Montag, 29. Dezember 2014

Schneespaziergang auf den Ölberg

Den Moment ausnutzen und die Schönheit des Augenblicks genießen. In der Nacht auf Sonntag war das geschehen, worauf wir im letzten Winter vergeblich gewartet hatten: es hatte so geschneit, dass selbst das Flachland in der Köln-Bonner-Bucht von einer dünnen Schneeschicht überzogen war. Eisige Temperaturen, genau gesagt, minus sieben Grad, begrüßten die glitzernde Morgensonne in der frostklaren Luft. Auf ins Siebengebirge. Wir fuhren zum Wanderparkplatz auf der Margarethenhöhe. Und von dort aus zu Fuß zum Ölberggipfel, wo wir auf dem höchsten Berg des Siebengebirges eine ordentliche Ladung Schnee erwarteten.



Noch stand die Sonne schräg und die Schatten waren lang. Das Spiel des Lichtes auf dem Schnee war grandios.



Mir war die Geschichte bislang wenig bekannt, dass der Ölberg um die 1900er-Jahrhundertwende zum Verkaufsobjekt wurde. Das klingt vielleicht schräg und vermessen, dass ein Berg verkauft wurde, oder vielmehr, nicht der ganze Berg, sondern ein Teil des Berges. Es war aber so. Das hängt mit der anderen Seite des Ölbergs zusammen, die nach Ittenbach weist. Wie in anderen Teilen des Siebengebirges, fraßen sich die Steinbrüche in die Berge hinein. Daraufhin setzte sich der Verschönerungs-Verein Siebengebirge (VVS) zum Ziel, diesen Raubbau an der Natur zu stoppen. Mit Unterstützung der Rheinischen Provinzial-Regierung führte der VVS Lotterieaktionen durch, die bis Köln reichten. Mit den Gewinnen kaufte der VVS Teile des Siebengebirges auf, um den Abbau von Gestein zum Erliegen zu bringen. So kaufte der VVS 1899 den nach Ittenbach weisenden Teil des Ölbergs auf, an dem der Steinbruch betrieben wurde. Zu dieser Zeit war eine solche unternehmerfeindliche Vorgehensweise möglich, da auch die Rheinische Provinzialregierung den Erhalt der Natur für wichtiger betrachtete als die Erhaltung von Arbeitsplätzen. Ich stelle fest, dass sich Argumente und Grundkonstellationen bis heute nicht verändert haben. Nach der Schließung der Steinbrüche im Siebengebirge – das geschah bis 1940 - haben sich diese verlagert, in den Westerwald hinein und auf die andere Rheinseite ins Drachenfelser Ländchen.


Ich traute kaum meinen Augen, als uns zwei Mountainbikefahrer begegneten. Bergauf, stelle ich mir dieses Landschaftsgefühl noch prickelnd vor, wie man in der weißen Schneelandschaft mit um die 10% Steigung den Berg hoch kraxelt. Aber bergab ???? Ich würde nur noch schieben, alles andere wäre bei diesem glatten Untergrund Wahnsinn und Selbstzerstörung.


Auch dieser Mobilfunkmast dürfte zum Denken anregen. Der Netzempfang ist zwar bestens, aber muss man dafür dermaßen die Landschaft verschanden ? Ginge es nach den Netzbetreibern, würde das Siebengebirge im Zuge der superschnellen LTE-Netze mit weiteren Mobilfunkantennen zugepflastert. Dagegen wehrt sich mittlerweile eine Bürgerinitiative „Risiko Mobilfunk“. Immerhin hat diese Bürgerinitiative erreicht, dass auf der Rückseite des Ölberges – in Richtung Thomasberg – das Oberverwaltungsgericht Münster im Jahr 2012 den Aufbau eines weiteren Mobilfunkmastes untersagt hat.


Man beachte die Schreibweise des Gasthauses auf dem Ölberg: nicht „Ö“, sondern „Oe“. Der Ölberg hat nichts mit der Bibel zu tun, sondern er leitet sich ab aus einer Grenzmarkierung im Mittelalter zwischen den Kölner Erzbischöfen und dem Herzogtum Berg. „Mael“ stand einst für einen Grenzstein, daraus wurde nach einigen Sprachverwandlungen „Oelberg“, geschrieben mit „Oe“.


Als wir das Gasthaus betraten, um eine Tasse Kaffee und einen Kakao zu trinken, waren wir überrascht, welches rege Treiben gegen zehn Uhr morgens herrschte. Ob wir denn einen Tisch reserviert hätten, fragte uns der Kellner, den wir in einem Übergangszustand zwischen Hektik und Panik erwischten. Die meisten Tische waren belegt, lange Tische, an denen sich Gruppen zusammengefunden hatten, oder Familien von Opa und Oma bis zu den Enkelkindern, um dem familiären Beisammensein auf 460 Metern Höhe neue Dimensionen zu verleihen. Ja, so gerade waren zwei Plätze noch frei, und wir konnten beobachten, wie man auf den frühen Morgen mit einem Glas Sekt anstieß, wie der Brötchenkorb zum Bauernfrühstück durch die Hände wanderte, wie die Marmelade als Brotaufstrich überquoll. Sonne und blauer Himmel hatten wohl beigetragen, dass überall gute Laune herrschte.







Vor und nach unserer Pause im Ölberggasthaus genossen wir die Aussicht von der Plattform. Der 360 Grad-Rundumblick besticht in der Tat, über das Siebengebirge hinweg, auf den Rhein, auf Bonn und an Tagen mit klarer Sicht bis nach Köln.



Und auch auf unserem Rückweg entwickelten Bäume und Astwerk eine urwüchsige Kraft, als die schneebedeckte Landschaft des Westerwaldes hindurch schien. Dieser Spaziergang hatte sich gelohnt. In frostklarer Luft hatte ich die Schönheiten des Siebengebirges eingeatmet.

Samstag, 27. Dezember 2014

Heilige Gertrud von Nivelles - doppelte Zerstörung 1940 und 1944

Unterführung mit Wandmalerei
Gäbe es nicht die Stadtwerke, dann würde die Stadtlandschaft an manchen Stellen in einer heillosen Wüste aus Beton, Blech und Plastik versinken. Unscheinbare Kästen, rechteckig, platt, emotionslos, vollgespickt mit der Technik von Stromverteilungen, werden zum echten Hingucker, wenn sie bemalt sind und die Schönheiten der Stadt zeigen. Auch an Bushaltestellen hübschen die Wandmalereien die Warterei auf – und vertreiben die Tristesse. Eine Unterführung wird zum wahren Erlebnis der Malerei - so in der Fußgängerzone. Und sie erzählt eine Geschichte vom doppelten Leid und von einer doppelten Zerstörung.

Gertrud von Nivelles, 625 südlich von Brüssel geboren, war sie Urgroßtante Karls des Großen. Ihre Mutter gründete ein Kloster in Nivelles, und nach ihrem Tode leitete sie als Äbtissin dieses Kloster. Sie war eine hoch gebildete Frau, sie befasste sich mit den christlichen Schriften, die auf der Bibel aufsetzten. Nivelles machte ihr Kloster zu einem Zentrum christlichen und abendländischen Denkens, indem sie Abschriften aus Rom kommen ließ, wie die Bibel auszulegen war, und sie gewann irische Mönche, damit das christliche Denken in neue Dimensionen vorstoßen sollte. Ihr besonderes Anliegen war, Frauen eine adäquate Bildung zukommen zu lassen, was im 7. Jahrhundert eine Art von Revolution war. Heilig gesprochen wurde sie, da sie sich um Arme, Kranke, Witwen kümmerte. Sie ließ Armen- und Krankenhäuser und auch Pilgerhospize bauen. Viel zu jung, im Alter von 33 Jahren, starb sie.

Stiftskirche St. Gertrud in Nivelles; Quelle Wikipedia
Nach einer Legende machte sie Schluß mit einer Ratten- und Mäuseplage. Überall krochen Ratten und Mäuse aus Löchern und Ritzen hervor, sie drangen in Häuser ein, und selbst Scharen von Katzen konnten die Plage nicht eindämmen. Ratten und Mäuse machten sich über die Felder her, sie fraßen das Korn, und sie fraßen die Vorräte in den Kellern. In dieser Not betete Gertrud von Nivelles: mit einem Male verschwanden Mäuse und Ratten  - und sie wurden nie mehr gesehen. Viele Heilige haben ihr Spezialgebiet – Laurentius schützt vor Feuer, Hubertus schützt die Förster, Rochus schützt vor der Pest. Und die Heilige Gertrud schützt neben Ratten und Mäusen auch vor Ungeziefer. Also können diejenigen Haushalte aufatmen, in denen eine Gertrud wohnt, denn dann haben sie keinen Ärger mit Wespen, Motten, Küchenschaben, Kakerlaken, Wanzen und all diesen Insektenschwärmen, auf die jeder gut verzichten kann. 

Die Verehrung der Heiligen Gertrud hat sich von Brabant auch in das Rheinland verbreitet, so in das Kölner Agnesviertel, nach Düsseldorf-Eller oder nach Essen. Ein Gertrudis-Verein in Wattenscheid kümmert sich um die Tradition der Heiligen Gertrudis in den Weiten unserer Republik.

1258 kam diese Heilige aus Brabant auch in die Römerstadt Bonn, als auf den Fundamenten eines Tempels der Göttin Minerva ihr zu Ehren in Rheinnähe eine Kapelle gebaut wurde. Der Baustil der Kapelle war romanisch, wenngleich die gotischen Umbauten zur Zeit des Kurfürstes Clemens August mehrere Jahrhunderte überdauerten.

Doppeltes Leid und doppelte Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. 1940 überrollte Hitler die Benelux-Staaten, um sich im Westfeldzug beim Erzfeind Frankreich zu revanchieren für die Schlappe der 1918er-Niederlage. Belgien geriet dabei zur Spielwiese des Krieges, um im Aufmarschgebiet Belgiens die Angriffslinien des Heeres frei zu bekommen. Im Mai 1940 wurde die Lage prekär, da es in Nivelles einen Flughafen der belgischen Luftwaffe gab, wo die Deutschen auch französische Flugzeuge vermuteten. Eine Aufforderung zur Kapitulation am 10. Mai 1940 ignorierten die Bürger aus Nivelles. Daraufhin bombardierte die Luftwaffe am 14. Mai 1940 die komplette Altstadt Nivelles samt der Stiftskirche St. Gertrud aus dem Jahr 1046, die andere Bauformen hatte als Maria Laach, aber mit ihrem ausladenden Westwerk im romanisch-ottonischen Stil genauso gigantisch aussah. In diesem Bombardement ging gleichzeitig der vergoldete Reliquienschrein aus dem Jahr 1298 unter, der erst 1982 durch einen neuen Schrein aus Silber ersetzt wurde.

Wandmalerei Gertrudiskapelle (1)
Freude, Joy, Joie – so optimistisch geleitet die Wandmalerei durch die Unterführung in der Bonner Fußgängerzone. Das frische Grün des Siebengebirges haftet auf sprödem Beton, das Motto „weil Flair unbezahlbar ist“ wehrt sich gegen die Ausdruckslosigkeit. Beethoven und der Rhein tun ihr bestes, die Optik dieser düsteren Stelle aufzuwerten. Es ist die Kraft der Farben, die den wild daher gekraxelten Buchstaben „Z“ „U“ „M“ Flügel verleiht, so als hätte der blaue Geist aus der Sprühdose ganze Arbeit geleistet.

Und im Kreis der Wandmalerei rund um den Rhein, der Stadt und dem Schwung der Farben steht die Gertrudiskapelle, ein kleiner Bau in magerem Rosa, mit hohen gotischen Fenstern und nach oben gerichtetem Dach. Ratten krabbeln am Gewand, so dass die Heilige Gertrudis gleich im Gesamtpaket Schutz gegen Ratten, Mäuse und Ungeziefer aller Art anbietet. Am Fuß der Kapelle lese ich: „die Gertrudiskapelle stand bis zum 18. Oktober 1944 in Bonn am Rhein … „ 

Doppeltes Leid und doppelte Zerstörung. Am 14. Juni 1940 eroberte die deutsche Wehrmacht Paris, mit der französischen Kapitulation am 17. Juni 1940 dehnte Hitler deutsches Territorium bis zum Atlantik aus. Mit der Landung in der Normandie schlugen die Alliierten vier Jahre später zurück. Ohnehin hatte längst der Bombenkrieg auf deutsche Städte eingesetzt, der auch die Bonner Altstadt nicht verschonte. An eben diesem schicksalshaften Datum 18. Oktober 1944 ging neben der Bonner Altstadt, in der bis dahin einfache Bürger, Handwerker, Fischer, Kaufleute und Gewerbetreibende lebten, ebenso in Schutt und Asche unter wie die Gertrudiskapelle oder auch das originale Beethovenhaus.

Die Getrudiskapelle hätte mit ihren Überresten wieder aufgebaut werden können, doch die Verantwortlichen entschieden anders. Das Gelände wurde aufgeschüttet, um Hochwasserschutz zu schaffen und mit Wohnhäusern bebaut. Dabei spielte auch das Erzbistum Köln mit, das um 1950 Gelder zum Wiederaufbau der Gertrudiskapelle bereitstellte. Jahre danach wusste das Erzbistum Köln nichts mehr von diesen Geldern, die dann offensichtlich in dunklen Kanälen verschwunden waren. Im Jahr 2010 ist es der hartnäckigen Initiative des Travestie-Künstlers Curt Delander, dessen familiäre Wurzeln in die Bonner Altstadt zurückführen,  zu verdanken, dass mickrige Reste der Kapelle noch gerettet werden konnten.

Wandmalerei Gertrudiskapelle (2)
In diesem Jahr wurde die Wohnbebauung aus den 1950er Jahren abgerissen und in den Folgejahren durch einen postmodernen Wohnkomplex, den Rhein-Logen, ersetzt, der ein wenig wie die Kranhäuser im Kölner Rheinauhafen aussehen sollte, aber neben dem historischen Ambiente des Alten Zolls vollkommen missraten aussah.

Dazu musste all das, was in den 1950er Jahren als Hochwasserschutz aufgeschüttet wurde, wieder ausgehoben werden. Das waren Trümmer und der Schutt aus dem Zweiten Weltkrieg, und Curt Delander gelang es, Archäologen von der Stiftung Denkmalschutz zu mobilisieren, so dass gebuddelt werden konnte und die Steinreste seziert wurden. Die Ergebnisse zeigen, wie wenig sensibel Baubehörden und Architekten hierzulande mit historischem Kulturgut umgehen. Gesichert werden konnten Steine und Fundamente aus der Zeit von Römern, Franken und Karolingern, ebenso Überreste, aus denen ein Bildstock rekonstruiert werden konnte. Um all dies zu sichten, dazu hatten die Archäologen gerade einen Tag Zeit, nachdem die Ausgrabungen freigelegt worden waren.

Immerhin: die Suche nach dem gemeinsamen erlittenen Leid verband die beiden Städte. Curt Delander ging auf die Stadt Nivelles zu, und als Zeichen der Versöhnung erhielt er eine Kreuzrose, die zusammen mit Fragmenten aus der Gertrudiskapelle in einen Bildstock auf der Bonner Vogtsgasse integriert wurde. Und jährlich Anfang Oktober nimmt das Bonner Frauenmuseum an der Prozession der Heiligen Gertrud in Nivelles. Dann wird der Schrein der Heiligen Gertrud fünfzehn Kilometer lang auf einem historischen Wagen, der mit Pferden gezogen wird, rund um die Stadt in Brabant gefahren.

Dienstag, 23. Dezember 2014

frohe Weihnachten

Ich muss eingestehen, dass ich beim Schreiben dieses Posts eine faule Socke bin. Denn vor zwei Jahren habe ich mir wirklich Mühe gemacht, indem ich an unterschiedlichen Stellen, Orten, Ecken und Kanten Weihnachtsbäume fotografiert habe. Auch heute gefällt mir die unterschiedliche Dekorierung und Gestaltung von vor zwei Jahren sehr. Wieso das Rad ständig neu erfinden ? Daher erlaube ich mir, in diesem Jahr die Weihnachtsbäume nochmals zu zeigen. Ich bin mir sicher, dass meine Leser mir das Kopieren verzeihen. 

Der Blickwinkel liegt ohnehin auf dem Weihnachtsfest und auf seiner Botschaft, die sich aus der Bibel erschließt.

Ich wünsche allen Lesern ...
... ein frohes Weihnachtsfest
... besinnliche Festtage
... im Kreis der Lieben und der Familie.



Die Weihnachtsbäume habe ich in Warenhäusern, in einem Ladenlokal, im Supermarkt, im Haus der Geschichte, auf einem Werbeplakat oder in unserer Konzernzentrale fotografiert.










Montag, 22. Dezember 2014

Weihnachten 1914 in Nieuwkerke, Ploegsteert, Diksmuide

Nieuwkerke, eigenes Foto 1984
Regen und schlechtes Wetter machten ihnen zu schaffen, so als würde die Schlacht nicht von Granaten und in den feindlichen Stellungen entschieden, sondern von unten. Im Erdreich hatten sie sich eingegraben in ihre Schützengräben, das System hielt wie ein Bunker oder Panzer, wenn der Feind angriff. Und dann der Regen im Winter, der die Temperaturen knapp über Null drückte. Wechselweise fror es, aber er Regen kehrte zurück. Die Schlachtfelder verwandelten sich in eine Landschaft aus Morast, in der die Soldaten bis zu den Knien einsackten. Fünfzig Kilometer vom Meer entfernt, waren die Flussniederungen schlimm. Wenn es regnete, drang das Wasser von unten ein, es stand in den Schützengräben. Elektrische Pumpen, wie man sie heute verwenden würde, waren in Kriegen noch nicht einsatzfähig. Die Soldaten mussten heraus, und auf freiem Feld waren sie schutzlos Granateinschlägen, dem Feuer von Maschinengewehren oder dem Kugelhagel aus Gewehren ausgeliefert.

Flandern betrachte ich als eine persönliche Angelegenheit, seitdem ich es einst von Nord nach Süd, von Ost nach West, aus allen Himmelsrichtungen überquert hatte. Großeltern oder Urgroßeltern kenne ich nicht, die auf den Schlachtfeldern Flanderns getötet wurden. So mancher Ort in Flandern hat sich in mein Gedächtnis eingegraben, so Nieuwkerke. Ich hatte den Grenzfluss nach Frankreich, die „Lys“ oder „Leie“, überquert, und das Gelände stieg an, nach Nieuwkerke.  Auf den Hügeln spürte ich diese unermeßliche Ruhe, Ausgeglichenheit, Entspannung, Stille, Idylle, Friede, Natur, Glück. Einige Kilometer weiter kam dann der Schock, als ich den Gipfel des Kemmelbergs erreicht hatte. Das weiße Monument eines Soldatenfriedhofs baute sich auf, weiße Kreuze reichten bis zum Horizont. Meinen Blick auf so viele Kreuze gerichtet, erzeugten die Gefallenen des Ersten Weltkrieges einen Abscheu dieser Urkatastrophe. Wieso niemand die Reißleine gezogen hat und die ins blinde Verderben rennenden Soldaten aufgehalten hat, das konnte ich nicht verstehen. Selbst aus heutiger Sicht bin ich wütend, wieso Intellektuelle wie beispielsweise der Soziologe Max Weber ins Schwärmen gerieten: „ … der Krieg verleiht dem Krieger eine konkrete Sinnhaftigkeit und etwas Einzigartiges: In der Empfindung eines Sinnes und einer Weihe des Todes, wie sie ihm nur eigen ist.“

Verbrüderung von Soldaten 1914, Quelle Michael Jürgs
Und ich nehme es auch persönlich, wenn Textpassagen von Schriftstellern wie Thomas Mann oder Alfred Döblin in eine ähnliche Richtung gingen und den Krieg letztendlich befürworteten. Urteilen konnten sie nur aus einer sehr hohen Flughöhe. Zweifellos finden sich auch nach 1914 gegenteilige Stellungnahmen. Sie hatten wohl damit gerechnet – wie alle Soldaten – dass der Feldzug in wenigen Monaten entschieden sein würde. Nachdem die deutschen Truppen im September 1914 sich bis auf 50 Kilometer an Paris angenähert hatten, waren sie zurückgeschlagen worden. Im Dezember 1914 war nun die Kriegsfront auf einer Länge von mehr als 400 Kilometern erstarrt, wobei die Niederungen zum Meer hin von Kanälen durchzogen waren, um die Feuchtigkeit im Boden über Entwässerungskanäle abzuleiten.

Entwässerungskanäle, Wasser im Erdreich und höher gelegene Stellungen führten in diesem Abschnitt zu erbitterten Gefechten. Im Dezember 1914 hielten die deutschen Truppen Nieuwkerke und den Kemmelberg, während Engländer und Franzosen vergeblich anrannten und sich durch Schlamm und Morast in den vom  Wasser durchtränkten Schützengräben wälzen mussten. Leichen stapelten sich und konnten nicht geborgen werden. Weil die Soldaten möglicherweise beim Versuch, sterbende Soldaten zu bergen, umgekommen wären, mussten sie tage- und nächtelang das Röcheln, die Schreie und den Todeskampf sterbender Soldaten auf dem Schlachtfeld aushalten.

Nieuwkerke auf dem Kemmelberg und Ploegsteert im Tal der Leie liegen nur wenige Kilometer auseinander.  In diesem Frontabschnitt kämpften im Dezember 1914 Deutsche gegen Engländer. Es mussten deutsche Soldaten gewesen sein, die am Heiligabend begannen, Weihnachtslieder zu singen. Sie sangen: „Stille Nacht, Heilige Nacht“ und „Oh Tannenbaum“. Von irgendwo her organisierten sie einen Weihnachtsbaum, ließen Kerzen an ihm brennen und stellten ihn zwischen ihre Schützengräben.

Soldatenfriedhof auf dem Kemmelberg, eigenes Foto 1984
Sie sangen und winkten dem Feind zu, dass er nicht schießen sollte, weil Weihnachten war. Die Engländer verstanden. Die Feinde auf Leben und Tod gingen aufeinander zu, sie wünschten sich ein frohes Weihnachtsfest. Sie tauschten sich Geschenke aus, das waren Zigaretten und Alkohol. Und sie tauschten Adressen aus, um sich nach dem Krieg wieder zu sehen – doch das sollte leider noch eine sehr lange Weile dauern.

Und an einigen Orten spielten sie Fußball – so in Ploegsteert. Als Erinnerung enthüllte dort zuletzt der Präsident des UEFA-Fußballverbandes – Michel Platini – ein Denkmal an dieses historische Fußballspiel zwischen Deutschland und England im Dezember 1914.

In Diksmuide hatten die deutschen Soldaten bei ihren Eroberungszügen die Monstranz aus der Kirche geklaut. Nun äußern sie den Wunsch, die Weihnachtsmesse besuchen zu wollen. Sie gaben die Monstranz zurück und fanden einen Pastor, der ihnen die Weihnachtsmesse las.

Doch all diese wundersamen Ereignisse waren eng an das Weihnachtsfest 1914 gekoppelt. Nachdem der Zweite Weihnachtsfeiertag 1914 vorbei war, wurde an vielen Kriegsfronten wieder geschossen. Und auch in den nächsten Kriegsjahren musste man solche Verbrüderungsszenen vergeblich suchen: sie wurden nunmehr als Desertation betrachtet, aus Angst vor ihrem eigenen Leben hielten sich die Soldaten daran, und bis 1918 hatte der Krieg keine Rücksicht mehr auf das Weihnachtsfest genommen. 

Freitag, 19. Dezember 2014

Düsseldorf - eine schwierige Annäherung ?

Ich leugne es nicht, dass ich Berührungsängste habe mit dieser Stadt. Eng mit Bonn und Köln verflochten, sammelt sich jedes Mal ein Gefühl in mir, als würde ich einen fremden Planeten betreten. Dazu ist Düsseldorf einfach zu verschieden. Auf der „Schäl sick“ gelegen, haben die Römer diesen Flecken den Barbaren und Germanen überlassen. Erst spät, sehr spät, als Köln heilig geworden war und aufblühte mit seinem Handel und seinen reichen Zeugnissen der romanischen Baukunst, hatten sich gerade ein paar Hundert Einwohner nach Düsseldorf verirrt. Aber Düsseldorf holte auf. In der Renaissance wuchs und gedieh Düsseldorf prächtig, das ist eine Kunstepoche, die man in Köln und Bonn vergeblich sucht. Und dann faßte die industrielle Revolution ganz anders Fuß. Im Dunstkreis des Ruhrgebiets flossen Kapitalströme, Industriebarone bauten Wirtschaftsimperien auf, Industrialisierung und Wachstum pressten das Stadtbild in mathematisch exakte Formen hinein. So ist die urbane Stadtlandschaft viel dichter und intensiver, sie tickt hektischer und nervöser.

Düsseldorf verbinde ich aber auch mit Abgrenzungen, was wie definiert und festgelegt ist. So muss ich mich als Rheinland-Blogger der Frage stellen, ob Düsseldorf Thema in meinen Posts sein kann. Als Großstadt ist Düsseldorf kein Ziel für meine Rennradtouren, und sonst führen mich meine Wege auch nicht nach Düsseldorf. Das war in den 1990er Jahren noch anders, als ich dienstlich häufig in Düsseldorf zu tun hatte.

Das habe ich nun beschlossen zu ändern, da zum einen Düsseldorf unstrittig zum Rheinland gehört. Zum anderen gibt es Querverbindungen nach Köln und Bonn, die gerade den Reiz ausmachen. Ich betrachte nicht nur isoliert Köln oder Bonn, sondern auch Austauschbeziehungen, Vergleiche oder Analogien. Trotz eines düsteren Himmelsgraus, das Düsseldorf in seiner Umklammerung nicht losgelassen hat, habe ich jede Menge Fotos gemacht. In der nächsten Zeit werde ich daher den einen oder anderen Post über Düsseldorf schreiben.

Düsseldorf ist mit seiner Stadtlandschaft komplex und schwierig zu durchdringen. Die Vergleiche beschränken sich nicht darauf, dass die Kölner in ihrem Karneval „Alaaf“ rufen und die Düsseldorfer „Helau“, dass man in Köln „Kölsch“ trinkt und in Düsseldorf „Alt“ oder dass der eine Fußballverein in der Ersten Fußball-Bundesliga spielt und der andere in der Zweiten Fußball-Bundesliga.

So bin ich auf meiner Entdeckungsreise darauf gestoßen, dass sich der Heilige Apollinaris nicht nur in Remagen heimisch fühlt, sondern auch in Düsseldorf. Dann hat mich meine Entdeckungsreise in das Jahr 1288 geführt. Das ist vielleicht die wichtigste Jahreszahl in der Stadtgeschichte Düsseldorfs, und genauso entscheidend war diese Jahreszahl 1288 für die Stadtgeschichte von Köln und Bonn. Die nächste Entdeckungsreise ging zum Ständehaus. Als Regierungssitz der preußischen Rheinprovinz wurde Düsseldorf eine Beamtenstadt, ganz im Gegensatz zu Köln, das Arbeiterstadt war und blieb. Die Entdeckungsreise zu Heinrich Heine zeigte mir, dass er letztlich auf dem Absprung war. In jungen Jahren verließ er Düsseldorf, er studierte in Bonn und wanderte nach Paris aus. Auf meiner letzten Entdeckungsreise faszinierte mich das Wilhelm-Marx-Haus. Seine Architektur war griffig und schön, und Analogien zum Hansa-Hochhaus in Köln tun sich auf, das in derselben Zeit, den 1920er Jahren, entstand.

Vorab möchte ich Fotos zeigen, die den zerrissenen und uneinheitlichen Charakter darstellen. Schönes und Unansehnliches steht nebeneinander, Stilbrüche verlaufen zwischen  Tradition und Moderne, ungewöhnliche Momente sammeln sich an. Nachdem ich in der Taktung der Großstadt angekommen war, hat mich der Lebensrhythmus in dieser urbanen Stadtlandschaft durchaus fasziniert.


Überall verstreuen sich in der Stadt diese Litfasssäulen für Kinowerbung. Oben draufstehende Figuren lächeln den Betrachter an (oder küssen sich wie hier).


Ich war erstaunt über den Umfang der Grünflächen. Diese Grünflächen sind auf der Höhe des früheren Festungsgürtels entstanden, der mit einem breiten Wassergraben umgeben war.


Zwei Rheinbrücken bestimmen die Rheinuferpromenade, davon führt eine am Landtag vorbei zum Stadtteil Oberkassel.


Im Gegensatz zu Köln ist Düsseldorf nicht übersät mit Weihnachtsmärkten in der Innenstadt. Anstatt dessen kann man aber von weit her auf das Riesenrad schauen.


Dieses Graffiti belegt, wie aufgekratzt Düsseldorf ist. Auf der schönen Ziegelsteinmauer zerlaufen unruhige weiße Striche.


Gegensätze treten in der Altstadt offen zutage. Stolze alte Kaufmannshäuser …


... stehen unaufgelöst neben Ramsch und Kneipenrummel.


Sie dürfen natürlich auch nicht fehlen: die Brauhäuser, in denen man Alt-Bier trinkt.


Im Palais Spee, das Teil der alten Festung war, ist das Stadtmuseum untergebracht.  Rund eine Stunde lang habe ich mir die Stadtgeschichte Düsseldorfs angeschaut. Der Besuch lohnt sich !


Die Konsumtempel sind in Düsseldorf noch größer, noch extravaganter, noch erlesener wie sonstwo. Nachdem ich die Schadow-Arkaden betreten habe, befinde ich mich erst einmal auf einem roten Teppich.


Natürlich ist die Zeit viel zu schnell vergangen. Mit dem Zug geht es vom Hauptbahnhof aus zurück.

Ganz viele Eindrücke und ganz viele Fotos habe ich gesammelt. Sukzessive werde ich meine Posts zu den Einzelthemen schreiben. Düsseldorf werde ich dann einbetten in meine Sichtweisen, so wie ich über Köln und Bonn und das Umland berichte.

Mittwoch, 17. Dezember 2014

Lohnprellerei in Köln-Ehrenfeld ... und das Weihnachtsfest steht für sechs portugiesische Bauarbeiter auf der Kippe

Sa Ferreiro e Sousa, der Bauarbeiter aus Portugal, verzieht grimmig sein Gesicht. Er ist sprachlos, senkt seinen Kopf zur Erde, die pechschwarze Farbe seiner Schirmmütze passt zu seiner Stimmung. Dann ringt er um Fassung, dreht seinen Kopf weg, sein braungebranntes Gesicht fällt in sich zusammen, während seine silberumrandete Brille einen Rest von Stolz behauptet und aufrecht sitzt auf seiner sauber rasierten Gesichtspartie. Schließlich kocht er vor Wut, als er auf seinem Smartphone Fotos von seiner Frau und seinem kleinen Sohn zeigt, die ihm eng umarmt entgegen lächeln.

Heraus aus Portugal, mit seinen 16% Arbeitslosigkeit und 40% Jugendarbeitslosigkeit, hatte er eine Perspektive gesucht. So war er als Zimmermann mit anderen Bauarbeitern aus Portugal auf dieser Baustelle in Köln-Ehrenfeld gelandet, wo auf dem Gelände eines Möbelhauses, das abgerissen worden war, nun 179 Mietwohnungen gebaut werden, dazu 13 Mehrfamilienhäuser und 158 Tiefgaragenstellplätze. Sa Ferreiro e Sousa erzählt, dass er seine Ehefrau und seine beiden Kinder zurückgelassen hat, um eine Perspektive in Deutschland zu finden. Zwei Monatsmieten konnte er inzwischen in Portugal nicht bezahlen.

Und dann diese Katastrophe.

Die Konstruktion über Sub-sub-Unternehmer, im Baugewerbe nicht ungewöhnlich, wurde ihm zum Verhängnis. Die Baufirma Depenbrock in Westfalen hatte als Generalunternehmer den Zuschlag für dieses Großbauvorhaben bekommen. Als Generalunternehmer teilte sie nun alle nötigen Arbeiten in Gewerke auf, die sie entweder selbst übernahm oder andere Auftragnehmer suchte. Der Auftragnehmer aus Düsseldorf, der dann die Zimmerarbeiten übernahm, bediente sich einer Leiharbeitsfirma. Dabei ist es im Rahmen der EU-Gesetzgebung prinzipiell egal, in welchem EU-Land der Sitz der Leiharbeiterfirma ist.

„Virominho II – Construcao e Reabilitacao de Edificios“ so heißt die Leiharbeitsfirma aus Portugal, bei der die Arbeiter aus Portugal einen Arbeitsvertrag unterschrieben hatten. Diese Leiharbeitsfirma mit Firmensitz in Porto hatte die sechs Portugiesen auf die Baustelle nach Köln-Ehrenfeld vermittelt, wo sie für den Auftragnehmer aus Düsseldorf arbeiteten. Nun trotten sie an der Baustelle vorbei. Der Rohbau wächst, Baugerüste türmen sich in die Höhe, Baukräne beobachten aus luftiger Höhe das Geschehen.  „Wohnen im Venator-Park – Ein Projekt der AVI GmbH“ – viel verheißend lockt die Fotomontage einer durch Baumreihen aufgelockerten Fassade Mietinteressenten und potenzielle Hausbesitzer.

Seit Oktober haben die sechs Portugiesen keinen Arbeitslohn mehr erhalten.

Sa Ferreiro e Sousa hatte die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt über diesen Mißstand informiert. Die ausstehenden Lohnzahlungen beziffern die portugiesischen Bauarbeiter auf mehrere Tausend Euro je Arbeiter. Die „Virominho II – Construcao e Reabilitacao de Edificios“ hat sich in ein Nichts aufgelöst und ist in Portugal nicht mehr erreichbar, Ansprechpartner stehen nicht mehr zur Verfügung. Die portugiesischen Bauarbeiter graben ihre Hände in ihre Hosentaschen ein und blicken ungläubig durch das viereckige Drahtgeflecht des Bauzauns hindurch. Ihre Arbeiten mussten sie zwangsläufig einstellen.

Der Auftragnehmer aus Düsseldorf hat die Zusammenarbeit mit der portugiesischen Leiharbeitsfirma gekündigt. Doch damit ist den betroffenen Arbeitern nicht geholfen, denn weder der Auftragnehmer aus Düsseldorf, noch der Generalunternehmer aus Westfalen sind vertraglich verpflichtet, den ausstehenden Lohn zu zahlen. Gleichwohl prüfen sie, diesen aus ihrer eigenen Kasse zu zahlen. Den Lohn müsste eigentlich die Leiharbeitsfirma aus Portugal zahlen.

Moderne Sklaverei, so nennt dies der Verantwortliche der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt. In Zeiten boomender Wirtschaft zieht die Baubranche Wanderarbeiter aus aller Herren Länder an, nicht nur aus den strukturschwachen Gegenden Europas, sondern sogar aus aller Welt. Von außen aus betrachtet, mag es auf solch einer Großbaustelle wie in einem Taubenschlag zugehen, wobei es an ein Wunder zu grenzen scheint, dass alle Arbeiten koordiniert werden und irgendwann ein fertiges Gesamtwerk entsteht. Ausgeliehen und wie eine Sache behandelt, ausgegrenzt von den Bauarbeitern der Stammfirma, gefeuert mit dem Ende des Bauvorhabens, in einer Abwärtsspirale des Lohnniveaus, hat diese Form des Menschenhandels einen Hauch von Sklaverei.

Um ihren Lohn geprellt, steht nun das Weihnachtsfest auf der Kippe. Um zu ihren Familien nach Portugal zu fahren, fehlt ihnen das Geld. Nachdem das WDR-Fernsehen über die portugiesischen Bauarbeiter berichtet hat, hat eine wahre Spendenwelle eingesetzt, um ihnen das Weihnachtsfest bei ihren Familien in ihrer Heimat zu ermöglichen. Schließlich ist es ein Spender aus Eitorf an der Sieg gewesen, der das Weihnachtsfest mit seiner Spende gerettet hat.

Sonntag, 14. Dezember 2014

vor 700 Jahren Krönung zum König des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation in Bonn

Es sei ein Event der zweit- oder drittklassigen Kategorie, dachte ich, als ich auf das Jubiläum aufmerksam wurde. So wie mich das Jubiläum des örtlichen Musikvereins nicht interessiert, die Fußball-Ergebnisse der Kreisliga A oder wenn der Bürgermeister Altersjubilare im Rathaus ehrt. Doch bei näherem Hinsehen stellte ich fest, dass das 700 jährige Jubiläum, als in Bonn ein König des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation gekrönt worden war, ein komplett anderes Kaliber war.

An der Krönungsstraße, das war auf der Höhe von Sinzig, Bad Neuenahr und Grafschaft, hatte ich gelernt, dass die Könige des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation im Mittelalter in Frankfurt gewählt wurden und in Aachen gekrönt wurden. Regelrechte Excel-Tapeten hatte ich Wikipedia studiert, in denen sich – angefangen mit Ludwig II. dem Deutschen und aufhörend mit Franz dem II. von Böhmen – über ein Jahrtausend die deutschen Könige aneinander reihten. Die Liste war lang, sehr lang, und wie das Format in Excel waren die Strukturen fest vorgegeben: die Herrschernachfolge über das Erbrecht, die Wahl, definierte Kurfürsten, die wahlberechtigt waren, die Wahlentscheidung auf den einen deutschen König, die Herrschaftsinsignien.

Doch so streng die Regularien waren: sie reichten nicht aus, um Zwist und Uneinigkeit zu vermeiden. So war es im November des Jahres 1314 nach dem Tod des römisch-deutschen Königs Heinrich VII. zu einer Pattsituation zwischen Bayern und Habsburgern gekommen. Bei der Königswahl hatte keiner der beiden Kontrahenten die nötige Einstimmigkeit erreicht. Ludwig von Bayern war es zwar gelungen, die Stimmen der Erzbischöfe von Mainz und Trier sowie des Markgrafen von Brandenburg und des Königs von Böhmen auf sich zu vereinen, aber der Pfalzgraf bei Rhein und der Kurfürst von Sachsen wollten unter der Führung des Kölner Erzbischofs Heinrich von Virneburg unbedingt eine Dynastiebildung durch den Wittelsbacher verhindern und gaben ihre Stimme Friedrich dem III. aus dem habsburgischen Adelsgeschlecht.

Nun begann ein Wettlauf um die Königskrönung, in dem die beiden Kandidaten die Regularien so durchschlagend wie möglich zu überlisten suchten. In der Nachfolgetradition von Karl dem Großen war der Ort der Königskrönung Aachen, also begab sich Ludwig von Bayern schnellstmöglich nach Aachen. Währenddessen ritt Friedrich III. – auch genannt Friedrich der Schöne – nach Bonn, um sich mit dem Kölner Erzbischof Heinrich von Virneburg zu treffen. Nur der Kölner Erzbischof konnte die Salbung durchführen. So gab es zeitgleich zwei Königskrönungen – eine in Aachen und eine in Bonn.

Faktisch kam es danach zu einem Machtkampf und zu einer Doppelherrschaft, wobei die Verhältnisse erst acht Jahre später auf dem Schlachtfeld klar gestellt wurden. 1322 wurde Friedrich III. in der Schlacht von Mühldorf am Inn besiegt, er wurde gefangen genommen und Ludwig von Bayern konnte als Alleinherrscher regieren.


In einer Nische erinnert die Bonner Münsterkirche an die Königskrönung vor genau 700 Jahren. Die Fresken gliedern sich in drei Teile: die Fürsten und Kurfürsten, die an der Wahl teilgenommen haben, das Herrschaftsgebiet Deutschlands, das durch den Reichsadler symbolisiert wird und als einheitlicher Staat im Mittelalter nie existiert hat, und die Salbung durch die Heiligen Drei Könige.


Auf der linken Seite finden sich die Wappen der Grafen, Fürsten und Kurfürsten.


Erkennbar ist beispielsweise das Wappen der Grafen von Virneburg aus der Eifel („HENRICUS comes de virneburg“), die genau zu dieser Zeit den Erzbischof von Köln gestellt haben, sowie des Kölner Kurfürsten („THEODORICUS comes de mörs“).


In der Mitte dieser Wappengalerie steht das Wappen der Stadt Bonn.


Auf dem mittleren Fresko steht ein Reichsadler, dessen Aussehen stark an den Bundesadler der Bundesrepublik Deutschland erinnert.


Die Königskrönung verewigt sich in der Inschrift „… coronati sunt Romanorum Reges Friedericus Austriacus per manus Henrici Archiepiscobus Coloniensis A.D. 1314 …“.


Auf der rechten Seite wird die Salbung durch die Heiligen Drei Könige dargestellt, nach dessen Vorbild der König durch den Erzbischof gesalbt wird.


Diesen Zusammenhang stellt diese lateinische Inschrift dar (die ich allerdings nicht ganz übersetzt bekomme): „Hoc signum magni Regis est: ramus et inquiramus cum et offeramus ei munera nurum thus et myrrham.“

Es verwundert wahrscheinlich nicht, dass sich solche Dissense bei der Wahl zum König des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation wiederholten. 32 Jahre später war es wieder soweit. Zwei Könige stritten sich um die Herrschaft und die Krone, und Karl von Böhmen war es, der parallel in Bonn zum König gekrönt wurde.

1314 und 1346, das sollten aber die einzigen Jahre bleiben, dass Bonn zum Krönungsort des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wurde.