Berlin-Mitte: ein
Immobilienhai hat Altbau-Wohnungen gekauft, die in Luxus-Appartements
umgewandelt werden sollen, die Mieter sollen heraus geekelt werden. Die meisten
Mieter werfen das Handtuch und ziehen aus, als der Eigentümer die Miete um das
doppelte erhöht. Die Telefone der Mieter klingeln heiß, als Interessenten für
die Eigentumswohnungen nach Besichtigungsterminen nachfragen. Nur eine
alleinerziehende Mittdreißigerin, die sechzehn Jahre in ihrer Wohnung sesshaft
geworden ist, widersteht dem massiven Druck, sie loszuwerden. Sie bleibt, trotz
Mieterhöhnung, trotz Fassadenarbeiten und ohrenbetäubenden Lärms. Das war
gestern im ZDF-Mittagsmagazin zu sehen.
Köln-Widdersdorf: am
westlichen Stadtrand von Köln ist es keine Mittdreißigerin, sondern ein 82
jähriger Rentner, der dem Werben eines Baulöwen widersteht. Felder von Bauern
hat sich der Baulöwe zusammengekauft. Er will eine Trabantensiedlung bauen und
hat den Zorn der Widdersdorfer Einheimischen auf sich gezogen, die solche
hässlichen Wohnmaschinen nicht vor ihrer Nase haben wollen. Der 82 Jährige
besitzt ein Gartenstück mitten in den Feldern, das er nie und nimmer verkaufen
will. Größenwahnsinnige Projekte, aufreißende Frauen, riesige Geldsummen,
zwielichtige Gestalten, Abtauchen in dunkle Spelunken: das Buch „Tödlicher
Klüngel“ ist gefüllt mit solchen Spannungsfeldern, die gut für einen Mord sind.
Mit diesem Regional-Krimi
habe ich die Eifel verlassen, denn vor mehreren Jahren habe ich die Eifel-Krimis
von Jacques Berndorf regelrecht verschlungen. Jacques Berndorf ist mit seinem
Eifel-Heimat-Gefühl exzellent, und mindestens genauso exzellent ist Christoph
Gottwald. Er unterscheidet sich allerdings von Jacques Berndorf, denn er bringt
es gerade auf drei Köln-Krimis.
Christoph Gottwald ist in
Köln geboren und somit ein Kölscher Junge. Um sein Studium zu finanzieren, ist
er Taxi gefahren, was sich in seinem Kriminalroman widerspiegelt. Denn Manni –
seine Hauptperson – ermittelt gemeinsam mit einem befreundeten Taxifahrer, der
seine wichtigste Stütze ist.
1984 geschrieben, war dies
der erste Krimi in der Reihe der Köln-Krimis, die danach wie Pilze aus dem Boden
geschossen sind; bis heute haben sie sich auf einhundert Kriminalromane
aufsummiert. Morde, Blut, Leichen, Verbrechen. Heißes Pflaster Köln ? Kann man
sich in Köln noch auf die Straße trauen, ohne um die nächste Ecke gebracht zu
werden ?
Seitdem ich blogge, gehören
Kriminalromane weniger zu den Schwerpunkten, in welche Themen ich mich
hineinlese. Maigret (Simenon), Sherlock Holmes (A. Conan Doyle) oder Hercule Poirot (Agatha Christie) – diese Kriminalromane
habe ich früher gerne gelesen. Sie haben ihre eigene Faszination, wenn die
Tätersuche mit logischem Denken, innerem Instinkt, Menschenkenntnis und
akribischer Spurensuche voran schreitet. In Täterprofilen und deren Psychologie
habe ich innerste Geheimnisse gesucht: wie Menschen fähig sind, Verbrechen wie
einen Mord zu begehen. Diese klassischen Kommissare finde ich mit ihrer Logik
und ihrer Psychologie bis heute einzigartig.
„Tödlicher Klüngel“ hat mich
in mehrfacher Hinsicht begeistert. Wie Wohnungsraum in Großstädten zum Objekt
der Begierde wird und wie aus sozial Schwachen Geld heraus gequetscht wird,
damit hat sich Gottwald ein zeitloses Themenfeld ausgesucht, in dem keine
Entspannung in Sicht ist. Nach den drei Köln-Krimis ist Gottwald zum Fernsehen
gewechselt. Von 2009 bis 2011 hat er Drehbücher für die Krimi-Serie „SOKO
Wismar“ geschrieben, von 2007 bis heute für „Der Staatsanwalt“.
„Tödlicher Klüngel“ ist
erfrischend geschrieben und als Abend- oder Bettlektüre bestens geeignet. Die
142 Seiten sind ein handliches Format, so spannend geschrieben, dass ich mich
schwertat, den Krimi beiseite zu legen. Manni kommt wie in einem schlechten
Witz zu dem Mord: ohne Job, unter chronischem Geldmangel leidend, will er in
einer Detektei anheuern, er hebt das Telefon ab, als sein Chef in spe nicht im
Büro weilt; der Anrufer bittet um ein sofortiges Treffen am Kölner Neumarkt;
kurze Zeit nach dem Treffen findet er im Appartement der Geliebten des Anrufers die
Leiche eines Immobilienmaklers.
Mit reichlich Witz beschreibt
Gottwald den draufgängerischen und derben Typen des Manni, der den Job in der
Detektei nicht bekommen hat. Anstatt dessen recherchiert Manni auf eigene Faust
und kann auf seinen Freund, den Taxifahrer, vertrauen. Manni meistert den Fall
mit all seinem schauspielerischen Talent. Laufend dreht, wendet und verstellt
sich Manni. Er schlüpft in fremde Rollen, um dem Fall die entscheidende Wendung
zu geben. So gibt er sich als Kommissar der Polizei Köln aus, ruft im Meldeamt
der Stadtverwaltung an, lässt sich die Sterbeurkunde des Mordopfers kopieren und
holt persönlich die Kopien in der Stadtverwaltung ab. Dadurch kann er beweisen,
dass die Sterburkunde gefälscht worden ist.
In einer Arztpraxis schlüpft
er in die Rolle eines falschen Patienten, im Altenheim verschafft er sich als
angeblicher Enkelsohn Zutritt zu der Witwe, die letztlich das Gartengrundstück
an den Immobilienhai verkauft hat, der die Trabantensiedlung in
Köln-Widdersdorf bauen wollte.
Die Recherchen führen Manni
durch das Köln, das so schräg und unkonventionell ist wie er selbst. Köln geht
in dem Kriminalroman von ganz oben bis ganz unten, Gegensätze klaffen, glatt
herausgeputzte Fassaden bröckeln, Alt behauptet sich gegen Neu, das Denken lässt
sich nicht in Schubladen pressen.
Heißes Pflaster Köln ?
Gottwald beleuchtet elegant die Abgründe der Stadt, zu denen er über Eckkneipen
und Bars und Nachtclubs den Zugang findet. „Tödlicher Klüngel“ war höchst
unterhaltsam. Wie im Fernsehen, wird die Literatur mit Krimis überschwemmt. Ab
und zu brauche ich diese literarische Abwechslung. Am besten so genial, wie Christoph Gottwald es geschafft hat.