Mittwoch, 15. Januar 2014

Auswanderer aus Dernau

Dernau; Quelle: Wikipedia
Es waren grausame Zeiten, als der Klimawandel und die Erderwärmung noch Zukunftsmusik waren. Davon erahnten die Bewohner in der Eifel und an der Ahr im 19. Jahrhundert noch nichts. Jahraus, jahrein zeigten die Winter ihr ruppiges, strenges, grimmiges Gesicht. So waren die Winter von 1816 bis 1818 wahre Katastrophenwinter, wobei selbst der Sommer eine mildere Variante des Winters darstellte. Es herrschte Frost bis in den Mai hinein. Noch zu Ostern waren die Menschen eingeschneit, von Mai bis September regnete es unaufhörlich. Die Hungersnot grassierte in der Eifel. Eine Chronik nannte 1816 „das Jahr, als das Vieh Dachstroh fraß“. Und selbst im geschützteren Ahrtal war die Situation nicht besser: infolge Nässe und Sonnenarmut fiel die Weinlese praktisch komplett aus. Es bewahrheitete sich, was Gottfried Kinkel, einer der Denker der 1848er-Revolution, bei seinen Wanderungen durch das Ahrtal erkannt hatte: „Ein gutes Jahr macht den Winzer für den Augenblick reich, und – wir wollen es nicht leugnen – oft auch verschwenderisch in lustigem Leben … Darüber kommen dann viele schlechte Jahre, und die Not wird unendlich.“

Pure Not und der Kampf ums Überleben drängte nicht nur die Menschen aus der Hocheifel in eine bessere Welt, sondern auch Bewohner aus dem Ahrtal. Es war der Sohn Johann Joseph der Familie Leyendecker aus Dernau – das liegt rund fünfzehn Kilometer vor der Rheinmündung – der im jugendlichen Alter eine Leidenschaft fürs Zeichnen und die Malerei entwickelt hatte. Vielleicht hatte sein Onkel ihm die mathematisch-geometrische Fertigkeit des Zeichnens vermittelt, denn er zeichnete für die Gemeinde Morgenbücher – das waren Grundbücher nach heutigem Verständnis.

Johann Joseph Leyendecker
- Kölner Kaufmann Leopold Leyendecker
1810 geboren, hielten Johann Joseph keine zehn Pferde in seiner Heimat. Dernau, heutzutage ein belebtes Touristennest, beste Weinlagen mit Spätburgunder, lag zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch am Ende der Welt, denn die Eisenbahnanbindung kam viel später, nämlich erst 1888.  Die einzige Verbindung über eine holprige Straße war nach Remagen zum Rhein, während in der anderen Richtung, spätestens ab Altenahr, die öde Wildnis der Eifel undurchdringlich war.

Nach Amerika auswandern, ins verheißene Land, gemeinsam mit den Menschenströmen aus dem übrigen Europa, das war die Top-Adresse der Bewohner aus der Eifel. Doch Johann Josephs Ziel war anders, extravaganter, schöner, eine Verheißung an seine Vision als Künstler: es zog ihn nach Paris.

"Non-seulement les tailleurs allemands sont en très-grand nombre à Paris, mais encore il est à remarquer que tous les plus célèbres dans les annales de la mode nous sont arrivés d'outre-Rhin, et le bon goût français, si renommé en Europe, doit une immense partie de ses progrès à ces Allemands qui passent tout justement pour très-mauvais juges en fait d'élégance et d'adjustments." So beschrieb Adrien Huart, der Herausgeber einer Pariser Tageszeitung, 1844 ausgewanderte Deutsche in Paris. In ganz Frankreich stagnierte im Gegensatz zum übrigen Europa das Bevölkerungswachstum, so dass Handwerker überall willkommen waren. Dabei schätzten die Pariser besonders die Schneider aus Deutschland.

Johann Joseph Leyendecker
- Bleibergwerk Mechernich
Johann Joseph Leyendecker aus Dernau war gerade 16 Jahre alt, als er nach Paris auswanderte. Von 1826 bis 1838 studierte er in den Ateliers von Paul Delaroche und Francois-Josef Heym die Malerei, wobei Portraits und Stillleben seine Schwerpunkte bildeten. Mit Malern wie Courbet, Manet, Delacroix oder Ingres war Paris ein Anziehungspunkt zu Beginn des 19. Jahrhunderts, eine Art Künstlerschmiede oder „Silicon Valley“, würde man heute sagen. Erst zum Ausgang des 19. Jahrhunderts waren Fotografien ausreichend scharf, um mit der Malerei mithalten zu können. Daher war die Malerei nachgefragt wie kaum zuvor. Industrielle, Reiche, die Kirchen, die Stadt, aber auch Kleinbürger erteilten in der boomenden Stadt Paris Aufträge für Portraits, Stillleben, Alltagsszenen, Stadtimpressionen oder Landschaften, um diese in ihren Gebäuden zu verewigen. Diese Wünsche konnte Johann Joseph Leyendecker erfüllen, so dass er von der Malerei leben konnte. Später folgte ihm sein elf Jahre älterer Bruder Mathias. Sie wohnten gemeinsam in der Rue Cassette. Mathias lernte genauso die Malerei und konnte von Portraits, Stillleben, Alltagsszenen, Stadtimpressionen und Landschaften leben. Ab dem Jahr 1866 schafften es die Bilder der Gebrüder Leyendecker regelmäßig in die Ausstellungen des Pariser Salons. Den Weg in Pariser Museen blieb ihren Gemälde indes verwehrt, oder vielmehr: ein Gemälde von Mathias Leyendecker – das ist ein Portrait des Kaisers Napoleon III – befindet sich im Keller des Louvre und ist dem Besucher nicht zugänglich. Die übrigen Gemälde verstreuen sich in Privatbesitze.

Mathias Leyendecker
- Federvieh
Die Gebrüder Leyendecker waren also in Paris angekommen und kamen dort gut zurecht. Johann Josephs Ehefrau stammte aus Ahrweiler und die beiden hatten 1829 in Ahrweiler geheiratet. Beide wohnten bis zu ihrem Tod in Paris. Ihr Sohn Paul trat in die Fußstapfen seines Vaters und seines Onkels und wurde ebenfalls Maler. Mathias heiratete 1859 eine Lehrerin aus Paris. Ob er bis zu seinem Tod in Paris gelebt hat, ist ungewiss, denn sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Bonn. „24. Mai 1871, gestorben bei Bonn“, steht auf seinem Grabstein. Über seine letzten Lebensjahre weiß niemand etwas, zumal zwischen Frankreich und Deutschland zuvor fast ein Jahr lang Krieg geherrscht hatte.

Sie waren nicht die großen Maler, die beiden Ausgewanderten aus Dernau im Ahrtal. Aber sie hatten einen Spürsinn für die künstlerischen Strömungen in ihrer Zeit. Und sie hatten es verstanden, an sich zu arbeiten und ihre künstlerischen Fähigkeiten umzusetzen. Ihre Auswanderung hatte ein Konzept und sie hatte Erfolg. Ganz im Gegensatz zu unserer heutigen Zeit, so blauäugig, wie sich manche Geschichten über Auswanderungen in den VOX-Sendungen anhören.

Quelle der Geschichte: http://www.ahr-eifel-rhein.de/index.php?hauptmanue=allesfliesst&todo=alles_inhaltsverzeichnis

7 Kommentare:

  1. Hallo Dieter,
    ich liebe solche Posts! Dernau ist mir wohlbekannt, wir haben 12 Jahre oberhalb des Ahrtals gewohnt.. aber von den Leyendeckers habe ich noch nie etwas gehört. Habe aber noch heute gute Seilschaften nach Dernau und werde bei Gelegenheit mal darauf zu sprechen kommen.
    LG Marita

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  2. Eine schöne und interessante Geschichte Dieter.

    Liebe Grüße
    Angelika

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  3. Schone wieder ein interessanter Artikel.
    Bei dir kriegt man Anregungen.

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  4. Aaaah, Pariiiis! Das muss in jener Zeit wirklich und wahrhaftig ein Mekka für Künstler gewesen sein - wer sich da aller herumtrieb an Malern, Bildhauern, Literaten, Philosophen - eine gewiss sehr ansteckende Atmosphäre, und so verstehe ich jeden, der sich zur Kunst hingezogen fühlte und nach Paris ging - ich hätte es damals vermutlich ebenso gemacht. Interessant auch deine Schilderungen über diese schreckliche Hungerzeit, die macht's noch verständlicher, dass sogar ein 16jähriger das Auswandern wagt.
    Auf bald und herzliche Rostrosengrüße
    von der Traude
    ✿ܓܓ✿ܓ✿ܓ✿ ♥♥♥♥ ܓܓ✿ܓ✿ܓ

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  5. Hej Dieter,
    sollte der sprichwörtliche "schwedische Neid" etwa ein französisches Erbe sein? Deutsche haben in vielen Ländern Kunst und Handwerk beeinflusst. Oft erfährt man das erst auf den 2. Blick.

    Gruß
    Beate

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  6. Unbekannt fand ich es auch wieder sehr interessant.

    Liebe Grüssle

    Nova

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  7. Obwohl ich eine begeisterte Museumsbesucherin bin und vor allem Kunstausstellungen mag, die Leyendecker-Brüder habe ich noch nie wahrgenommen. Dabei hab ich sie bestimmt schon mal irgendwo gesehen.
    Ich hoffe, ich werde den Namen jetzt abspeichern, damit ich das nächste Mal sie zu Deinem interessanten Bericht zuordnen kann.

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