Donnerstag, 12. September 2013

mit dem Fahrrad durch die Fußgängerzone


Es waren Momente, die ich auskostete. Augenblicke sind so vergänglich. Mein Blick bohrte sich durch die Schaufensterscheibe. Ein leiser Wind strich über den noch frühen Morgen. Fußgänger trabten, wie von Geisterhand gelenkt, durch die Fußgängerzone. Aufrecht ruhte mein Oberkörper auf dem Sattel. Ein bißchen Restschlaf drohte meine Augen zuzudrücken. Doch ich weigerte mich, steuerte mein Fahrrad in schlafwandlerischer Sicherheit an den Schaufenstern vorbei. Eine Buchhandlung. Meine Liebe zu Büchern munterte mich in der Morgenfrühe auf. Meine Neugierde durchdrang das Schaufenster. Die aktuelle Bestsellerliste lachte mich an. Ich überlegte, welches Buch ich als nächstes lesen wollte: „Die Große Volksverarsche“ oder „Ego – das Spiel Deines Lebens“ oder „Showdown – der Kampf um Europa und unser Geld“ oder etwas ganz anderes ?

Die spannungsgeladenen Buchtitel elektrisierten mich. In Gedanken und Ideen tauchte ich ab. Eindrücke, Orte und Momente fügten sich zu Ideen zusammen. Ich verglich mit dem, was ich einst gedacht hatte. Ich selektierte, verwarf, ergänzte, ordnete über, ordnete unter, gewichtete, bewertete, revidierte, bildete meine gedanklichen Strukturen neu. Gedanken und Ideen kommen und gehen, man kann sie nicht herbei zwingen.

Es war nicht nur die Buchhandlung, die mir zu morgendlichen Gedankensprüngen verhalf. Wirr und unsortiert und ohne die Einkaufsscharen, unterbrochen von zwecklosen Zwischenräumen, trudelte Schaufenster für Schaufenster an mir vorbei.

Wenn es nach den Telekommunikationsanbietern ginge, sollte ich all meine Phantasie ins Netz stecken. 50 Minuten in alle deutsche Netze, 200 SMS in alle deutsche Netze, 200 MB Internet-Flat für nur 9,95 € monatlich, warb eine kleine gelb-blaue Zeichentrickfigur, die mit ihrer grau-umrandeten Brille klug und zugleich besserwisserisch dreinschaute. Das war krankhaft, wie diese Läden von Handys und Smartphones wie Pilze aus dem Boden geschossen waren.

Die Geschäftigkeit des Tages steckte in den Startlöchern. Ein Transporter parkte, die Heckklappe war aufgerissen, Töpfe mit Farbe bedeckten die Ladefläche. Der Maler in der weißen Arbeitshose schien sich auf seine Arbeit zu freuen, denn er grinste mich an. Ein Stück weiter, stapelten sich Schuhkartons im Schaufenster. Herzen mit Prozent-Schildern und Aktionspreisen gierten nach Kunden. Vor dem chinesischen Imbiss lief mir das Wasser im Mund zusammen, denn mein Blick krallte sich an dem Pylon fest. Die Teller mit gebratenem Eierreis oder gebratenem Hühnerfleisch oder Chop Soey sahen darauf täuschend echt aus.

Ich versank in der Monumentalität des Augenblicks. Vor mich her träumend, machten meine Gedanken eine überraschende Kehrtwendung: Polizei ? Denn ich befand mich Fahrrad-fahrend in der Fußgängerzone.

Ich erinnerte mich an den Schockzustand, den die Polizei im Winter erzeugt hatte. Ich hatte eine rote Ampel mit Grünpfeil überfahren. Das hatte mich neunzig Euro und drei Punkte in Flensburg gekostet. Und hatte mir mächtigen Respekt vor den blau-grau uniformierten Männchen oder Frauen eingeflößt.

Ein Herr um die 50, dessen lockiges Haar unerwartet an den Rändern seiner Glatze hervorquoll, stakste mir mit seinem dezent-blauen Sakko entgegen. Also keine Polizei. Ich musste höllisch aufpassen, denn die Polizei setzte eigene Streifen für Fahrradfahrer ein. Ich wollte und durfte mich nicht widersetzen, denn es war unstrittig, dass Verkehrsregeln auch für Fahrradfahrer gelten.

Aber morgens um 8 Uhr in der Fußgängerzone ? Hier herrschte eine fast beschauliche Ruhe. Die Rollgitter waren heruntergelassen. Ein gut aussehender, junger Mann trug „Bul Shoes“ und marschierte mir auf einem Werbeplakat entgegen. Ich erschrak, als ich auf einem anderen Plakat des Bürgerbundes las, dass die Zahl der Wohnungseinbrüche um 25,6% gestiegen war.

Fahrradfahren, wenn die Fußgängerzone mit Passanten bevölkert war, das war etwas anderes. Aber sei’s drum. Ich musste aufpassen. Vor einigen Wochen war ich einer Polizistin auf dem Bürgersteig geradewegs in die Arme geradelt, die glücklicherweise auf ein Verwarnungsgeld verzichtete. Dasselbe geschah in der Vorweihnachtszeit, als es den Bombenanschlag am Hauptbahnhof gegeben hatte. Ich musste aufpassen, denn vereinzelt sah ich Polizisten so frühzeitig, dass ich rechtzeitig in der Fußgängerzone vom Fahrrad absteigen konnte. Vor der Kennedybrücke gab es eine kritische Stelle, wo die Polizei häufig Beleuchtung und Bremsen kontrollierte.

Die Sicherheit der Fahrradfahrer zu kontrollieren, wer sicherlich berechtigt. Aber war die Art und Weise noch angemessen ? Als Fahrradfahrer passiere ich diverse Abbiegungen oder Einmündungen, wo sich manche Autofahrer nicht um Fahrradfahrer scheren, sondern mir die Vorfahrt nehmen und einfach durch brettern. Wenn ich nicht selbst aufpassen würde, hätte man meine körperlichen Überreste längst von der Windschutzscheibe eines Autos wegkratzen können. Greift an solchen neuralgischen Stellen die Polizei durch ? Was ist mit zugeparkten Radwegen ? Was ist mit Fahrraddiebstählen ? Früher habe ich über Jahre hinweg unter dieser Kriminalität leiden müssen. Hat sich dort endlich etwas getan ? Ich hatte zuletzt gelesen, dass die Aufklärungsquote seit Jahren um die 5% daher dümpelt. Ich habe die Schlagzeile des EXPRESS noch vor meinen Augen. „Polizei jagt Raser – und schnappt 92 Radler“, so wetterte die Zeitung beim Blitz-Marathon. Oft waren es Fahrradfahrer, die den Bürgersteig benutzten anstelle des mit einer gestrichelten Linie abgegrenzten Radweges auf der stark befahrenen Hauptstraße.

Das Ende der Fußgängerzone hatte ich ohne die Ordnungsmacht der Polizei erreicht. Morgens fuhr ich auf unterschiedlichen Strecken, um auf meinem Fahrrad ins Büro zu gelangen. Die Eindrücke in der Fußgängerzone waren gegensätzlich. Die noch nicht pulsierende Geschäftswelt lenkte meinen Blick ab auf die Räume, die sich zum Beobachten öffneten. Die Passanten waren keine Kunden, sondern zerstreuten sich und reduzierten sich nicht auf das Einkaufserlebnis.

In der Morgenfrühe hatte die Fußgängerzone ihren eigenen Charme. Ich denke nicht daran, diese Strecke morgendlich Fahrrad schiebend zu durch queren. Es sei denn, die Polizei gerät in Sichtweite. 

5 Kommentare:

  1. Buchhandlungen ziehen mich zwar immer magisch an, aber die Buchtitel würden mich nicht in Verzückung versetzen ;-).

    LG

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  2. So, so, da saust du also durch die Fußgängerzone. *g*
    Sie hat wohl zu jeder Tageszeit ihren ganz eigenen Reiz, finde ich.
    In manchen Städten finde ich es dort, wenn sie von Anlieferern zugeparkt werden, nicht gerade attraktiv und einfach auch zu laut, aber anders geht es ja nicht.

    Liebe Grüße und gute Nacht wünscht dir
    Christa

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  3. Das war mein erstes Fragezeichen auf der Stirn als ich die Überschrift gelesen habe. Kenne es nämlich auch nur als Verbot aus Deutschland, und finde es grundsätzlich auch gut. So sind leider nicht alle Radfahrer so rücksichtsvoll und nehmen sich ihre Vorfahrt und ihren Weg einfach so ohne auf Fußgänger zu achten.

    Ich bin als Kleinkind (vier Jahre) im Stadtwald von Köln von einem Rennrad angefahren/überfahren worden. Damals schon dort für Radfahrer verboten musste ich, nachdem ich durch die Luft geflogen bin, in Krankenhaus und hatte ziemliche Schürfwunden und Co. Kann mich noch so gut daran erinnern weil es einige Fotos davon gibt(nachher mit Verbänden) und mir meine Mum davon erzählte. Für sie damals ein Schock als eine Mutter rief: "Da fliegt ein Kind mit roter Lederhose durch die Luft"

    Den Reiz frühmorgens in den Städten finde ich auch hier klasse...wenn noch fast alles schläft und so langsam Bewegung reinkommt. Finde es eine ganz besondere Atmosphäre^^

    Liebe Nachtgrüssle

    Nova

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  4. wenn ich deinen Text lese, kann ich mir vorstellen dabei gewesen zu sein. Alles ist wieder so bildhaft beschrieben - und interessant!

    lieber Gruß zum Wochenende von Heidi-Trollspecht

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  5. schön Dich wieder beim fahren zu lesen!!!!Als wäre ich auch dabei!!!!
    Hab ein spannendes Wochenende
    LG
    Christa

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