Sonntag, 29. September 2013

Soldatenfriedhof in Königswinter-Ittenbach

Das Ende des zweiten Weltkrieges nahte, als die Amerikaner am 7. März 1945 die Brücke von Remagen überquert hatten. Doch wer annahm, dass die Amerikaner anschließend das Rheinland überrollen würden, der wurde getäuscht. Im Siebengebirge erging es den Alliierten ansatzweise wie bei Vorstößen in die Eifel, nachdem sie Aachen erobert hatten: der deutsche Widerstand war heftig und unerbittlich, das Gelände des Siebengebirges war für Panzer praktisch ungeeignet; zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, kannten sich die deutschen Soldaten in diesem undurchsichtige Waldgebiet aus; die Gegner zerrieben sich in Stellungskämpfen, obschon der Krieg längst entschieden war.

Über Königswinter-Ittenbach rollte der Nachschub der amerikanischen Truppen. Am 26. März 1945, nachdem das Siebengebirge erobert worden war, begannen die Amerikaner, erste gefallene deutsche Soldaten am Ortsrand von Königswinter-Ittenbach zu begraben. Da besonders viele Soldaten in den Kämpfen um das Siebengebirge getötet worden waren (400 deutsche Soldaten und 1.100 amerikanische Soldaten), beschlossen die Amerikaner, die Toten auf einem eigenen Soldatenfriedhof zu bestatten. Nach Kriegsende wurde beschlossen, dass auch diejenigen Soldaten, die bei Kämpfen weiter östlich – im Westerwald, im Sauerland oder im Rothaargebirge – getötet wurden, hier beerdigt werden sollten. Heute haben in Königswinter-Ittenbach 1.871 Soldaten ihre letzte Ruhestätte gefunden, darunter 1.626 deutsche Soldaten. Die amerikanischen Soldaten waren übrigens nach Henri-Chapelle in Belgien überführt worden.


Beim Blick durch die Eingangspforte dringt die leicht melancholische Stimmung durch.


Die Kreuze reihen sich hinter Gehwegplatten aus Bruchsteinen auf.



Mich hat tief beeindruckt, dass es Steinkreuze sind und keine weißen Holzkreuze, wie ich sie zum Beispiel in Henri-Chapelle in Belgien gesehen habe.




Die Größe verleiht dem Friedhof Monumentalität.


Das Gräberverzeichnis listet die gefallenen Soldaten auf.


Diese drei Kreuze markieren den Fluchtpunkt des Soldatenfriedhofs.


Sonnenlicht fällt durch Birkenzweige hindurch.


Die Geburtsjahre verraten, dass Männer in den besten Lebensjahren getötet wurden.


Schwer lasten steinerne Stufen auf den Wegen.

Samstag, 28. September 2013

Sonnenblumen

Was der Raps im Frühjahr, das sind die Sonnenblumen im Spätsommer und im Herbst. Ähnlich wie der Raps, sind sie mit ihrem kräftigen Gelb ein echter Hingucker. Harmonisch fügen sie sich in die gelb-braunen Farbtöne des sich ankündigenden Herbstes ein. Goethe hatte einst über die Sonnenblume geschrieben:

Die Sonnenblume möchte dich begrüßen
Dieweil sie sich so gern zur Sonne wendet.
Nur steht zur Zeit sie noch zurückgewiesen;
Doch du erscheinst und sie ist gleich vollendet.

Sonnenblumen muntern mich auf und ich schaue optimistisch in den Tag hinein.



Vor einem Maisfeld lugen die Sonnenblumen zwischen einem Stück Himmel hervor.




Im Feld wachsen die Sonnenblumen in größeren Mengen.


Während die Sonne untergeht, lassen die Sonnenblumen ihre Köpfe hängen.


Drei einzelne Sonnenblumen zeigen all ihren Stolz.


Solche unselbständigen Grünflächen können Sonnenblumen sogar zu neuem Glanz verhelfen.


Gemeinsam mit der Kapuzinerkresse erzeugen die Sonnenblumen ein heiteres Farbenspiel.


Einige herrliche Exemplare zeigen ihre Sonnenseite.

Freitag, 27. September 2013

mit dem Rennrad über die Margaretenhöhe nach Hennef

Der Temperaturgegensatz war krass. Vor drei Wochen war ich das letzte Mal Rennrad gefahren. Nun hatte sich die Temperatur halbiert, von 32 Grad auf 16 Grad. Um die Mittagszeit hatte Nieselregen die Sonne verscheucht. Der Himmel war aufgerissen, aber ein Hauch von Herbst hing in der Luft. Zaghaft waren Blätter auf den Fahrradweg gerieselt. Das Kratzen in meinem Hals bekam ich nicht richtig zugeordnet, ob es eine nahende Erkältung war oder ob sie unerkannt vorbei schlich.

In diesem Jahr hatte ich gezögert, über die Margarethenhöhe zu radeln. Der Schwierigkeitsgrad und der Höhenunterschied machten die Tour zu einer Art von Königsklasse. Doch der starke Autoverkehr hatte mich verleitet, die Tour ständig nach hinten zu schieben. Quer durchs Siebengebirge, war mehr als der viertkleinste Gang nicht drin. 250 Meter Höhenunterschied auf 5 Kilometern musste ich schaffen. „Achtung Wildwechsel“, mit diesen Schildern wurden die Autofahrer wach gerüttelt.

Ich quälte mich hoch. Dabei war die besondere Herausforderung, dass bis zur Passhöhe die Steigung nochmals auf 8% anzog. Platt und erschöpft kam ich auf der Margaretenhöhe an, die übrigens vom Margaretenkreuz und der Heiligen Margarethe ihren Namen erhielt. Die Heilige Margarethe lag auf einem mittelalterlichen Pilgerweg zum Petersberg.

Auf der Höhe verzweigte sich ein umfangreiches Wanderwegenetz, das am Wochenende Scharen von Wanderern anzog. Die höchsten Erhebungen des Siebengebirges lagen ganz in der Nähe, darunter der Ölberg mit seinen 460 Metern Höhe oder die Löwenburg mit 455 Metern Höhe.

Nachdem ich die Heilige Margarethe erreicht hatte, bretterte ich im Eiltempo die 8% Gefälle hinunter. Waldgebiete zischten vorbei. In Windeseile erreichte ich Ittenbach. Der kleine Ort mit 3.000 Einwohnern war ein weiteres Beispiel dafür, wie schlecht ich meine Heimat kannte. Von der Hauptstraße bog ich ab zu dem kleinen und feinen Ortskern. Solche Häuser, die aus mausgrauen Steinquadern gemauert waren, hatte ich kaum irgendwo im Siebengebirge entdeckt, geschweige denn sonstwo in unserer Umgebung. Mit diesem grauen und massiven Eindruck fühlte ich mich mitten in die Vulkaneifel versetzt. Das war durchaus logisch, denn auch das Siebengebirge war aus erloschenen Vulkanen entstanden. Die Grautöne fügten sich harmonisch zusammen. Das Eiscafé war sogar gut besucht und die Tische drängelten sich in den verkehrsberuhigten Ortskern.

Ich schwenkte zurück zu der Hauptstraße, die zielstrebig auf die Autobahnauffahrt zusteuerte. In der Mitte des Kreisverkehrs klotzte eine großspurige Skulptur aus Eisen. Noch angeberischer wuchs das Logo von Mc Donald’s in die Höhe. Ich wurstelte mich über den miserablen Zustand des Fahrradwegs, der aus aneinandergefügten Betonplatten bestand. Manche Kanten standen über, so dass ich bergabwärts ruckartig über die Betonplatten donnerte. Das war nicht nur unverschämt, sondern sogar gefährlich.

Längs der geradlinigen Straße gruppierten sich zuerst Industriegebiete, dann wurde die doch meine Aufmerksamkeit angezogen, denn ab Oberpleis raste die Straße mit 9% Gefälle ins Pleistal hinab. Ich ließ mich im Tal daher gleiten, bis nach Pleiserhohn der nächste Berg auf mich wartete. Das war unspektakulär, denn die 120 Höhenmeter hielten sich in Grenzen gegenüber den anderen Steigungen, die mich in den letzten Monaten geschafft hatten. Locker trabte ich die Höhe hinauf. Ich genoß das Siebengebirge, um das ich einen weiten Bogen geschlagen hatte. Ich schleppte mich die Steigung hoch, das Blickfeld öffnete sich. Die Buckel des Siebengebirges bauschten sich auf, sie griffen in den erstarrten Himmel hinein und schienen in der Ferne unüberwindlich. Hinter dem Ortsausgang von Pleiserhohn entfernte sich das Siebengebirge. Die Berge schrumpften in meinem Rücken zusammen, die Steigung öffnete neue Horizonte, ich ließ mich auf der Höhe treiben. Mein Blick fiel hinab in das Siegtal, wo ich die Struktur, wo welche Seitentäler in das Siegtal flossen, nicht richtig durchschaute.

Söven, ein Golfplatz, die Sportschule Hennef, die rassige Abfahrt der Landstraße endete in Geistingen, dem ältesten Ortsteil der Stadt Hennef. Das Zusammenspiel zwischen Hennef und Geistingen bekam ich langsam einsortiert. Bis 1935 war Geistingen eigenständig mit eingemeindeten Ortsteilen wie Blankenberg. 1935 wurden alles nach Hennef zurück eingemeindet. Der 8. März 1945 hatte von Geistingen nichts mehr übrig gelassen, als ein Luftangriff den Ort komplett zerstörte.

Ich mache einen Abstecher in das Zentrum von Hennef. Die Bahnlinie vollzog eine klare Trennung von Hennef und Geistingen. Das Zentrum oder die Fußgängerzone war keine Augenweide, doch die Ausgangssituation war in Hennef anders. Hennef besaß keinen Marktplatz, sondern das Stadtleben entfaltete sich entlang der Frankfurter Straße, die, wie ihr Name vermuten ließ, eine alte Handelsstraße zum weit entfernten Frankfurt war. 1969 wurde Hennef Stadt. Alle wollten ein Zentrum, weil sich längs der Frankfurter Straße kein Kristallisationspunkt des Geschäftslebens ausmachen ließ. Eine Büromöbelfabrik, die auf dem Areal der heutigen Fußgängerzone stand, war Pleite gegangen und gab ihre Produktion auf. Das Zentrum von Hennef war eine Vernunftentscheidung. Ob andere Architekten hübschere Stilformen zustande gebracht hätten, darüber läßt sich trefflich streiten. Es ist ein wenig wie in der modernen Kunst: alles ist nüchtern, kalt, sachlich, schnörkellos, Minimalismus in den Formen, ohne Verzierungen. 

Ich ließ mich nicht abstoßen von diesem einfallslosen Bild dieser Stadt und drehte zurück. Vielleicht sollte ich wirklich nicht in den Kern hinein schauen, sondern an den Rand. Dort war Hennef sehr hübsch. Aus meiner Perspektive als Rennradfahrer.

Donnerstag, 26. September 2013

Städte im Rheinland (2) - St. Augustin


Hinter der Bezeichnung der Straßenbahnhaltestelle wittere ich einen handfesten Betrug. Mit „St. Augustin Markt“ verbinde ich einen Marktplatz mit ansehnlichen Bürgerhäusern. Das Stadtleben sollte dort pulsieren. Ein Rathaus und eine Kirche – mindestens im Stil der Gotik. Doch von all diesen Vorstellungen und Phantasien finde ich nichts, wenn ich die Straßenbahn verlasse.

Rasch stelle ich fest, dass die wahre Attraktion das Einkaufszentrum „HUMA“ ist. Die sagenhafte 30.000 Quadratmeter Einkaufsfläche sprengen den Gesamteindruck. Parkplätze ufern aus. „Auf Wiedersehen“: mit diesem Schild werden die Kunden freundlich verabschiedet, wenn sie den Parkplatz verlassen. Doch so viel Freundlichkeit suche ich jenseits der Einkaufsmeile vergeblich. St. Augustin ist keine Stadt zum Hinsehen. Man kann sich in diese Stadt nicht verlieben. Genau so kenne ich ansonsten St. Augustin: hinfahren, einkaufen, wieder weg, im Tempo des Autofahrens rauscht die Stadt vorbei.

St. Augustin, diese Stadt zwischen Bonn und Siegburg, ist ein künstliches Gebilde, das die kommunale Neuordnung 1969 aus acht Gemeinden geschaffen hat. Und egal, wohin ich schreite, ich stochere in diesem künstlichen Gebilde herum. St. Augustin ist eine Stadt aus der Retorte, die auf der grünen Wiese zusammengewürfelt worden ist. Und ich bin überrascht, dass es ihn sogar gibt, diesen Markt, sozusagen auf dem Hinterhof des Einkaufszentrums. Peer Steinbrück stiert auf seinem Wahlplakat in die Leere des Platzes hinein. Das Wesen dieses Platzes begreife ich an dessen Rand: er ist absolutes Mittelmaß, so wie die Poller aus Eisen, die ihn abgrenzen. Die regen Stunden in der Eckkneipe lassen noch auf sich warten. Das ist von 18 bis 20 Uhr, denn dann gibt es Cocktails zum halben Preis.

Ordnungsamt, Stadtbücherei, Konrad-Adenauer-Stiftung, Hotel Regina, Techno-Park: schnörkellos reihen sich die Bürobauten aneinander, auf dem Mittelstreifen der Straße rappelt sich ein bißchen Grün zusammen. Ich wundere mich, dass sich an den Fassaden aus Beton noch keine Graffiti-Sprayer ausgetobt haben.

In der Nähe zu Bonn, ist St. Augustin mit seinen 54.000 Einwohnern geradezu explodiert. Stadtteile wie Niederpleis oder Menden sind durchaus homogen gewachsen. Dass sich der Ort St. Augustin erst relativ spät bildete, daran ist zum Teil die gute deutsche Bürokratie Schuld. 1894 hatte Xaver Henroset an der Elektrischen Bahn von Bonn nach Siegburg ein Haus gebaut. An einer Straßenkreuzung, die mit Pferdefuhrwerken viel befahren war, wollte er eine Gaststätte eröffnen. Die Kreisverwaltung meinte, sie könne nicht kontrollieren, ob den Fuhrmännern zuviel Schnaps ausgeschenkt würde. Daher verweigerte sie die Genehmigung. Xaver Henroset schaltete einen Anwalt ein und sammelte Unterschriften, doch die Bürokraten in der Kreisverwaltung ließen sich nicht beeindrucken. Das änderte sich erst 1904, als sie in der Nähe die Genehmigung für ein Kaffeehaus erteilten. In diesem Zug bekam auch Xaver Henroset seine lang ersehnte Genehmigung. Es war die Gaststätte, aber auch das Kloster, um den sich so etwas wie einen alter Ortskern von St. Augustin formierte.


Auch hier hatte der Staat etwas gegen die Klostergründung. Dem Staat war das Kloster suspekt, weil dort Theologie-Studenten zu Missionaren ausgebildet werden sollten, die dann in die ganze Welt geschickt wurden. Im Zeitalter des Imperialismus betrachtete das Deutsche Reich solche Ordensaktivitäten als kritisch, da dies den weltpolitischen Interessen zuwider laufen konnte. 1913 erteilte schließlich die Bezirksregierung eine Genehmigung für einen Klosterbau von maximal 15 erholungsbedürftigen Ordensangehörige, deren Gesundheit in den Tropen gelitten hatte. Mit dem ersten Weltkrieg wurde die Begrenzung der Ordensaktivitäten hinfällig. Heute befindet sich ein Priesterseminar im Kloster St. Augustin. Natürlich haben die Missionare der Stadt ihren Namen vererbt. Die Klosteranlage wirkt inmitten der Aufbruchstimmung der Stadt St. Augustin befremdend und überladen.

Die Stadt begreift sich als Wissenschaftsstandort. Die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, die mittlerweile vom Fraunhofer-Institut übernommen wurde, hatte dort seit 1968 Fuß gefaßt. 1995 wurde im Rahmen des Bonn-Berlin-Beschlusses die Fachhochschule Rhein-Sieg neu gebaut. Technologieparks und Gründerzentren wuchern in die Peripherie hinein.

Das Denken wird in St. Augustin zum Stilbruch. Einer der berühmtesten Denker der Spätantike – der Heilige Augustin – hat der Stadt ihren Namen gegeben. Doch die Gegenwart dieses Theologen und Philosophen, der von 354 bis 430 in Nordafrika gelebt hat, spürt man nicht. Die Abgeschiedenheit und die Kontemplation, in der der Heilige Augustin lange Zeit gelebt hatte, geht in diesem künstlichen Gebilde der Stadt unter. St. Augustin wuchert. 1968 wurde die Gaststätte von Xaver Henroset platt gemacht, die einst einhundert Meter freies Feld vom Kloster trennten. Den Notwendigkeiten einer größeren Straßenkreuzung musste sie weichen.

Ich bahne mir den Weg durch die Wissenschaftsstadt St. Augustin. Mathematik stößt auf Philosophie, die Naturwissenschaften auf Theologie. Die Wissenschaft findet zwischen all den Baukörpern aus Glas, Metall und Beton keine Ordnung. In den Freiflächen wuchert Unkraut. Bauzäune verrammeln das Areal. Für ein Haus mit heruntergelassenen Rolläden hat die letzte Stunde geschlagen, bevor es demnächst abgerissen wird.

In diese Tristesse lächelt an einem Zaun auf einem Plakat ein hübsches Frauengesicht hinein. In wenigen Tagen wird ein neues Frauen-Fitness-Studio eröffnet. Das Lächeln der Mittzwanzigerin überstrahlt alles.



Samstag, 21. September 2013

Deutschland-TÜV oder Gedanken zur Bundestagswahl


Dem Fluch der 5% konnte ich in dieser Woche nicht entrinnen. Nach der Landtagswahl in Bayern war das Geschachere und Geschiebe um Zweitstimmen losgegangen. Die 5% steigern sich zur mystischen, geheimnisumwitterten Größe, denn die 5% können  sämtliche Parteikonstellationen auf den Kopf stellen. SPD, Grüne, die Linke, alle ziehen sich hoch, wenn eine CDU und FDP es gemeinsam nicht mehr können und durchdacht werden muss, was die übrige Parteienlandschaft gemeinsam kann. Politische Themen habe ich ursprünglich in meinem Blog aussortiert. Politik nervt mich, ist mir zu kompliziert und vor allem: ich habe keine Ahnung davon. Mit der Treffsicherheit anderer Polit-Blogs kann ich nicht mithalten. Doch die Bundestagswahl beherrscht alles, wohin man auch schaut.

Ich tue mich schwer mit der Informationsflut zur Bundestagswahl. Das Fernsehduell zwischen Merkel und Steinbrück habe ich nicht mit verfolgt. Um mich zu informieren, war die Reportage zum Deutschland-TÜV im SWR-Radio (SWR1 Leute Baden-Württemberg) richtig gut gemacht. Die Reporter Jana Lange und Andreas Hain waren quer durch die Republik gereist, um Ängste, Nöte und brennende Themen der potenziellen Wähler einzusammeln. Mit dem Deutschland-TÜV wollten die Reporter unserer Republik ein Zertifikat ausstellen, wie sie im Umfeld von Ängsten, Nöten und brennenden Themen bewertet wird.

Ich war überrascht, dass die Grundtendenz durchaus positiv war. Verglichen mit dem TÜV: ja, unsere Republik hat Mängel; diese müssen nachgebessert werden, aber unsere Republik ist fahrtüchtig; wo es drückt und klemmt, können Ausreißer gerade gerückt werden. Nicht die erforderliche Nachbesserung, sondern der positive Grundton widersprach meiner persönlichen Wahrnehmung.

Mitten im Volk, haben Lange & Hain die Stimmungen eingefangen. 1. In Stralsund haben sie mit streikenden Bäckerei-Angestellten geredet, die teilweise für 4,50 € Stundenlohn arbeiten  2. Ähnlich war der Fall bei einem Friseur aus Gera mit einem Stundenlohn von 6,50 € gelagert; er hatte kein Geld, eine Heirat mit Freundin und Kind zu bezahlen  3. In Hoyerswerda war die Einwohnerzahl wegen hoher Arbeitslosigkeit in 15 Jahren von 70.000 auf 45.000 geschrumpft; Plattenbauten wurden abgerissen; in der Innenstadt sah man nur noch Rentner und alte Menschen  4.  In einer 200 Seelen-Gemeinde im Hunsrück hatte eine Ärztin, die Anfang 40 war, gegen den Trend eine Hausarztpraxis übernommen; sie schätzte den engen Kontakt auf dem Dorf sowie das zur Verfügung stehende Zeitkontingent, auf die Belange der Patienten individuell eingehen zu können  5. Bei einer Wohnungsbesichtigung in der Münchener Innenstadt mussten sich die Interessenten in eine Warteschlange von über 50 Menschen einreihen; die Kommunikation mit dem Makler verlief einsilbig; der Makler hatte einen einfachen Job, denn er konnte bei einer miserablen Wohnqualität eine ordentliche Provision abkassieren   6. Bildung wird zum exquisiten Gut weil sich nur noch besser verdienende Bildung leisten können; so begann ein Abiturient aus Cuxhaven eine Ausbildung, weil er aus einer kinderreichen Familie stammte (5 Kinder), da er sich kein Studium leisten konnte   7. Vor lauter Lebensmittelskandalen wissen die Menschen nicht mehr, was sie essen sollen; in Möhringen vor den Toren von Stuttgart gibt es ein gemeinsames Projekt von Bürgern und Bauern; die Einwohner von Möhringen helfen bei der Feldarbeit mit, im Gegenzug garantieren die Bauern einen vollständig ökologischen Anbau …

Mich hatte überrascht, dass selbst in den problematischen Orten/Städten/Gegenden den beiden Reportern die Situation positiv beschrieben wurde. Die Menschen arrangierten sich, sie machten das beste aus ihrer Situation, sie schauten optimistisch nach vorne. Während der Ära von Gerhard Schröder war dies genau umgekehrt: die Deutschen waren als ein Volk von Miesepetern und Unzufriedenen beschrieben worden. Man jammerte auf hohem Niveau. Insbesondere die Geringverdiener aus Stralsund und Gera akzeptierten ihre Situation, weil sie lieber für einen Niedriglohn arbeiteten als auf der Straße zu sitzen. Sie warfen zwar die Frage auf, was Arbeit Wert ist, sie gaben aber den Politikern recht, dass Niedriglöhne das kleinere Übel sind gegenüber Arbeitslosigkeit.

Diese Radiosendung mischte den ansonsten faden Bundestagswahlkampf auf. Ich kann die ganzen Wahlplakate nicht mehr sehen, obschon die Demokratie, wofür wir in Europa über Jahrhunderte gekämpft haben, an für sich ein Fortschritt ist. Wahlplakate und Politiker: in ihren Posen bewegen sie sich hinab auf das Niveau der Werbung. Der Informationsgehalt ist gleich Null, alles aufgehübscht, die Sprüche sind wirklichkeitsfremd. Und so höre ich auch die Politiker über die 4-jährige Legislaturperiode reden. Vor lauter Luftblasen tue ich mich schwer, die eigentlichen Inhalte zu identifizieren. Und verstehen muss ich diese Inhalte noch, um dies bei der nächsten Wahl beurteilen zu können. Printmedien, Fernsehen oder Radio geben sich zwar reichlich Mühe, diese Inhalte verständlich darzustellen. Aber allzu oft frage ich mich: muss ich das alles wissen ? Wenn wir in unserer Informationsgesellschaft ohnehin überschwemmt werden mit Informationen, die wir überhaupt nicht brauchen.

Ist unsere Republik fahrtüchtig ? Gewiss läuft vieles rund in unserer Republik, denn so schlecht – vor allem wenn man rückwärts in vergangene Jahrhunderte schaut – geht es uns nicht. Wir brauchen nicht zu verhungern, wir durchleben mittlerweile eine fast 70-jährige Phase des Friedens. Dennoch beleuchte ich gerne als kritischer Geist diejenigen Problemfelder, an denen gearbeitet werden muss. Mein Interesse steigt um ein vielfaches, wenn Probleme global zu betrachten sind – während unsere Regierung in ihrem nationalen Denken gefangen ist. Oder wenn der Staat sich in der Rolle des Zuschauers zurückzieht und auf die Segnungen unserer Marktwirtschaft vertraut – die nicht nur manche Beschäftigte, sondern auch die Umwelt und die Dritte Welt ausbeutet. Diese Sichtweise kam  in der SWR1-Reportage zu kurz. Umgekehrt will ich aber nicht so weit gehen, wie manche Intellektuelle es tun: sie halten die Politik für so ineffizient, dass sie direkt oder indirekt zum Nichtwählen aufrufen. So äußerte sich der Philosoph Richard David Precht in einer Fernsehshow, es sei ihm persönlich nicht wichtig, ob er wähle oder nicht.

Morgen ist es soweit. Die Schar der Nichtwähler werde ich nicht vergrößern. Aus alter Gewohnheit werde ich mein Kreuzchen bei derjenigen Partei machen, wo ich es sonst immer gemacht habe. Die Überzeugung fällt mir mittlerweile schwer, denn die Unterschiede zwischen den Parteien verschwimmen. Morgen werden wir wissen, wen der Fluch der 5% trifft.

Mittwoch, 18. September 2013

Duelle, Saufgelage und der Karzer der Universität

An der Universität ging es nicht zimperlich zu.

Franz Boas, aus Minden in Westfalen stammend, studierte seit 1877 an der Universität Bonn Geografie. Verschanzt hinter Büchern und Atlanten, wohnte er in seiner Studentenbude in der Burschenschaft Alemannia. Es war ein giftiger, drahtiger Kommilitone, der ihn in der Vorlesung „Geografische Methodenlehre“ hänselte. „Jude, was hast Du als Jude hier zu suchen ?“ insistierte er. Vorlesung für Vorlesung hatte er seinen Judenhass nicht im Griff, bis Franz Boas der Sache überdrüssig wurde.

„Um 8 Uhr Morgen früh im Hofgarten … „ schaute der zutiefst Beleidigte seinem Kontrahenten nachdrücklich in die Augen und verlangte Satisfaktion.

Beim Duell um 8 Uhr im Morgengrauen machte Franz Boas kurzen Prozess. In seiner Burschenschaft Alemannia beherrschte er die Fechtkunst wie kaum ein anderer. Die beiden Duellanten schritten aufeinander zu, Franz Boa schwang den Säbel einmal, zweimal, täuschte einmal, zweimal, dann ratschte der Säbel in das Gesicht seines Kontrahenten.

Auf der rechten Backe klaffte eine Wunde. Das Gesicht voller Blut, sackte der freche Mitstudent zusammen. Das reichte. Franz Boas wollte keinen anderen Menschen umbringen.

Aber das Studentenleben war vor mehr als 150 Jahren nicht nur rauh, sondern auch feucht-fröhlich. Vor dem Eingang seiner Studentenbude hatte Franz Boas den berühmten §11 der Prinzipien seiner Burschenschaft verewigt: es wird fortgesoffen. Franz Boa hatte in seiner Burschenschaft einen Führungsposten als Schriftwart inne. Er war trinkfest und legte beim Zechgelage am Wochenende die Reihenfolge der Kneipen fest. Die Sauferei ging bis weit nach Mitternacht. Die  lallende Sprache der Studenten verkam zur Unkenntlichkeit, ihre Schritte torkelten. Am nächsten Tag konnten sie sich nicht zurückerinnern, wie sie den Weg zu ihren Studentenzimmern zurückgefunden hatten.

Ihre Alkoholexzesse blieben ohne Folgen, doch es hätte auch anders kommen können. Bei anderen Studenten wurde durchgegriffen. Nachts gröhlten sie auf dem Marktplatz vaterländische Lieder, ließen den Kaiser hoch leben und scherten sich nicht um die Nachtruhe. Die Pederellen rückten aus – das war die Universitäts-eigene Polizei. Sie sammelten die nächtlichen Ruhestörer ein und warf sie kurzerhand in den Karzer, der in der Bonner Universität über dem heutigen Koblenzer Tor lag.

Karzer, lateinisch „carcer“, daraus abgeleitetet das deutsche Wort „Kerker“, das war das Universitäts-eigene Gefängnis. Seit ihrer Gründung – sie reichte bei manchen Universitäten ins Mittelalter zurück  - hatten diese das Privileg einer eigenen Gerichtsbarkeit. Sie waren eine Ordnungsmacht, hatten Mittel und Möglichkeiten, ihre Studenten zurechtzuweisen, vor allem, ein ausschweifendes Leben zu bestrafen. Sie schritten ein bei Prügeleien, Saufgelagen, Duellen, nächtlichen Ruhestörungen, Überschuldungen oder anderen Exzessen. Wer zu häufig im Karzer saß, dem drohte die Exmatrikulation und der Verweis von der Universität.

Wenn Studenten sturzbetrunken bei einer Sauftour aufgegabelt wurden, konnten sie im Karzer landen, um ihren Rausch auszuschlafen. In den meisten Universitäten war es ein Kellerraum, der von meterdicken Mauern umschlossen war. Karg und ungeheizt, schauten die Inhaftierten auf nackte Wände, die im Laufe der Zeit mit allerlei Sprüchen und Karikaturen verziert wurden. Manche Karzer, die bis heute erhalten sind, stehen unter Denkmalschutz – so in den Universitäten Freiburg, Göttingen, Marburg und anderen Universitätsstädten.

So manches Karzer-Buch ist bis heute erhalten. So besagten die Regeln der Universität, dass derjenige, der nachts sturzbetrunken angetroffen wurde, eine Ordnungswidrigkeit beging. So wie heutzutage die Stadtverwaltung über Ordnungswidrigkeiten bescheidet, legte der Richter an der Universität die Strafe fest. Je nachdem, wie oft ein Student bei einem Saufgelage in der Stadt erwischt wurde, konnte es passieren, dass er drei bis fünf Tage in der Ausnüchterungszelle ausharren musste. In dieser Zeit war es ihm sogar untersagt, Vorlesungen zu besuchen. Die Strafen für die politische Aufwiegelei anderer Studenten waren sogar drakonisch, nämlich bis zu drei Wochen.

Der Karzer wurde wenig ernst genommen. So berichtet der Jurist Karl Schorn, der 1837 im Karzer der Bonner Universität einsaß, in seinen Memoiren:
"Ich sage: der Karzer war ein fideles Gefängnis, denn den Inhaftierten war der Empfang des fast nie fehlenden Besuchs bei Wein und Bier gestattet, und zuweilen ging es dabei hoch her, so dass die beträchtlichen Bewirtungskosten verbunden mit den Verpflegungs- und Bedienungskosten seitens der Ehefrau Baude (das war die Gattin eines Pedellen) eine bedeutende Auszehrung des mit inhaftierten Monatswechsels im Gefolge hatten".

Ein anderer eingekerkerter Student berichtet, wie kurzweilig es war, wenn mehrere Studenten eingesperrt waren. Sie vertrieben sich die Zeit mit Kartenspielen und für Bier und Verpflegung war stets gesorgt.

Nach 1879 neigte sich die Zeit der Karzer dem Ende zu, denn ein neues Gerichtsverfassungsgsetz trat in Kraft. Die eigene Gerichtsbarkeit von Universitäten wurde abgeschafft.  Als Stätte der Disziplinierung blieben die Karzer erhalten, doch sie setzten sich nicht durch. Bis zum ersten Weltkrieg wurden alle Karzer aufgelöst. Gefeiert wurde immer. Gesoffen wurde immer. Es wird immer Studenten geben, die die feucht-fröhliche Seite ihres Studentenlebens auskosten - auch ohne Karzer.

Sonntag, 15. September 2013

Cafés, Bistrots und Malerei

Einen Post über Cafés und Bistrots schiebe ich längere Zeit vor mir her. Etliche Puzzlestücke fehlen. Auf die Schnelle nach Paris fahren, um Bistrots zu fotografieren, ist nicht drin. Gerne trinke ich in heimischen Cafés meinen Kaffee, ich lese, ich beobachte Menschen, lasse mich von der regen Atmosphäre inspirieren.

Eine Kurzversion habe ich jedenfalls zusammenbekommen vom Pariser Montmartre, Malerei und der Café-Atmosphäre zu Hause.
Quelle: Wikipedia
Auf dem Montmartre in Paris steht ein Schild, dass dort 1814 das erste Bistro entstanden ist. Russische Kosaken hatten Paris besetzt. Die Russen drangen in ein Café ein und orderten schnell ihre Getränkebestellung. Mehrfach wiederholten sie das Wort "schnell". „Schnell“ heißt auf Russisch „Bistro“ (oder so ähnlich in kyrillischer Schrift).



2007 war ich das erste Mal in Paris. Auf dem Montmartre, nicht unweit von der "Keimzelle" aller Bistrots, habe ich die Maler bewundert.





Französische Impressionisten habe ich nun in einem heimischen Café gesichtet. Zwei dieser Gemälde stammen im Original von Renoir. Ich besuche unterschiedliche Cafés. Manchmal packe ich auch meinen Laptop aus und schreibe meine Blogs.


Die Gemälde spiegeln sich in Spiegeln mit schwerem Bronzerahmen.

Gerne hätte ich Fotos von Pariser Bistrots gezeigt. Ich kann aber nicht auf die Schnelle nach Paris fahren, um Bistrots zu fotografieren.



Ersatzweise zeige ich Euch Fotos von Cafés in Lüttich, die mindestens genauso sehenswert sind wie diejenigen in Paris.