte erschüttert mich bis heute. Über Facebook hatte ich von seinem Selbstmord erfahren. Ganz dezidiert lassen sich seine nihilistischen Stimmungen in Facebook nachlesen. Er hatte kaum Kontakte, lebte in der Welt des Netzes und äußerte sehr breit in Facebook sein Welt-ablehnenden Einstellungen.

Über das Bloggen habe ich zu meiner eigenen Identität als Rheinländer gefunden. Vom Niederrhein kommend, bin ich sozusagen von der einen Ecke des Rheinlands in die andere Ecke des Rheinlands gewandert. Die Mentalität des Rheinländers beschreibt treffend das Kölsche Grundgesetz. Die meisten Grundsätze sind auch bei mir in Fleisch und Blut übergegangen.

Dies und das, bunt gemischt sind viele Themen. Wanderung auf dem Rotweinwanderweg, Zeche Zollverein in Essen, Stoffmärkte, Karl-May-Festspiele, Urlaub am Bodensee, was ich in der Familie alles erlebe.

Bei all meinen sportlichen Ambitionen wundere ich mich bisweilen, dass meine Blogs über Rennradtouren relativ viel gelesen werden. Bei meiner Leserschaft habe ich jedenfalls nicht erkennen können, dass jemand ähnlich sportliche Neigungen hat.

Die Neugierde, Zusammenhänge zu begreifen, treibt mich voran. Was aus der Geschichte kommt, erfüllt mich mit besonderer Spannung. Wie Katharina Henot 1627 als Hexe verbrannt wurde. Wie Schloß Herzogsfreude im Kottenforst im 18. Jahrhundert verscherbelt wurde. Emotional sehr schwer belastet mich die Geschichte über die Rurfront. Ich habe keine direkte Verbindung mit Düren. Aber seit meiner Kindheit haben mich immer wieder die Wege nach oder über Düren geführt. Dass die Stadt zu 100% im 2. Weltkrieg zerstört worden war, erschreckt mich bis heute. Ganze vier Häuser waren zum Ende des 2. Weltkriegs in Düren noch bewohnbar. Düren ist heutzutage eine Mittelstadt mit 93.000 Einwohnern.

Natürlich freue ich mich über jeden Kommentar. Kommentieren möchte ich aber nicht als Zwang betrachten, denn auch mir selbst fällt nicht zu jedem Blog etwas ein, was als Kommentar zu dem betreffenden Blog passt.

Einen Kommentar, der mir herausragend gefallen hat, möchte ich hier nochmals zitieren.
Nicole schrieb zu meinem Post über das Manager Magazin:
„Ich brauche keine Manager Zeitung, ich bin mein eigener Manager in meinem Familienunternehmen. Mein Gehalt ist sehr klein, aber ich bekomme ganz viel Liebe und die ist unbezahlbar.

Da ich nicht nur Text schreibe, sondern auch fotografiere, möchte ich Euch noch eine Auswahl von Fotos zeigen, die mir besonders gefallen:


Alter Zoll in Bonn



Monschau


Redoute in Bad Godesberg


Sonnenaufgang über dem Siebengebirge


Maibaum


Friterie in Visé / Belgien


Soldatenfriedhof in Henri-Chapelle / Belgien


Romanische Kirche in Kircheib / Westerwald


Fähre über den Rhein

Ich freue mich auf die nächsten Blogs, die ich schreiben werde. Ich hoffe, dass die Kreativität nicht nachläßt und das meine Einfälle nicht versiegen.

Donnerstag, 25. Oktober 2012

mit dem Rennrad nach Erftstadt-Lechenich


Die Radtour begann turbulent. Richtung Bad Godesberg, ich befand mich im Kreisverkehr, Einmündung von rechts, dort nahm mir eine Autofahrerin die Vorfahrt. Ich bremste ab. Jung, hübsch, blond, schulterlanges Haar, schaute sie mich an. Doch sie zeigte keinerlei Regung und fuhr unverdrossen weiter. Einen Kilometer weiter, setzte ein Paketzusteller der DHL rückwärts aus einer Hauseinfahrt zurück, ohne mich zu beachten. Ich hatte fast das Stadtgebiet verlassen, da überquerte ein Fußgänger an einer Abzweigung die Straße. Mitten auf der Straße, überlegte er es sich anders, machte eine Kehrtwendung und schritt, ohne auf jeglichen Verkehr zu achten, zu derselben Straßenseite zurück. Was war los heute ? Wurden Radfahrer als Freiwild betrachtet, das man nach Lust und Laune über den Haufen fahren konnte ?

Sonne und schönes Wetter hatte mich aufs Fahrrad gelockt. Die 20 Grad-Marke war locker geknackt, und gereizte oder aggressive Stimmungen, wie ich diese im Straßenverkehr erlebt hatte, waren fehl am Platze. Wahrscheinlich war dies eine der letzten längeren Radtouren in diesem Jahr. Eine flache Tour hatte ich mir ausgesucht: 80 Kilometer insgesamt, nach Erftstadt-Lechenich.

So ungefähr die schönste Jahreszeit hatte ich erwischt. Auf dem Höhenrücken des Kottenforstes angekommen, schillerte bunt, im kompletten Farbspektrum von Grün über Gelb bis Rot der Herbst. Das war herrlich. Dabei genoß ich das gut ausgebaute Radwegnetz im Kottenforst. Ohne nennenswerte Hügel, fernab jeglichen Autoverkehrs, schweifte ich in der puren Lust des Rennradfahrens. Das Herbstlaub glänzte, die abgestorbene Blätterpracht sammelte sich am Wegesrand. Seicht tanzend in der Luft, hatte der Wind sie zuvor herab geweht.

Ab Flerzheim öffneten sich die Felder. Die Sonne sammelte ihre Kräfte und schien ungehemmt in den Herbsthimmel hinein. Schleierwolken verloren sich am Himmel. Im Sonnenlicht wirkten die Reihen von Ziergehölzen und Sträuchern, die zu Baumschulen gehörten, noch penibler angeordnet. Sorgfältig abgemessen, wie mit dem Lineal gezeichnet, erstreckte sich dieses allzeit überdauernde Grün von Koniferen, Wacholdern, Zypressen oder Buchsbäumen. Herbstliche Stille hing über der Nebenstrecke, die sich bisweilen in Kurven zu verirren drohte.

Heimerzheim, dann ein Abstecher zur Wasserburg in Metternich. Das Rheinland war geradezu übersät mit Wasserburgen. Die meisten Wasserburgen waren Privileg und Repräsentation. Dass sie so zahlreich waren, hing zum einen mit dem flachen Gelände zusammen, zum anderen, dass auch dem niederen Adel solche Privilegien zugestanden wurden. Dadurch wurden sie über Jahrhunderte hinweg gepflegt, instandgehalten und umgebaut. Da sämtliche Wasserburgen im Köln-Bonner Raum nicht öffentlich zugänglich waren, schenkte ich ihnen kaum Beachtung. Am Wegesrand, war ich in Lüftelberg und Heimerzheim an Burganlagen vorbeigefahren. Steinalt war die Wasserburg in Metternich, nämlich aus dem 13. Jahrhundert. Die Seitentrakte wurden im 19. Jahrhundert umgebaut. Kurz ließ ich mich von den herbstlichen Impressionen rund um den Wassergraben beeindrucken, dann radelte ich weiter.



In Weilerswist verfluchte ich die Straßenführung, die offensichtlich nur für Autofahrer gemacht war. Sie kreiste in riesiger Entfernung um Weilerswist herum. Ich wollte aber ins Zentrum hinein, dann weiter nach Lechenich. Unbeschildert, tastete ich mich ins Zentrum. Danach wiesen die Schilder nach Köln oder Brühl, das war die falsche Richtung. Ich fuhr in die entgegengesetzte Richtung, und prompt befand ich mich auf der Umgehungsstraße weit um Weilerswist herum. Das war ein riesiger Umweg.

Im nächsten Ort, Bliesheim, fehlten wieder die Straßenschilder. Ich fragte einen Anwohner, und diesmal landete ich auf der richtigen Straße in Lechenich. Wegen des riesigen und schönen Marktplatzes hatte ich mir dieses Ziel ausgewählt. Pause wollte ich machen, ein Weizenbier trinken. Doch Außengastronomie war in Lechenich unbekannt. Ein Eiscafé quoll über von Menschen, außerdem eine Bäckerei, das war es. Das war eine Schande für einen solch schönen Marktplatz. Der Durst auf ein Weizenbier war mir vergangen, denn ich hatte keine Lust, mir in dem Eiscafé in diesem Gewimmele von Menschen einen freien Platz zu suchen.

Also weiter nach Liblar. Auf dem Weg dorthin setzten sich die typischen Radfahr-Erlebnisse  fort. Die Umgehungsstraße von Lechenich endete. Dahinter rauschte der Verkehr über die Autobahnauffahrt auf die A61. Die Straße weitete sich auf vier Spuren. Rechterhand zunächst die Auffahrt in Richtung Koblenz, dann die Auffahrt in Richtung Köln. Ich suchte verzweifelt. Weder auf der einen Seite, noch auf der anderen Seite gab es einen Radweg. Also mitten hindurch ! Durch den Autoverkehr. Niemand hupte, LKW’s brausten fleißig an mir vorbei, einige hundert Meter weiter wurde ich erlöst durch die Abbiegespur eines Radwegs.

In Liblar wurde ich an die Wurzeln der Revolution von 1848 erinnert, die eigentlich keine war. Carl Schurz war in Liblar geboren. 1849 war er gemeinsam mit Gottfried Kinkel eine der maßgeblichen Wortführer der Revolution im Rheinland. Als er wegen Volksverhetzung verfolgt wurde, floh er nach Baden. Dort zettelte er eine neue Revolution an, das war die badische Revolution. Erneut verfolgt, floh er nach London und Paris. Da selbst dort preußische Truppen präsent waren, wanderte er 1852 nach Amerika aus.

In Liblar sollte ich endlich mein Weizenbier bekommen. An einem schmucklosen Platz, wo die Hauptstraße zum Bahnhof abbog, waren an einem Eiscafé reichlich Plätze frei. Zu zweit oder zu dritt, gesellten sich Schüler dazu. Ich streckte meine Beine in die Länge. Die goldene Oktobersonne schien ungestört.


Wunderschön, wie zuvor im Kottenforst, tauchte ich hinter Liblar in die Idylle des Herbstes ein. Auf dem eigenen Radweg war ich für mich alleine. Zwischen den Bäumen hindurch, schillerte rechterhand die Oberfläche des Liblarer Sees. Ansatzweise konnte ich erkennen, welche Seenlandschaft man aus dem früheren Braunkohlentagebau geschaffen hatte. All die Seen zwischen Brühl und Liblar kannte ich kaum. Nicht nur zur Herbstzeit, muss es dort wunderschön sein.

Wieder dieses Farbenspiel von Rot nach Grün nach Gelb nach orange. Ich genoß es, denn in einigen Wochen würde es mit dieser Pracht vorbei sein.


Mittwoch, 24. Oktober 2012

in der Einsamkeit des Schwarzwaldes


Wo waren wir gelandet ? Das Ortsende von Freiburg-Kappel hatten wir längst verlassen. An der Molzhofsiedlung gabelte sich die Straße. Unsere Straße zwängte sich in einen schmalen Teerweg hinein, auf dem keine zwei Autos mehr nebeneinander passten. Der Teerweg schlich den Berg hinauf in einen Urzustand von Landschaft, die durch nichts gestört wurde. Wir folgten dem Bach, der das Tal hinab plätscherte. Die Berghänge des Schwarzwaldes bauten sich auf wie eine Wand. Ich hatte Angst, der Teerweg könnte untergehen in dieser Masse von Grün, Natur, Wildheit, Temperament. Bis das Haus mit der Hausnummer 40 auftauchte. 

Danach kam lange nichts, außer diesem steilen Anstieg, den unser Auto gerade im zweiten Gang bewältigte. So ungefähr, als wir nicht mehr damit rechneten, standen wir vor unserem Gasthof mit der Hausnummer 48. Von außen sah er so aus, was ich typischerweise mit Schwarzwaldhäusern verband: ein breiter, ausladender Baukörper, Elemente von dunklem Holz auf der Fassade, das weit herabgezogene Dach, ein hölzerner Balkon, jede Menge Blumenkübel.

Zu spät hatte ich bemerkt, dass unser Gasthof dermaßen weit außerhalb von Freiburg lag. Unserem großen Mädchen wollten wir beim Umzug helfen. Einigermaßen kurzfristig in den Herbstferien waren nicht mehr allzu viele Hotels oder Zimmer oder Ferienwohnungen frei. Dreibettzimmer passte, mit Frühstück passte, 24 € pro Person und pro Nacht passte, Freiburg-Kappel passte. Ich hatte aber bei der Buchung im Internet nicht genau genug hingeschaut, dass unser Gasthof zwar zu Freiburg gehörte, aber mitten im Schwarzwald lag. Das war hier am Ende jeglicher Zivilisation.

Viermal sollten wir hier übernachten. Kein Zweifel, ich war gerne mitten in der Natur. Andere Gegenden wie die die Eifel schätze ich. Ruhe und Verlassenheit konnte ich dort finden, pure Natur und lieblich zusammengescharte Dörfer in dieser buckeligen Mittelgebirgslandschaft. Aber soviel davon ? In einer solchen Überfülle ?

Ich gewöhnte mich kaum daran, dass ich hinter der Zivilisation, die an den letzten Häusern von Freiburg-Kappel endete, noch ein gehöriges Stück mit dem Auto durch die Gegend kurven musste. Auf 720 Metern Höhe lag unser Gasthof. Schrecklich stellte ich mir vor, wenn der Hof in Winter eingeschneit wäre. Ich war nie im Ski-Urlaub gewesen. Wenn ich andere davon reden hörte, beschrieben sie in aller Romantik, wie sie eingeschneit waren. Wenn es draußen knackig kalt war, heizte die Wärme im Inneren die Gemütlichkeit an.

Aber es musste nicht gleich Schnee sein. Bange wurde mir zumute, als es in der letzten Nacht schneeweiß gefroren war. Zu Hause kannte ich die Gefahr des Glatteises, wenn sich an einigen tückischen Stellen regelmäßig Autos im Straßengraben wiederfanden. Und hier ? Bei einer Abfahrt mit acht bis zehn Prozent Gefälle ? Es passierte nichts. Die Reifen griffen auf dem Asphalt, und heil kam ich in Freiburg-Kappel an.

Auch an den anderen Tagen war es lausig kalt auf 720 Metern Höhe. Selbst drinnen, beim Frühstück, fror ich eine Zeit lang, weil der mit Holz geheizte Ofen nur zögernd Wärme spendete. Während in Freiburg ein laues Lüftchen wehte, pfiff hier der Wind. Der Bach hinter dem Haus war laut, weil er mit all seiner urwüchsigen Kraft ins Tal stürzte. In einer Nacht trommelte der Regen auf das Dachfenster, so dass ich nicht mehr einschlafen konnte. Das schlimmste war: kein Handynetz. Der Gasthof lag in einem Funkloch. Mit unserem großen Mädchen in Freiburg-Littenweiler konnten wir nichts absprechen. Am Vortag nannten wir eine Uhrzeit, wann wir ungefähr aufkreuzen würden.

Die Zivilisation war eingekehrt, als wir Morgens ein gelbes Postauto gesichtet hatten. Die Menschen bekamen also die Post zugestellt. Strom gab es natürlich auch über die oberirdische Stromleitung, die sich von Mast zu Mast schwang. Auch die Müllabfuhr schaffte es soweit, wobei ich mich fragte, wie sie es in der Enge des Tals schaffte, zu wenden und umzukehren.

Unsere Gastgeber waren sehr, sehr nett. Es war ein Ehepaar, beide ungefähr Mitte sechzig, die bis 2005 den Gasthof als Gaststätte betrieben hatten. Sie hatten Spaß daran, sich mit uns zu unterhalten und aus ihrem Leben zu erzählen. Einmal, als wir einen Schreibtisch zusammenbauten, als vorgebohrte Löcher fehlten, konnten wir uns in der Werkstatt, die in einem eigenen Schuppen untergebracht war, bedienen, wie wir wollten.

Beim Abschied wurde mir klar, dass ich in einer Welt jenseits des Kapitalismus angekommen war. Wo nicht alles konsequent durchgerechnet werden musste. Wo einen Kosten und Umsätze nicht durch die Gegend trieben. Wo Geld nicht als das Maß aller Dinge betrachtet wurde.

Wir bezahlten genau den Preis, der auf der Buchungsbestätigung im Internet stand. Obschon wir eine Person mehr waren. Obschon ich an einem Abend eine Flasche Radler aus der Gaststätte getrunken hatte. Obschon der Aufbau des Schreibtisches lahmgelegt worden wäre, wenn wir die Löcher nicht hätten bohren können. Unsere Gastgeber lehnten es ab, dass wir selbst einen Cent mehr bezahlten.

Es gibt Dinge, die erschließen sich nicht beim ersten Mal. Man muss genau hinsehen, damit umgehen lernen. Wenn man schließlich den versteckten Charme kennen gelernt hat, bleibt dieser um so nachhaltiger haften.

Montag, 22. Oktober 2012

Wanderung auf dem Rotweinwanderweg


Dass so viele Menschen das Ahrtal stürmen würden, hätte ich nicht für möglich gehalten. Früher, das ist sieben bis acht Jahr her, sind wir regelmäßig zur Herbstzeit den Rotweinwanderweg gewandert. Allenthalben waren wir Wanderern und anderen Genießern des Herbstes begegnet. Aber heute ?

Mit der Parkplatzsuche fing es an. An der Einmündung hinter der Römervilla, ungefähr einen Kilometer von Ahrweiler entfernt, war kein Platz mehr frei. Alles war zugeparkt bis zum Rand der Weinberge. Hoch oben, den Berghang hinauf, auf einer Art von Plateau, waren schließlich noch eine Handvoll Parkplätze frei, die an das „Dokumentationszentrum Regierungsbunker“ angrenzten. „Regierungsbunker“ hörte sich interessant an, doch diesmal ging es wieder den Berg hinunter, bis wir auf die rote Weinrebe stießen. Sie markierte den Rotweinwanderweg, der über insgesamt 35 Kilometer über Berge, Täler und insbesondere Weinberge an der Ahr führte. Davon wanderten wir das Teilstück von Ahrweiler nach Dernau.

Gemeinsam mit unseren Freunden J. und F. und ihren beiden Töchtern hatten wir uns zusammengefunden. Achja, ein Pudel wanderte auch mit und mischte unsere Gruppe fleißig auf, denn unsere Kleine war vernarrt in Haustiere. Im Zickzack umschwärmte sie den Pudel, kreiste um ihn herum, und schaffte es in der Gruppe sogar, sich kontinuierlich vorwärts zu bewegen.

So etwas hatte ich am Rotweinwanderweg noch nicht erlebt. Ende Oktober schien die Sonne ungehemmt vom Himmel, als ob noch Sommer wäre. Wir schwitzten mächtig an den Anstiegen, wenn die Sonne in unsere Gesichter schien. In Scharen hatte das goldene Oktoberwetter die Menschen nach draußen gelockt. Auf dem Höhenzug angekommen, schwärmten die Wanderer in Restaurants und Lokale aus, die sich mitten in die Weinberge platziert hatten. Verwundert schaute ich in den Innenhof des ersten Restaurants, denn dort waren an einem Einzeltisch sogar noch Plätze frei. In dem zweiten Restaurant herrschte regelrechte Volksfeststimmung, denn es hatte sich eine Menschenschlange gebildet, wo Federweißer und Federroter ausgeschenkt wurde. Menschen prosteten sich in langstieligen Gläsern zu. Auch hier, vor den beiden Restaurants, knubbelten sich die Autos auf den Parkplätzen. Die Autos störten mich, denn mitten durch das Gewimmel von Wanderern bahnten sie sich ihren Weg. Konnte man Teerweg weiter unten nicht absperren ? Wieso unterband man nicht die Faulheit des Autofahrens ? Ein Spaziergang war ohnehin viel anregender als eine Autofahrt.

Hinter den beiden Restaurants lichtete sich der Strom der Wanderer. Es wurde beschaulich, ja, sogar wunderschön. Jedes Viereck von Weinbergen hatte seine eigene herbstliche Färbung. Blaßgrün, rostrot, blutorange, kristallgelb schillerte jeder Weinberg in seiner eigenen Farbenpracht. Wege zerschnitten in der Waagerechten den Reigen von Farben. Felspartien türmten sich zu Aussichtspunkten auf. Dahinter schossen die Weinberge so steil den Berg hinunter, dass ich keine Erklärung fand, wie man diese noch bewirtschaften konnte.



Der Rotweinwanderweg neigte sich bequem den Berg hinunter. Bald scharten sich die Wanderer zusammen. Augenblicklich stoppte die Wanderung, denn hoch oben über dem Ahrtal lud ein Verkaufsstand zu einer Weinprobe ein.

„Einen Federroten oder Federweißen ?“ fragte J.
„Federroten trinke ich irre gerne“ fügte sie hinzu.
„Ich auch“ stimmte ich spontan zu – trotz Autofahren und weil der Alkoholgehalt eher klein war.
„Du auch ? … Du auch ?“ der Rest nickte zustimmend.

Doch daraus wurde nichts. Federweißer und Federroter war ausgetrunken. Also wanderten wir weiter, denn nach Rotwein oder Weißwein war uns nicht zumute.

Am Rotweinwanderweg unterschätzt man gerne die Seitentäler. Wie sich der Wanderweg in die Täler hinein windet, wie sehr er sich in die Länge dehnt, wie lange es dauert, bis das Tal durchschritten ist und sich der Hang des nächsten Berges zu neuen Anstrengungen einlädt. In Marienthal war dies soweit. Wieso die Klostermauern von Marienthal als Ruine dastehen, wurde ich gefragt. Ich konnte nur spekulieren: Kriege, Brand, Verfall, Reformation waren gängige Ursachen. Jedenfalls standen von Marienthal nur die Grundmauern, das angrenzende Gebäude mit Innenhof setzte dieselben Bruchsteinmauern fort. Auch dieser Innenhof war bevölkert von Wanderern, die es sich in dem Restaurant schmecken ließen.

Dernau nahte. Gerade sechs Kilometer hatten wir bis Dernau geschafft. Diesmal waren wir mit Kindern unterwegs, so dass wir sportliche Ambitionen beiseite schoben. Den Rotweinwanderweg hatten wir verlassen. Die Ruhe, die mit einem Mal in Dernau einkehrte, war merkwürdig. Kaffeehaus St. Quirinus: um die Hausecke herum stand die doppelflügelige Eingangstüre offen. Im Innenraum des Cafés waren noch Tische frei. Also hinein ! Auf der Getränkekarte lasen wir, dass das Haus mit den massiven Bruchsteinmauern aus dem 18. Jahrhundert stammte. Dass Quirinus kein Heiliger war, sondern ein römischer Feldherr, denn im Ahrtal hatten schließlich die Römer gesiedelt. Als wir später das Café verließen, konnten wir uns von Quirinus verabschieden, denn in einer Nische zeigte sich an der Vorderfront seine Figur. Mit Schild und Schwert in der Hand, hielt er den römischen Krieger bis in die Gegenwart lebendig.

Überall Winzerhöfe, Besenwirtschaften, Weinausschank, Federweißer und Federroter. Es war hier wie an der Mosel oder an der Deutschen Weinstraße, nur einige hundert Kilometer weiter nördlich in Rheinland-Pfalz. 


Das größte Abenteuer stand uns noch bevor, denn wir wollten mit dem Zug zurück nach Ahrweiler, wo auf den Höhen der Ahrberge unsere Autos standen. Der einzige Fahrkartenautomat am Bahnhof war der entscheidende Engpass. Als wir uns einreihten, war die Warteschlange bestimmt vier oder fünf Meter lang. Zunächst verlief alles nach Plan. Die anderen Bahnkunden warteten, tippten an dem Automaten herum, bis dieser irgendwann eine Fahrkarte ausspuckte. So bewegte sich die Warteschlange stückweise vorwärts. Bis es zwei Bahnkunden vor uns nicht mehr weiter ging. Was dort wirklich passierte, bemerkten wir etwas weniger wie zehn Minuten später, als wir die genauen Eingaben an dem Automaten beobachteten. Ein Bahnkunde wollte eine Gruppenfahrkarte für fünf Personen lösen. Bei der Eingabe der Zahl „5“ erhielt er eine Fehlermeldung, weil man mindestens zehn Personen zusammenbekommen muss, um als Gruppe zu gelten. Diese Fehlermeldung ignorierte er Kunde, er tippte permanent auf den Button „Weiter“, der aber deaktiviert war. Dann brach er ab, startete die Fahrkartenauswahl über „Gruppenfahrkarte“, „Abfahrtsort“, „Zielort“ usw. ständig neu, bis er jedes Mal an der Zahl „5“ für eine Gruppenfahrkarte scheiterte. Als wir uns einschalteten, wählte er zunächst das richtige Menü für „Einzelfahrscheine“ aus. Wir brachten ihn sogar soweit, dass er einen Einzelfahrschein bezahlen konnte. Da zankte ihn der Fahrkartenautomat, denn er nahm keine Geldscheine, sondern nur noch Kleingeld. Immerhin hatte er seine EC-Karte dabei. Dabei vergaß er aber, die Zahlungsart der EC-Karte zu bestätigen. Er tippte zig-Mal seine PIN ein, daraufhin erhielt er eine Fehlermeldung, bis er auf „Abbruch“ drückte und den ganzen Fahrkartenkauf neu startete. In dieser ganzen Verwirrung bekamen wir ihm nicht gezeigt, dass er unter „weitere Fahrscheine“ fünf Mal denselben Fahrschein kaufen konnte und nur einmal bezahlen musste. Eine geschlagene Viertelstunde hatte dieser Bahnkunde gebraucht, um zwei Fahrkarten anstelle fünf Fahrkarten zu kaufen. Danach war die Warteschlangen aus den Fugen geraten. Tumulte in der Warteschlange waren während der Wartezeit glücklicherweise ausgeblieben. Ich bewunderte die Engelsgeduld dieser Bahnkunden.

Die Bahnfahrt und die Reststrecke zu unseren Autos klappten reibungslos. Als wir den Parkplatz erreichten, war dieser kaum wieder zu erkennen. Große Lücken klafften zwischen den Autos. Die Menschenströme hatten sich langsam verflüchtigt. Vom Rand des Parkplatzes warf ich einen letzten Blick auf das Kloster Kalvarienberg in Walporzheim. Der massive Gebäudekomplex stemmte sich quer in die Weinberge hinein. Wir verließen das Ahrtal und hatten viele unvergessliche Eindrücke zusammen gesammelt.