Sonntag, 28. September 2014

mit dem Rennrad nach Remagen

Domsteinbruch
Am Anfang war das Wort Gottes, eine Idee und ein Plan. Licht sollte das Innere der Kirche überfluten, die Kathedrale der Gotik sollte in nie dagewesene Höhen wachsen. Der Glaube versetzte Berge, als der Grundstein für den Kölner Dom gelegt wurde. Nachdem 200 Jahre gebaut wurde, war all der Eifer dahin, denn die Geldquellen der Kirche versiegten. Danach war der Kölner Dom mehr als 400 Jahre Bauruine, an dem Gerüste klebten. Baukräne stemmten sich gegen das ungewisse Schicksal. 1842 griffen die Preußen die Idee und den Plan wieder auf. Handwerker legten sich mächtig ins Zeug, um das Werk Gottes zu vollenden. Doch an einer anderen Ecke beutete dieses gigantische Bauwerk die Ressourcen aus, es fraß Stein für Stein. Aus dem Siebengebirge, das eine hektische Ansammlung von Steinbrüchen war, wurde ein löchriger Schweizer Käse, der in sich zusammenzufallen drohte. Da zogen die Preußen die Reißleine und untersagten den weiteren Abbau von Vulkangestein, so am Drachenfels. Bis der Dom 1880 zu Ende gebaut war, wurden Steinbrüche auf der anderen Rheinseite angezapft. Im Drachenfelser Ländchen, einst zum Herrschaftsgebiet der Grafen vom Drachenfels gehörend, war der Härtegrad des Trachytgesteins nur einen Tick schlechter als im Siebengebirge, so dass sich auch hier Steinbrüche in die Landschaft fraßen, wenngleich in moderater Form. Bei Wachtberg-Berkum stoße ich auf die Vollendung des Kölner Doms, den Domsteinbruch. Der Ursprung der beiden Türme des Kölner Doms ist genau hier zu suchen.

Ab dem Alten Zoll geht es den Rhein entlang, über Plittersdorf fahre ich nach Godesberg, dann halte ich mich hinter der Redoute in Richtung Lannesdorf. Immer geradeaus, in Lannesdorf einmal rechts, einmal links, dann direkt wieder rechts, dann nach links durch das Verbotsschild für Autofahrer und Motorradfahrer. Nach einhundert Metern wieder links, dann rechts auf die Hauptstraße, wo sich Streuobstwiesen bis zum Waldrand erstrecken. Das Gelände steigt merklich an. Und der Anstieg legt sogar noch zu, das unterstreicht das Straßenschild mit 8% Steigung.

Blick auf das Siebengebirge
Ich trete in die Pedale, schüttele die 8% Steigung ab, die in Ließem in ein seichteres Niveau übergehen. Hinter dem Ortsende links, hinein in all die Schönheit des Drachenfelser Ländchens. Blumen zum Selberpflücken bedecken ein Feldstück, Sonnenblumen, prallgelb, mit kleinen und zierlichen Blütenkelchen. Im Hintergrund schwindet das Siebengebirge, ich entferne mich von der trennenden Grenze des Rheins, hinter abgeernteten Feldern bauen sich die Erhebungen des Wachtbergs und des Höhenbergs auf. Im Ortskern von Gimmersdorf fahre ich auf eine weiße Kapelle zu, der eine Marienfigur in einer Nische über der Eingangstüre Nachdruck verleiht. Kurz dahinter biege ich nach links ab, Berkum liegt zum Greifen nahe, doch mit dem Anstieg zieht sich dieses Stück eine Weile lang. In Berkum geht es rechts, dann nach links, dem Fahrradsymbol nach Züllighoven folgend. Nach einem Auf und Ab ist es einen Kilometer weiter soweit. Den Domsteinbruch habe ich erreicht. Dass es zwei Domsteinbrüche gegeben hat, zählt der dicke Stein auf. Allzu nahe darf ich dem Domsteinbruch nicht kommen, denn ein Verbotsschild mit einem Privatweg hindert mich an der Weiterfahrt.

Ich bin nicht einmal enttäuscht, zumal ich von der Ferne aus eine steile, abfallende Steinwand erkennen kann. Wieder zurück nach Berkum, folge ich der Fahrradbeschilderung nach Bad Neuenahr. Aus Leibeskräften muss ich treten, denn nun geht es steil bergauf, abseits der Hauptstraße, bis ich geradewegs vor der weißen Kugel lande, die in und um Wachtberg herum in alle Himmelsrichtungen sichtbar ist. „Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnologie“ lese ich vor dem Eingangstor, das mit dem meterhohen Eisenzaun so hermetisch abgeriegelt ist, dass sich hier streng geheimes abspielen muss. Alles, was im Weltraum geschieht, kann hier geortet werden, Flugzeuge oder Satelliten genauso. Streng geheim ist indes, dass über Satelliten Daten gesammelt werden, wo auf der Erde Terroranschläge geplant sind.

Fraunhofer-Institut
Ich fahre nach links vorbei an dieser Riesen-Überwachungs-Kugel, vorbei an Obstgehölzen, dann geht es endlich abwärts, vorbei an Werthhoven über die Umgehungsstraße. Linkerhand verschwindet die Kulisse des Siebengebirges endgültig, nachdem die Straße elegant ins Tal hinuntergerollt ist und sich anschließend den nächsten Berg hoch wälzt.

Nun bin ich in Rheinland-Pfalz angekommen. Nach Birresdorf, dem nächsten Ort, fahre ich nicht mehr hinein, denn Straße biegt vorher links ab nach Remagen. Fünf, sechs Kilometer lang radele ich auf dem Höhenzug. Stoßweise geht es den Berg rauf und runter, das ist aber nicht dramatisch. Ich schaue auf Pferdegehöfte und auf die buckelige Landschaft der Grafschaft mit Dörfern, die sich in die Täler hinein schmiegen, in der Ferne zerschnitten von Linien von Hochspannungsmasten. Nach einigen Kilometern hört der Weitblick auf, denn ich tauche in ein dichtes, geschlossenes Waldgebiet ein. Die ruhige Nebenstraße, die der Autoverkehr nur sporadisch stört, schlängelt sich hinab bis Remagen, wobei das letzte Stück mit 6% Gefälle ordentlich bergabwärts purzelt. In dem letzten System von Kurven muss ich aufpassen, dass ich an der Apollinaris-Kirche nicht vorbei rausche. Wie gut, dass es Hinweisschilder an der abschüssigen Straße gibt, denn trotz ihrer Größe versteckt sich die Wallfahrtskirche am Waldrand.

Abriß und Neubau, so gingen die Verantwortlichen an der Apollinariskirche vor. Glaubt man der Legende, so wurden die Gebeine des Heiligen Apollinaris zu derselben Zeit mit dem Schiff auf dem Rhein transportiert wie diejenigen der Heiligen Drei Könige, die der Bischof Reinhard von Dassel 1164 in einer spektakulären Aktion nach Köln gebracht hatte. Der Apollinarisberg hieß damals Martinsberg und eine Kapelle wurde gebaut. Die Geschichte der Reliquien ist indes viel komplizierter: angeblich befanden sich diese 1164 in Remagen, 1383 wurden die Gebeine aber geraubt und landeten in Düsseldorf. Im 18. Jahrhundert wurde mit den Herzögen von Berg in Düsseldorf verhandelt, um die Reliquien nach Remagen zurück zu bringen, doch diese weigerten sich hartnäckig. Das änderte sich, als das Rheinland 1815 zu Preußen kam. Die Preußen starteten den großen Wurf von ganz oben herab. Sie beschlossen, den Kölner Dom weiter zu bauen. Die Martinskapelle auf dem Apollinarisberg war ohnehin baufällig, so dass eine Kirche neu gebaut werden sollte, die dann in einer Grabkammer die Gebeine des Heiligen Apollinaris beinhalten sollte. Düsseldorf konnte sich nicht mehr sträuben, da es zu Preußen gehörte. Der Baustil der neuen Kirche sollte Gotik durch und durch sein, schließlich war der Bauherr kein geringerer als der Dombaumeister des Kölner Doms: Ernst Friedrich Zwirner.

1857 wurde die Apollinaris-Kirche fertig gebaut, die Gebeine wurden in die Krypta überführt, erst danach wurde Remagen zum Wallfahrtsort. In Schleifen geht es das letzte Stück bergab nach Remagen. Ein kurzes Stück biege ich nach rechts ab auf die B9, dann wieder links unter die Bahnunterführung, geradeaus zum Rhein. Remagen lasse ich mit seinem Gewirr von Gassen links liegen.


Remagen
(Apollinaris-Kirche oben links,
Rathaus oben rechts,
Caracciola-Denkmal unten)
Einst kämpften die Römer gegen den Keltenfürst „Rigo“ auf einem Feld, welches auf keltisch „magus“ hieß. Danach benannten die Römer ihre Stadt „rigomagus“, daraus wurde das heutige Remagen. Der Werdegang vieler Römerstädte ähnelt sich. Erst Römerstadt, aus den Versatzstücken römischer Mauern wurde die mittelalterliche Stadt gebaut. Die Gebeine von Heiligen aus der Spätantike gelangten auf dunklen Wegen in die mittelalterliche Stadt. Die Stadt gewann an Dynamik, Handwerker faßten Fuß, der Handel auf dem Rhein hauchte der Stadt neues Leben ein. Mit dem Flächenbrand des 30-jährigen Krieges in Mitteleuropa ging das mittelalterliche Remagen unter, stand danach aber wieder auf, als auf dem Rhein der Warenverkehr zunehmend die Schranken von Grafschaften und Fürstentümern durchbrach.

1843 hatte Otto Caracciola den richtigen Riecher. Seine Eltern, die aus Neapel kamen, hatte es an den Rhein verschlagen. Indes hatte der Preußische Staat dafür gesorgt, dass der Rhein Reisende anzog, denn die Preußen putzten die Burgen  heraus, sahen sie auf Augenhöhe mit den Schlössern in und um Berlin. Am Mittelrhein, in Rheinstein, Stolzenfels und sonstwo ließen sie die Reisenden hinein, um an der Burgenromatik teilzuhaben. In Besucherbücher konnten sie sich eintragen, die dann „als Erinnerungsblätter für alle, welche die Burgen am Rhein besuchten“ in einem Reiseführer verewigt wurden.

1832 erschien der erste Reiseführer des Verlags Karl Baedecker, das war die „Rheinreise von Mainz bis Cöln“. Als dieser zuerst ins Französische und dann ins Englische übersetzt wurde, ging der Tourismus auf dem Rhein so richtig los. Das hatte Otto Caracciola aus Remagen erkannt. Er gründete 1843 eine Schifffahrtslinie, das war die Kölner-Dampf-Schifffahrtsgesellschaft. Er sorgte dafür, dass es Reisenden und Touristen an nichts fehlte, seine Schiffe lotsten sie von Burg zu Burg. Als die Kasse klingelte, baute er Hotels in Remagen für die Touristen. Doch er war nicht nur Geschäftsmann, sondern er hatte auch eine Ader für die innigsten Genüsse des Rheins. Er handelte mit Wein, und dabei stieß er wie mit seiner Schifffahrtslinie in neue Dimensionen vor. Hauptabnehmer seines Weines waren die Engländer, und er belieferte genauso den Deutschen Kaiser. Davon profitierten auch die Touristen am Rhein, denn er baute einen 1.800 Quadratmeter großen Weinkeller, in dem zeitweise 3 Millionen Liter Wein lagerten.

Rheinufer
Im Brauhaus Remagen mache ich Pause. Der direkte Blickkontakt zum Rhein schweift auf die andere Rheinseite, wo die romanische Kirche St. Severin sich aus den klaren Strukturen von Erpel heraus schält. Am Stehtisch schlürfe ich ein naturtrübes dunkles Bier in mich hinein. Der süffige und erfrischende Geschmack weckt aufs Neue meinen Tatendrang.

Als ich wieder losradele, wird dieser zunächst gebremst, denn ein strammer Nordwind bläst mir entgegen. Der Radweg begleitet die Bahnlinie, die ab 1858 einen zusätzlichen Touristenschub nach Remagen schaffte. Über seinen Weinhandel hatte Carraciola einen direkten Draht zum Preußischen Kaiserhaus, und als die Lokomotiven bis ins Ahrtal dampfen sollten, betrieb er mit dem Kaiser gemeinsam Standortpolitik, dass nämlich die Bahnlinie von Remagen aus ins Ahrtal abzweigte, so dass Zugreisende in Remagen und nicht in Sinzig umzusteigen hatten.

Vor mir krümmt sich der Rhein nach rechts, während die Wellen auf die Ufersteine plätschern und Unkel auf der anderen Rheinseite das Postkartenmotiv einer reizvollen deutschen Kleinstadt abgibt. Nun biegt sich der Rhein vor Oberwinter in die andere Richtung, nach links zurück, und das Siebengebirge erhebt sich über dem Rhein mit all seiner Urkraft, die einst im Erdinneren Vulkane brodeln ließ.

Diese Harmonie ist abrupt zu Ende, als der Radweg aufhört und ich mich auf dem Seitenstreifen der B9 mit dem Endlosband des Autoverkehrs arrangieren muss. Ich komme an der Gedenktafel vorbei, wo die amerikanische  Luftwaffe am 3. März 1945 den Rheindampfer Goethe versenkte und 20 russische Zwangsarbeiter tötete, die sich auf dem Schiff befanden, dann geht es vorbei am Yachthafen Oberwinter. Ein Matratzenlager, eine Tankstelle, ein Geschäft für Gartenmöbel, eine Schiffswerft, entlang der B9 reihen sich in Rolandseck lauter Unansehnlichkeiten aneinander, so dass ich bis zur Fähre warten muss, wo sich der Radweg an den Schönheiten des Rheins fortsetzt.

Von dort aus schaue ich auf ein Dreiermotiv, das zu Zeiten der Rheinromantik Touristen aus ganz Europa angezogen hat. Rolandseck, die Insel Nonnenwerth, der Drachenfels, diese Gesamtkomposition ließ Künstler aller Art dahin schmelzen.

Yachthafen Oberwinter
Bereits 1774 bereiste Goethe den Rhein von Mainz bis Düsseldorf. Dichter und Denker aus Deutschland folgten in großer Anzahl, so Heinrich Heine, Friedrich Schlegel, Clemens Brentano, Friedrich Hölderlin oder Heinrich von Kleist. 1844 brachte Ernst Moritz Arndt bei seinen „Wanderungen in und um Godesberg“ das Dreiermotiv von Rolandseck ins Schwärmen. Er schrieb: „Der Wanderer erblickt auf einmal in viel lichterem erhabenen Glanze das Siebengebirge jenseits, über die sich die Trümmer von Rolandseck und unter sich die Inseln Nonnenwerth und Grafenwerth. Hier steht er an einem der herrlichsten Punkte am Rheinstrom.“

Mit der Bogenform war Rolandseck geheimnisumwittert. 1475 wurde Rolandseck zerstört, als sich das Herzogtum Burgund über große Gebiete von Frankreich erstreckte und Herzog Karl der Kühne das Rheinland einkassieren wollte. 1619 bis 1622 wurden Steine der Ruine am Kloster Nonnenwerth vermauert, 1670 stellte das Erzbistum Köln fest, dass  „nur ein Stück Mauer stand, ein letzter Bogen, durch den man auf den Rhein und Drachenfels blicken konnte“. Seitdem ist aus der Burg Rolandseck der „Rolandsbogen“ geworden. Und passend dazu, kursierte die Sage vom Ritter Roland.

Dieser war Ritter unter Karl dem Großen und zog mit seinem Heer gegen die Mauren in Spanien. Zuvor hatte er sich in die Tochter des Burgherrn vom Drachenfels verliebt. Die heiß geliebte Tochter ereilte aber die Nachricht, Ritter Roland sei gefallen. Daraufhin wollte sie mit der Welt nichts mehr zu tun haben und ging ins Kloster Nonnenwerth. Die Nachricht von Rolands Tod war aber falsch. Als Roland von seinem Feldzug gegen die Mauren zurückkehrte, war er entsetzt, dass sie im Kloster für ihn in unerreichbare Ferne gerückt war. Ihr zu Liebe baute er auf einem Felsen den Rolandsbogen, von wo aus er durch ein Guckfensterchen auf die Klosterzelle seiner Geliebten auf der Rheininsel Nonnenwerth schaute, und zwar solange, bis ihm die Liebe das Herz zerbrach.

Rolandsbogen
Als 1839 der Rolandsbogen unter der Last seiner Baufälligkeit einstürzte, traf dieses Ereignis mitten in das Herz des Dichters Freiligrath. Aus Westfalen war er an den Rhein ausgewandert, er wohnte auf der gegenüberliegenden Rheinseite in Unkel. Jeden Tag schaute er von seinem Wohnhaus auf den Rolandsbogen, und die Aussicht war so sehr der Bestandteil von ihm selbst geworden, dass er eine großspurig angelegte Spendenaktion startete, um den Rolandsbogen wieder aufzubauen.

Seine Hilferufe trieben seine Schaffenskraft zu immer neuen Gedichten an:
„Wollt ihr erschauen, was ich selber sah ?
es liegt an euch ! – Ich stehe bittend da,
ich schreit‘ am Rheine mahnend auf und nieder.
Ein Knappe Roland’s, eil‘ ich durch das Land;
den offnen Helm in ausgestreckter Hand,
ruf‘ ich euch zu: gebt ihm den Bogen wieder !“

Er nutzte seine Beziehungen zu Adligen, zu der Tochter eines reichen Bankiers, zur Kölner Verlegersfamilie Dumont, und prompt hatte er im April 1840 das nötige Geld zusammengekratzt. Auch hier konnte Dombaumeister Zwirner mit all seiner Kunst des Kathedralbaus glänzen, denn er wurde zum Bauherrn des Rolandsbogens ernannt, um ihn mit seiner Bogengestalt wieder aufzubauen.

Wie im übrigen Rheintal, statteten Dichter und Denker aus ganz Europa dem Rolandsbogen einen Besuch ab, allen voran die Engländer. Lord Byron, ein Angebertyp, in Luxus badend und mit einem Berg voller Schulden, die Frauen wechselte er so schnell wie seine Hemden, widmete seinen Gedichtband „child harold’s pilgrimage“ dem Rhein:

Turner; Rolandseck und Drachenfels; Quelle: www.william-turner.org
“Walk smiling over this paradise;
Above, the frequent feudal towers
Through green leaves lift their walls of grey,
And many a rock which steeply lours,  
And noble arch in proud decay,  
Look over this vale of vintage bowers:  
But one thing want these banks of Rhine,—  
Thy gentle hand to clasp in mine!”

1818 erschienen seine Gedichte, die sich wie ein Lauffeuer in England verbreiteten. Als Seefahrernation den Flussläufen folgend, kamen danach die Engländer in Scharen. Einer von ihnen war der Maler William Turner, der wie die französischen Impressionisten in den wechselnden Stimmungen des Lichtes malte. Von Köln aus kommend, erwanderte er den Rhein. Rolandseck, die Insel Nonnenwerth, der Drachenfels, wie sehr dieses Dreiermotiv Künstler dahin schmelzen ließ, zeigt das Zusammenspiel von Licht und Wellen und Himmel und den thronenden Felsen vom Drachenfels und von Rolandseck auf seinen Bildern. In unterschiedlichen Stimmungen, zu unterschiedlichen Tageszeiten malte er mehrfach dieses Motiv.

Ich schmelze ebenso dahin. Der Drachenfels rückt näher, vordergründig untermalt von der Drachenburg. Linkerhand überragt eine Steinmauer den Radweg, Häuser und Gärten klettern den Hang hinauf. Rechterhand pflanzt sich ein Campingplatz vor die romantischen Kulisse des Drachenfelses. 

Und dann, das kommt etwas überraschend, radele ich in einen Stilbruch von der Rheinromantik in die moderne Kunst hinein. Im Jahr 2000 hat das Arp Museum, welches übrigens der Bahnhof Rolandseck beherbergt und an dem ich einen Kilometer zuvor vorbeigeradelt bin, einen Skulpturenpark entworfen. Von Remagen bis Rolandseck wurden zwölf Skulpturen aufgestellt, von denen sechs in Rolandseck stehen. Davon befinden sich zwei in unmittelbarer Nähe des Campingplatzes.


Skulpturen "Rheinschlafen" und "zur Natur zurück"
Die Skulptur „Rheinschlafen“, das sind zwei Wände aus geflochtenen Weidenruten, sollen zum Verweilen oder auch zum Schlafen anregen. Doch das ist für mich leicht kontraproduktiv. Verweilen auf meiner Rennradtour ja, aber nicht endlos, schlafen nein. Es ist wie so oft mit der modernen Kunst. Sie ist stark erklärungsbedürftig. Wäre auf einer Tafel nicht erläutert worden, dass Liegen aus den Wandgestellen herausgefahren werden können, hätte ich keinen blassen Schimmer gehabt, was hier Sache ist. 

Einfacher gestaltet sich die Interpretation am nächsten Objekt „zur Natur zurück“, denn die langstieliegen Buchstaben sind eindeutig. Das Schriftbild ist Bestandteil der geheimen Gärten im Hentzenpark, der sich wiederum an Schriften von Novalis über die Gartengestaltung  anlehnen soll. Klingt nicht uninteressant, doch das Schild „betreten verboten, Lebensgefahr“ vor dem Schriftzug läßt nichts Gutes ahnen. Droht die Mauer einzustürzen ? War das Ordnungsamt gezwungen einzuschreiten ? Das wirft kein günstiges Licht auf die moderne Kunst, und kurz darauf habe ich den Skulpturenpark verlassen und ich bin nach NRW zurückgekehrt.

Rasch gerät die Rheinfähre von Königswinter nach Bonn-Mehlem in Sichtweite. Wie im Schlaf, folge ich dem Rhein, zurück bis zum Alten Zoll.

Strecke (52 Kilometer):


Höhenprofil:


Donnerstag, 18. September 2014

mit dem Rennrad über das Ahrgebirge nach Altenahr

Kaiser-Wilhelm-Eiche
Ja, das war der Kaiser, der in jenen schicksalsschweren Tagen des Jahres 1914 vom Balkon des Berliner Schlosses seinem Volk zuwinkte. Und als er am 1. August 1914 um 18.30 Uhr die Generalmobilmachung bekanntgab, kannte er in einer flammenden Rede keine Pareteien mehr, sondern nur noch Deutsche. Die Massen jubelten ihm auf seine Worte zu, dass alle wie Brüder zusammenstehen sollten und Gott dem deutschen Volke zum Sieg verhelfen würde.

Es mag zu den Irrungen und Wirrungen der Geschichte gehören, dass dieser Kaiser Wilhelm, in der Familiendynastie der Zweite, beziehungsweise König Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, es von Berlin an den Rhein verschlagen hatte. Vier Semester hatte er nach seinem Abitur an der Bonner Universität studiert, dabei war die Vielfalt der Vorlesungen enorm:  Staats- und Völkerrecht, Nationalökonomie, Philosophie, Kunstgeschichte, Germanistik, Archäologie, Geschichte, Physik, Chemie. Das war das, was er glaubte zu brauchen, um später sein Volk zu regieren. Wenn er seine Freizeit nicht gerade in der Burschenschaft der Bonner Borussen verbrachte, ging er gerne der Jagd im Kottenforst nach. Bereits als Student dachte Kaiser Wilhelm in den Symbolen des Deutschen Reiches. So kam es dazu, dass er 1879 eigenhändig in den Jagdrevieren des Kottenforstes eine Eiche pflanzte.

Den Rhein entlang bewege ich mich aus Bonn heraus, in Bad Godesberg halte ich mich an der Godesburg, an der Ampel unterhalb biege ich nach rechts ab. Hartnäckig stößt die Straße den Berg hinauf, vollzieht Kurven durch das Wohngebiet, mal links, mal rechts. Dort, wo die Straße rechts nach Schweinheim abbiegt, fahre ich geradeaus, wo der Anstieg andauert und in das geschlossene Waldgebiet des Kottenforstes übergeht. Ich folge dem Teerweg, der nach einem Kilometer hinter dem Schild „Ringwall Venne“ nach links abbiegt. Schier endlose Kilometer fahre ich durch Laubwald, durchsetzt mit einzelnen Fichten. Vier bis fünf Kilometer dauert die Fahrt durch den Wald, dabei ignoriere ich kreuzende Seitenstraßen. Hinter dem gelb gestrichenen Gärtnerhäuschen, das vom ehemaligen Schloss Herzogsfreude noch übrig geblieben ist, steht dann linkerhand die Kaiser-Wilhelm-Eiche.

Blick auf die Tomburg
Nach zweihundert Metern biege ich links ab auf die Hauptstraße, die ein eigener Radweg begleitet. Es geht über eine Autobahn und eine Umgehungsstraße hinweg. Das letzte Stück bis Meckenheim hört der Radweg auf der linken Straßenseite auf, so dass ich mir die Fahrbahn mit dem Autoverkehr teilen muss. Durch Meckenheim wurstele ich mich geradeaus durch, auch hier beginnt ein Radweg, hört dann aber plötzlich wieder auf. An der nächsten Ampel links, halte ich mich konsequent in Richtung Altenahr und Gelsdorf, über einen Kreisverkehr, eine innerstädtische Umgehungsstraße mit der einen oder anderen Verkehrsampel, am nächsten Kreisverkehr fahre ich rechts, dann verlasse ich die Hauptstraße und biege nach rechts ab in Richtung Altendorf. Dort läßt der Verkehr nach und vor mir baut sich die Mittelgebirgskulisse der Eifel auf mit dem Fixpunkt der Tomburg, dessen Stumpf aus dem bewaldeten Bergkegel herausragt.

Ich überquere die Autobahn A61, passiere geradeaus über die Kreuzung Altendorf, wo ich die Wasserburg und einige schmucke Fachwerkhäuser bestaune. Hinter Altendorf plätschert der Anstieg über mehrere Kilometer dahin, Obstgehölze klettern die Hänge hoch, der Blick ist frei nach vorne, in krummen Linien stößt die Straße in den Wald hinein. Dichtes Laub spannt sich über die Straße, dann ist er mit einem Mal da, der Anstieg auf die Eifelhöhen. Ich schalte zurück, in den dritt- oder viertkleinsten Gang, arbeite mich hoch, gleichmäßig, zäh, sogar ohne Anzeichen von Erschöpfung. Und dann kommt er von hinten. Mit der Solidargemeinschaft der Rennradfahrer fühle ich mich verbunden. Wie ich, mit Helm, Rennradshirt, Fahrradhose und einer Rennmaschine, die sich stürmisch von hinten nähert. Er läßt mich regelrecht stehen, so schnell ist er. Jung, dynamisch, sprudelt er vor Energie. Umgekehrt erkenne ich, dass ich Potenzial nach oben habe. Das läßt mich kalt. Ich bin zufrieden mit mir selbst, ich atme gleichmäßig, und freundlich winkt mir der Rennradfahrer zu.

In Hilberath bin ich in der Mittelgebirgslandschaft der Eifel angekommen. Hilberath ist ein Außenposten der Stadt Rheinbach, der Ort erscheint 1274 den Güterverzeichnissen des Kölner Erzbischofs. Hühner, Schwine, Kühe wurden darin aufgezählt, genauso Weizen, Roggen und Hülsenfrüchte, und davon berechnete die Kirche den Zehnten, der dann abzuliefern war.

Dass die Höhen der Eifel besiedelt worden sind, ändert sich schlagartig, nachdem ich die Landesgrenze von NRW nach Rheinland-Pfalz überschritten habe. Hinter Hilberath biege ich nach rechts ab, vor Todenfeld nach links. In Berg, dem nächsten Ort, der zur Gemeinde Altenahr gehört, habe ich die Landesgrenze nach Rheinland-Pfalz überschritten.

Nun radele ich auf einer Hochfläche, wo sich in der Ferne Seitentäler tief in die Hochfäche hineingraben. Alte Besiedlungsspuren hören auf. Ripuaren, Römer, Franken, Karolinger, Ottonen, das Klima war für alle Volksstämme zu ungünstig. Die Winter waren kalt und dauerten lange, die Sommer waren kühl und naß, die Vegetatiponsperiode war kurz, Ackerbau und Viehzucht reichten zum Überleben nicht. Im 17. Jahrhundert zählte man 50 größere und kleiner Höfe, die Ortschaften rund um Berg gab es damals noch nicht, sondern diese gehörten zur „Herrlichkeit Vischel“. 893 erwähnen die Güterverzeichnisse der Abtei Prüm einen Ort namens „Wizssele“, der mitsamt einer Burg aus dem 13. Jahrhundert in demselben Tal liegt.





von oben nach unten:
Blick auf das Ahrgebirge, Anstieg hinter Freisheim, Sonnenblumenfelder,
Hochthürmer-Berg, Wiese mit Habichtskraut
In Berg biege ich nicht nach links in das Tal der Vischel ab, wo auch die Burg zu finden ist, sondern ich fahre nach rechts durch den Ort, und erst, nachdem ich das Ortsausgangsschild passiert habe, fällt die Straße steil in das Vischeltal ab. Anschließend kraxele ich den Berg wieder hoch und im nächsten Ort, Freisheim, bin ich wieder auf der Hochfläche des Ahrgebirges angekommen.

Als die Preußen nach dem Wiener Kongreß 1815 das Rheinland beerbten, stellten sie fest, dass dieses Stück Mittelgebirge regelrecht zivilisiert werden musste. Das Wohlstandsgefälle zum übrigen Rheinland war gigantisch. Die Landwirtschaft war zurückgeblieben, harte Arbeit auf kargen Feldern brachte kaum Erträge, es fehlte an Futter, um Ochsen und Kühe zu ernähren. Dazu kamen Mißernten und Hungersnöte. 1853 berichtete eine Landtagskommission über die Verhältnisse in der Eifel: „Das Klima in der Eifel ist im allgemeinen kalt und auf den öden und steinigen Höhen unwirtlich und rauh, so dass dieselben sehr oft im Jahre einen schauerlichen Charakter tragen.“ Die Eifel war eine Problemzone des Preußischen Staates, so waren 1852 nur 10% der Gestellungspflichtigen waren für den Wehrdienst geeignet. 1883 wurde ein Eifelfonds gegründet, um das Armutsgefälle zu dämpfen. 5,5 Millionen Mark stellte der Staat zur Verfügung zur Notstandsbekämpfung und zur Ödlandaufforstung.

Dieses Stück Eifel bietet derweil überhaupt keinen schauerlichen Eindruck, im Gegenteil. An landschaftlicher Schönheit ist diese abgelegene Rennradstrecke jedenfalls kaum zu überbieten. Nach und nach stelle ich fest, dass ich auf einem Geheimtipp für Biker unterwegs bin. Die Straße will einfach nicht abfallen, sondern sie findet immer noch einen Tick, um kräftig anzusteigen. Wie abwechslungsreich die Hochebene auf dem Ahrgebirge ist, fasziniert mich. Waldstücke wechseln mit Wiesen ab, der Duft von frisch gemähtem Gras steigt in meine Nase. Sonnenblumen beeindrucken mit ihrem prächtigen Gelb, runde Kugeln von Baumkronen zeichnen scharfe Umrisse gegen das Gewölk am Himmel.

Café "Alte Krähe" in Krälingen
Wiederholt begegnen mir Rennradfahrer, die sich in Gruppen zusammengetan haben und es bergab locker angehen lassen. Hinzu kommen noch Gruppen und Grüppchen von Motorradfahrern. Ihre Maschinen heulen auf und mächtig schmeißen sie sich in die Kurven hinein.

Als der Hochthürmen-Berg, mit 500 Metern die höchste Erhebung in der Umgebung, in Sichtweite rückt, ist der Bergkamm erreicht und es geht nur noch abwärts. Kurz darauf, fallen Wiesen schräg herab in Täler und Seitentäler. Das Habichtskraut wuchert, bildet gelb-gesprenkelte Blütenteppiche, zu denen sich der Klee mit seinen lilanen Blüten gesellt.

Ich vereinige meine Leidenschaft für Rennrad mit der nächsten Gruppe, die diesmal angestrengt vor sich hertritt, ohne mich zu bemerken. Im nächsten Ort, Krälingen, ist eine Krähe eine Art von Leitmotiv. Alle paar hundert Meter pflanzen sich Schilder mit einer Krähe an den Straßenrand, sie wachsen zu einer wahren Kräheninvasion, die mehr zu einer Plage wird, bis ich auf der weißverputzten Fassade eines Fachwerkbaus die wahre Bedeutung der Krähe erfahre: ganz harmlos, die Krähe ist ein Café, die Werbung finde ich gelungen. Schade, dass ich hier noch keine Pause machen möchte, denn der Innenhof lädt zum Verweilen ein. Die beiden Scheunen und die Hofanlage stammen aus dem 19. Jahrhundert, im Jahr 2012 wurde alles zu einem Café umgebaut.

Die sechs Serpentinen ins Sahrbachtal sind eine der Höhepunkte dieser mitreißenden Landschaft. Die Haarnadelkurven drehen sich so sehr, dass mir beinahe schwindlig wird. Ich staune nicht schlecht, dass nicht nur Rennradfahrer, sondern auch ein Einzelfahrer sich an diesen krassen Anstieg auf einem stinknormalen Tourenrad heran wagt.

Im Tal angekommen, hat der Charakter der Landschaft rasant gewechselt. Ich spüre, wie tief sich der Sahrbach hinein geschnitten hat. An der einen Talseite ragen Felswände senkrecht in die Höhe, auf der anderen Seite steigen Tannen wie an einer Wand empor, dazwischen quetscht sich der Sahrbach durch sattgrüne Wiesen hindurch.

Burg Kreuzberg
In einigen Kilometern erreiche ich Kreuzberg, dessen Burg sich auf einem steilen Felsen erhebt, unübersehbar. Von  der Ahr trennen mich nur wenige Meter, und in der Ahr und dem Ahrtal liegt auch der Ursprung der Burg mit dem weißen Bergfried: im 14. Jahrhundert erlaubte der Erzbischof von Köln dem Ritter Cuno von Vischnich den Bau einer Höhenburg, die an der Ahr bei „Cruceberg“ Feinde fernhalten sollte. Dies im Duett mit der Burg Altenahr, die zwei Jahrhunderte vorher erbaut wurde und zwei Kilometer entfernt liegt. Allzu viel sollte es aber nicht nutzen. Nicht nur im Dreißigjährigen Krieg, auch in den Raubzügen Ludwigs XIV. sollten die Burgen niedergerannt und niedergebrannt werden. 1686 sprengten französische Truppen die Burg Kreuzberg, 1760 wurde die Burg wieder aufgebaut, aber nicht zur Verteidigung, sondern zum Wohnen für eine privilegierte Schicht.

Ich bin sensibilisiert, als Unkraut sich hoch rankt und das Radwegschild über dem Geländer überwuchert. Das Radwegschild verspricht 2,8 Kilometer bis Altenahr, ich biege nach links ab, dann nach rechts über den Vischelbach, Dabei lerne ich, dass sich hier drei Flüsse begegnen, die Vischel, die ich bereits bei Berg kennengelernt hatte, der Sahrbach, über den sich die Burg Kreuzberg erhoben hatte, und die Ahr. Der Vischelbach plätschert gemächlich vor sich hin, grobe Steine schlagen Wellen in dem schmalen Flußbett. Den Autoverkehr schiebe ich beiseite, ungestört, und der Radweg bahnt sich seinen Weg mitten durchs Gras.  Ich unterquere die Eisenbahnbrücke über die Ahr, ein massiv aus dicken Steinklötzen gemauertes Brückenbauwerk.

Der Radweg ist schmal, teilweise rolle ich über unbequemes Verbundpflaster, mit Mühe passen zwei Fahrräder nebeneinander, so dass ich bei entgegenkommenden Radfahrern aufpassen muss. Dazu kommen Fußgänger, so dass es hier am Wochenende drunter und drüber gehen könnte, unweigerlich. Ich komme an einem Campingplatz vorbei, und dann holen mich sogar Kindheitserinnerungen wieder ein. Die Seilbahn. Leer und verlassen gammeln Träger und Stahlseile vor sich hin. Gondeln stehen auf dem Abstellgleis, die Rolläden des Fahrgeschäftes sind heruntergelassen, der Fahrbetrieb wurde längst eingestellt, das war vor 3 Jahren. Meine Eltern hatten mit uns als Kindern regelmäßig Tagesausflüge in die Eifel gemacht, darunter war auch Altenahr, und in Altenahr sind wir mit dieser Seilbahn gefahren. Ich erinnere mich an diesen fulminanten Blick von der Bergstation aus zwischen Weinbergen und in das tief eingesägte Ahrtal hinein.

Hinweisschild zum Radweg
Ich nähere mich Altenahr von der falschen Seite, denn nun biege ich links ab auf die B257 mitten in den Trubel und Ausflugstourimus hinein. Um diese Tageszeit läßt sich das Menschengewühl ertragen, wenngleich mich die Aneinanderreihung von Tanzlokalen, Hotels, Weinkellern und Andenkenläden  nicht gerade anzieht. Das ist schade für Altenahr, denn es gibt genauso sehr viele schöne und anziehende Seiten ohne Menschengewühl.

Kreuzberg und Altenahr markieren Wendepunkte. Dass der Tourismus sich ins Ahrtal ausdehnte, dauerte eine Weile. Ab 1800 bereisten Herren und Frauen aus aller Herren Länder den Rhein, um Burgen zu bestaunen und sich von den Geheimnissen des Stroms inspirieren zu lassen. Dichter, Denker, Intellektuelle, Künstler, Staatsmänner und Abenteurer aller Art ließen sich anstecken von der Romantik und der Poesie des Flusses. Doch die Dampfer auf dem Rhein konnten keinen Abstecher an die Ahr machen.

Wer die Ahr kennenlernen wollte, der musste auf seinen eigenen Füßen, also wandernd durch Landschaft und Natur voran schreiten, da auf dem Verkehrswege noch nichts erschlossen war. Eine der ersten dieser Zeit, der das Ahrtal erwanderte, war Gottfried Kinkel.  Kinkel hatte Theologie studiert, er war Professor für Literatur und Kunstgeschichte an der Universität Bonn, seit seiner Jugend hing viel Leidenschaft an den Menschen im Ahrtal. 1846 schrieb er das Buch  „Die Ahr — Landschaft, Geschichte und Volksleben", das bis heute ein Grundwerk zu Kunst und Geschichte an der Ahr darstellt. Das Ahrtal, das er seit seiner Jugend aus seiner Westentasche kannte, äußerte er in tief bewegten Zeilen: „Kein Gewitter entlädt sich über dem westlichen Deutschland , das nicht wenigstens mit einem Blitze die Felsgeschiebe des Ahrtals beleuchtet hätte".

In den Zeiten eines Gottfried Kinkel endete gewöhnlich die Reise in Kreuzberg. Der Weinanbau endete, Gasthäuser zum Übernachten fehlten, die Wege waren in einem erbärmlichen Zustand. Gottfried Kinkel schrieb über Kreuzberg: „Bei Kreuzberg hören die eigentlich malerischen Partien auf. Das Flüßchen wird kleiner und kleiner, bis es zuletzt als schmaler Wiesenbach an seine Quelle sich anknüpft. Luft, Gegend, Menschen und Straßen werden rauher, das Schiefergestein verschwindet.“

Dies änderte sich grundlegend, als 1886 die Eisenbahn nach Altenahr kam. Von nun an konnte sich eine Art von Ausflugstourismus etablieren, wie wir ihn heute kennen. Spätestens mit dem ersten Weinfest gedieh der Tourismus prächtig. Das war 1933, als Altenahr als „Ahrtirol“ bezeichnet wurde. Ein historischer Umzug des Grafen Theoderich von Are – der war von 1100 bis 1126 der erste Graf in Altenahr -  mit Gemahlin und Gefolge krönte das Weinfest, anschließend wurde getanzt und getrunken in den weltberühmten Gasthöfen und Herbergen von „Ahrtirol“. 13 Uhr historischer Umzug und 16 Uhr Tanz, das weibliche Geschlecht an der Ahr muss hinreißend gewesen sein, das prophezeihte das Plakat des I. Winzerinnen-Volksfestes vom 7. bis 10. Oktober 1933:
„Frauen der Ahr, wie ihr Spiegel so blank,
feurig bezwingend doch auch wie ihr Trank,
lauter die Seele bis tief auf den Grund,
liebreich dabei mit Herz und mit Mund.“

Durchgangsstraße in Altenahr (oben auf dem Berg: Burg Altenahr)
Dass Altenahr bestens auf Weinfeste vorbereitet ist, und das im Dauerzustand, läßt sich im Straßenbild nicht leugnen. Es geht aber auch gepflegter. Ein Glas Spätburgunder mit Zwiebelkuchen kann man hier an jeder Ecke trinken, auch Weißwein, denn Riesling oder Müller-Thurgau haben sich genauso in diese sehr nördliche Weinbauregion verbreitet. Und alle Ecken locken natürlich um diese Jahreszeit mit Federroten oder Federweißen. Indes schaue von der Hauptstraße aus auf die Burgruine auf dem 240 Meter hohen Felsen, dessen Schicksal sich wenig unterschied von der Burg Kreuzberg, nämlich Zerstörung durch französische Truppen im 17. Jahrhundert, danach aber kein Wiederaufbau. Hätte ich aus der anderen Richtung Altenahr erreicht, hätte ich einen Panorama-Blick der Burgruine über der Ahr genießen können, ich wäre in einer Schleife der Ahr gefolgt und durch einen Tunnel wäre ich mitten in das Herz von Altenahr gelangt.

Nun vereinige ich beide Blickwinkel und mache nach all den Kilometern und Steigungen über das Ahrgebirge Pause. Unterhalb der Burgruine, an der Gabelung der Bundesstraßen 266 und 267, hocke ich mich draußen hin an dem Hotel-Restaurant-Café. Wein löscht nicht ausreichend meinen Durst, so dass ich zwei große Gläser Bitburger trinke. Sie wecken meine Lebensgeister wieder auf, und ich registriere, dass ich nicht alleine CO2-frei auf zwei Rädern unterwegs bin.

Nach der Pause ist die Strecke aus Altenahr heraus eine Herausforderung. Meinen Körper habe ich noch nicht auf Betriebstemperatur hoch gefahren, da kommt er bereits, der wilde Anstieg. 180 Höhenmeter sind aus Altenahr heraus über die B257 zu bewältigen. Als ich mich auf den wilden Anstieg eingestellt habe und hoch trotte, kommt mit dem Ende der Umgehungsstraße die nächste Herausforderung: Autoverkehr. Wie aus einem Nest schwirren PKWs und LKWs um mich herum, die B257 ist an diesem Nadelöhr Durchlauferhitzer von der Umgehungsstraße um Altenahr herum zum Autobahnkreuz Meckenheim, und ich bin froh, als ich die Kalenborner Höhe erreicht habe. Nun geht es munter bergab mit einem Weitblick in die Ebene hinein, auf das Siebengebirge und den Kottenforst, dann kommt ein vorübergehender Anstieg, bis es abermals, nachdem ich von der B257 nach rechts auf eine ruhige Nebenstraße abgebogen bin, munter bergab geht, nach Gelsdorf, dort immer geradeaus und zurück nach Meckenheim, von wo aus ich gekommen bin.

Ich habe mich stets schwer getan, an der hoffnungslos zugebauten Stadt Meckenheim etwas besonderes zu entdecken. Im Zentrum stoße ich auf typische Strukturen. Irgendwo wird immer gebaut. Baustelle, die Straße wird aufgerissen. Hinter der Kirche muss ich nach rechts abbiegen, die Umleitung führt durch ein Wohngebiet, dann nach links, bis ich auf die Straße zurückgelange, auf der ich gekommen bin.

Dieselbe Strecke fahre ich nach Bonn zurück. Hinter der Autobahnbrücke verlasse ich die Hauptstraße nach rechts und tauche in die Ruhe des Kottenforstes ein.

Strecke (85 Kilometer):


Höhenprofil:


Donnerstag, 4. September 2014

mit dem Rennrad über den Wiedtalradweg nach Asbach

Jagdhaus im Schmelztal
Die Zeiten waren unruhig, die Schmach der Niederlage nach dem Ersten Weltkrieg saß tief, Reparationszahlungen in einer ungeheuren Größenordnung drückten, die Alliierten hatten das Rheinland besetzt. Kaum zu glauben, dass 1923 Separatisten im Rheinland einen eigenen Staat gründen wollten. In der Zwischenkriegsphase war die Weimarer Republik so labil, dass die französischen Besatzungsmächte zusahen und die Separatisten gewähren ließen.

Eigene Geldscheine waren druckfrisch, als die Rebellen in Aachen, Koblenz und Duisburg die Rathäuser stürmten, die Bürgermeister heraus schmissen und die grün-weiß-rote Fahne der Rheinischen Republik hißten. Sie drangen ein, plünderten, beschlagnahmten Lebensmittel und Fahrzeuge, verteilten Flugblätter. Nachdem sie am 12. November 1923 in Bad Honnef die Rheinische Republik ausgerufen hatten, marschierten die Truppen weiter ins Schmelztal hinein und nisteten sich im Jagdhaus zum Schmelztal ein. Streng abgeschottet muss es dort zugegangen sein. Die Fenster wurden verriegelt, eine Geheimgesellschaft tagte. Ausgewählte Zwischenmänner nahmen Kontakt auf, Netzwerke von Guerilla-Kämpfern wurden aktiviert, freiwillige Kämpfer für die Rheinische Republik wurden rekrutiert. Die Gemeinschaft schwor sich ein auf die Revolution, die das ganze Rheinland überrennen sollte.

Vom Alten Zoll aus fahre ich los, zunächst derselben Strecke folgend wie auf der Tour nach Eitorf. Also den Rhein entlang, Bonn-Oberkassel, Königswinter, Rhöndorf, ich verlasse den Radweg entlang der Straßenbahnlinie 66, rechts unter die Autobahnbrücke, geradeaus über Rhöndorf nach Bad Honnef. Das Fahrrad schiebe ich durch die Fußgängerzone, dann nehme ich durch das Schmelztal denselben Weg, den einst die Separatisten genommen hatten.

Nachdem das Verkehrsschild die 5,8 Kilometer kurvenreiche Strecke angekündigt hat, erspähe ich das Jagdhaus im Schmelztal vor einer langgezogenen Linkskurve. Die Rebellion der Rheinländer war durchaus von langer Hand geplant. Es war Konrad Adenauer in seiner eigenen Person, der 1919 eine Rheinische Republik forderte, als er alle Parteien in Köln zu einem Gipfeltreffen zusammenrief. Mit dem Ersten Weltkrieg waren Preußen und der Kaiser untergegangen. Also wurde eine junge neue Rheinische Republik gefordert, als nach Westen gerichteter Staat, wie einst der Rheinbund unter Napoleon. 1923, als die Alliierten das Rheinland besetzten, erreichten die Nachkriegswirren einen Höhepunkt.

Pferdekoppel
Die Separatisten marschierten bis zum Jagdhaus am Schmelztal. Im Rücken des Jagdhauses plätschert ein Bach, und von Revolte ist längst nichts mehr zu spüren. Verbleichte Schilder „Club nur für Paare“ lassen erahnen, dass das Haus als Lokalität genutzt worden ist, in dem die Lust von meinem Begriffsverständnis meilenweit entfernt war.

Meine Lust, sie bezieht sich auf den Anstieg in das Siebengebirge hinein, läßt mein Herz höher schlagen. Kurven inspirieren, sie hemmen nicht, sie heben mich auf höhere Ebenen, in satten Portionen wirken die Eindrücke. Keine stationäre Radaranlage kann mich stören, keine Geschwindigkeitsbeschränkung mich bremsen – denn so schnell brause ich sowieso nicht dahin. Ganz gemächlich arbeite ich mich hoch. Je schärfer die Kurve sich dreht, um so mehr wechseln die Momente der Landschaft, die Blickwinkel zwischen Bäumen und Blattwerk hindurch verändern sich ständig. Das letzte Stück nach Aegidienberg kriecht steiler an, Wiesen öffnen sich, der dichte Mischwald endet. Einstweilen ist in Aegidienberg der Anstieg zunächst geschafft.

Die Separatisten waren zu Fußunterwegs, weitgehend auf derselben Strecke, die ich mich auf dem Rennrad hoch gearbeitet habe. Auf nach Aegidienberg. Dort hatte sich allerdings Widerstand formiert, da deren Treiben allen ungeheuer vorkam. Auf den Höhen des Siebengebirges hatte eine Bürgerwehr, die Waffen organisiert hatte, eine zwölf Kilometer lange Abwehrfront gebildet. Diese ging am Nachmittag des 15. November 1923 in Stellung. Die Separatisten kamen aus den Wäldern gekrochen, auf das freie Gelände vor Aegidienberg. Eine kurze Zeit wartete die Bürgerwehr, dann rief einer das Kommando „Feuer“. Und die Bürgerwehr schoß mit allem, was sie hatte. Die Separatisten flohen, kehrten kurz zurück und wurden danach nie wieder gesehen. Danach fand die Bewegung der Separatisten ein rasches Ende, da die anderen Alliierten Besatzungsmächte – Amerikaner und Engländer – solche Bewegungen nicht befürworteten.

Am Kreisverkehr in Aegidienberg biege ich nach rechts ab, seicht und ohne Anstrengung schaffe ich es den restlichen Berg hinauf. Diesmal biege ich an der großen Ampel nicht nach links in Richtung der Autobahn A3, sondern geradeaus. Schlagartig beruhigt sich der Verkehr. Gemütlich rolle ich vorwärts, vorbei an Waldstücken. Dann kommen Einfamilienhäuser, freistehend, jedes für sich anders, großartige Anwesen, hier und da Fachwerk, an anderer Stelle haben die Bauherren den Stil norddeutscher Gutshöfe ins Rheinland kopiert.

bei Hollerbach
Die Straße wird schmaler, Wege knicken ab, ohne Beschilderung. Ich muss fragen. Prinzipiell ist der Weg egal, denn ich muss sowieso ins Tal hinunter und dann den Berg wieder hinauf. Rechts dreht der Weg nach Vettelschoß, links nach Windhagen. Die goldene Mitte ist richtig, meinen die älteren Herrschaften, die ich befragt habe, und ab der Talsohle käme ich sozusagen wie im Schlaf nach Neustadt an der Wied.

So ist es denn auch. In Hollerbach, im Tal gelegen, halte ich mich erst links und hinter einer umgebauten Scheune, die noch wie ein Provisorium aussieht, nach rechts. Mit schlafwandlerischer Sicherheit holt mich die nächste Steigung wieder ein, die mich mächtig ins Schwitzen bringt. Dieses Auf und ab prägt sich als Charaktereigenschaft des Westerwaldes ein, und wenn ich denn Steigungen suche, kann ich reichlich davon haben.

Auf der Höhe angekommen, überfliege ich diese Abwechslung aus Bergen und Tälern. Die Einschnitte kommen mir nicht allzu tief vor, dafür ziehen sich Steigungen und Abfahrten ordentlich in die Länge. Wieder geht es hinab ins Tal, Kurven werfen mich in dichten Nadelwald hinein, erst kommt das Hallerbachtal, dann das Wiedtal. Zwei Brückenbauwerke dominieren dieses Flußtal. Im ICE sitzend, muss die Fahrt über die Hallerbachtalbrücke, mit einem Kilometern Länge das längste Brückenbauwerk auf der ICE-Strecke, das Fahrgefühl einer Achterbahn vermitteln. Von Köln aus kommend, schießt der ICE mit 280 km/h über die Höhen des Siebengebirges, stürzt mit 4% Gefälle im Tunnel ins Tal hinunter und verschwindet anschließend in demselben Irrsinnstempo im nächsten Tunnel. So viel technische Meisterleistungen, das liegt außerhalb der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen. Wäre in diesem Moment ein ICE vorbei gerauscht, hätte mir der Augenblick kaum eine Chance gelassen, ihn in seiner Flüchtigkeit zu bemerken.


Brückenbauwerke (ICE-Strecke, oben, und Autobahnbrücke A3, unten)
Die Geschichte der nächsten Brücke, der Autobahnbrücke A3 von Köln nach Frankfurt, die ich zwei Kilometer weiter erreiche, liegt etwas weiter zurück, nämlich in die ungeliebte Zeit des Nationalsozialismus. Diese erließen am 27. Juni 1933 auf Weisung Hitlers ein „Gesetz über die Errichtung eines Unternehmens Reichsautobahnen“.  Die Planungen der heutigen A3 von Köln nach Düsseldorf hatten bereits in den 1920er Jahren begonnen, am 22. Oktober 1936 wurden dann die Planungen auf dem Teilstück von Rottbitze nach Dierdorf aufgenommen, am 20.September 1939 wurde dieses Teilstück fertiggestellt. Basaltlava aus der Mayener Gegend wurde mit Zügen herangekarrt, um die Brücke aus Steinquadern massiv und unzerstörbar zu mauern. Den Kriegszeiten entsprechend, rollten danach fleißig Militärlastwagen und Panzer über die Brücke. Das vorübergehende Ende der Brücke kam kurz vor Toresschluß des Zweiten Weltkrieges. Nicht nur der Krieg an für sich, sondern auch die Zerstörung der Autobahnbrücke war ein Akt der Sinnlosigkeit. Am 15. März 1945 hatten  amerikanische Truppen die Höhen des Westerwaldes hinter Linz erreicht, einen Katzensprung vom Wiedtal entfernt. Bereits am 11. März hatten die deutschen Truppen einen Befehl erhalten, die Autobahnbrücke zu sprengen. Zuerst verzögerten sie die Antwort, warteten ab, doch je näher der Feind heran rückte, um so zweifelhafter erschien ihnen die mutwillige Zerstörungsaktion. Die alliierten Truppen drangen in West-Ost-Richtung vor, die Autobahn verlief aber in Nord-Süd-Richtung. Strategisch machte die Stoßrichtung von Nord nach Süd keinen Sinn, da sich die Truppenbewegungen in Flußtälern abspielten, das waren die Sieg, die Wied und die Lahn. Und die verliefen in West-Ost-Richtung. Es fehle an Sprengstoff, so zögerten die Soldaten die Sprengung hinaus. Die Antwort der Obersten Heeresleitung aus Berlin kam prompt, wieviel Sprengstoff denn vorhanden sein und wieviel Sprengstoff noch benötigt würde, gekoppelt mit dem Hinweis, dass bei Befehlsverweigerung die standrechtliche Erschießung drohe. Zwei Tonnen Sprengstoff seien vorhanden und acht Tonnen würden benötigt, so antworteten die Soldaten, wobei sie sich den Hinweis erlaubten, dass sie viel dringender Munition und Waffen benötigten, um sich gegen den heran marschierenden Feind zu verteidigen. Am 17. März staunten die Soldaten nicht schlecht, als der Sprengstoff geliefert wurde. Die viel dringender benötigten Waffen fehlten aber. Sie sprengten die Brücke, und danach nahm das allgemeine Befehlschaos in den letzten Kriegswirren seinen  Lauf. Die Division, im Auflösungszustand begriffen, wurden danach an die Ostfront abkommandiert.

Das Stück Wiedtal ist kurz und intensiv. Die Fahrradbeschilderung kündigt 2,9 Kilometer Radweg bis Neustadt an der Wied an. Springkraut hat mit einem lilanen Blütenteppich das Ufer erobert, danach verwirrt der Verlauf des Radwegs, denn er knickt erst nach links ab, dann nach rechts ab, umkurvt einen stehen gebliebenen Brückenstumpf, der gar keine Funktion mehr hat, und landet dann wieder auf der Hauptstraße. Als der Radweg von der Straße aus nach links abschwenkt, wird der Verlauf klarer. Es ist ein Bahntrassenradweg, anfangs asphaltiert und dann auf ordentlich befestigtem Untergrund gut mit dem Rennrad befahrbar. Zwischen Strauchwerk und Geäst schillert der klare Wasserspiegel der Wied hindurch. Auf ebenem Niveau rolle ich gemächlich dahin, entspanne meine Tretmuskeln, folge der ausholenden Schleife, die die Wied zieht, schaue auf Einzelgehöfte, die müde vor gemähten Wiesen daher schlummern.

Vor einem Tunnel, in dem es rabenschwarz wird, verläßt der Radweg die Bahntrasse. Wie anderenorts in der Gründerzeit, waren die ersten Züge auf der Bahnlinie mit einem brausenden Hurra gefeiert worden. 1912 wurde die Bahnlinie eingeweiht, und liebevoll nannten die Westerwälder ihren Zug „Waldi“. Dabei hatten die Bewohner des Wiedtals nicht unbedingt damit gerechnet, dass dem Wiedtal eine Eisenbahnverbindung beschert würde, denn die Höhenunterschiede waren gewaltig. Die Eisenbahn verband Linz mit Altenkirchen, und von Linz aus dem Rheintal mussten 290 Meter Höhenunterschied bewältigt werden, was nur mit Zahnraddampflokomotiven gelang.



Impressionen auf dem Wiedtalradweg
Die Bahnlinie spielte auch in den Wirren der Separatistenbewegungen eine Rolle. In den Morgenstunden des 15. November 1923 war ein Telefonanruf in Neustadt an der Wied eingegangen, dass die Separatisten von Bad Honnef aus über das Siebengebirge bis nach Asbach vorstoßen wollten. Die Honnefer erzählten, sie hätten am eigenen Leib erlebt, dass es keine Heilsbringer einer freien Rheinischen Republik wären, sondern plündernde Horden und Räuber. Bald läuteten in allen Kirchen die Glocken, kampfbereite Bürger brachten Waffen und Schrotflinten mit. Vom Bahnhof Neustadt an der Wied ging es mit der Eisenbahn durch das Wiedtal weiter nach Unterelsaff, wo sich weitere Bürger sammelten, Verteidigungspläne schmiedeten und nach Bad Honnef marschierten, um den Separatisten die Stirn zu bieten. Dort vereinigten sie sich mit den Aegidienbergern zu der zwölf Kilometer breiten Front.

In Neustadt an der Wied sprühen Jugendliche voller Tatendrang und bugsieren ihre Sporträder, Mountain-Bikes und Trekkingräder über die Fußgängerhängebrücke, schiebend. Behutsam tasten sie sich vorwärts, denn die Überfahrt verengt sich, Fahrradreifen rumpeln über Holzbohlen. „Da kommt noch eine komplette Schulklasse“ warnt mich der Lehrer, und meine Wartezeit steigt, die Schüler tropfen einzeln oder in Grüppchen heran, manche huschen anschließend in Windeseile vorbei. Der Lehrer am Schluß der Kette von Fahrradfahrern nickt wohlwollend, klemmt sich an die Meute der Schüler, lächelt mich an und bedankt sich für die Warterei.

zwischen Neustadt a.d. Wied und Asbach
Von Neustadt an der Wied sehe ich praktisch nichts, denn ich biege direkt links ab über die Wiedbrücke, lasse den Ortskern rechterhand liegen, dann direkt wieder rechts auf die Hauptstraße in Richtung Altenkirchen, nach 50 Metern wieder links. Ich biege ab auf die Nebenstraße in Richtung Bühlingen. Der Anstieg ist giftig, gefühlt sind das mindestens 10%. In Bühlingen, einem Ort mit unsystematisch dahin gewürfelten Häusern, atme ich all die Verlassenheit und Seelenruhe des Westerwaldes ein. Es geht weiter aufwärts, aber sachte, vorbei an Pferden, die gleichgültig in die buckelige Landschaft hinein schauen.

Einige Kilometer weiter, lande ich auf der Hauptstraße von Neustadt an der Wied nach Asbach. Auto quetscht sich an Auto, doch das halte ich aus. Den Berg runter vor Asbach, dann bergauf, und ich wundere mich, was für ein Einkaufszentrum sich am Ortsrand von Asbach eingenistet hat, dessen Größenproportionen aus dem Ruder gelaufen sind. Gibt es so viel Kaufkraft auf dieser dünn besiedelten Hochfläche, wo sich Hase und Igel gute Nacht sagen ?

Ich steuere über die Hauptstraße, die geradewegs durch den Ort verläuft. Brav, ordentlich und unauffällig fügt sich das Ortsbild zusammen. Spektakuläre Bauwerke vermisse ich, aber immerhin: die Pfarrkirche St. Laurentius beeindruckt mit ihrem wuchtigen Westwerk. Dem romanischen Baustil zuzuordnen, erinnert der nach Westen gerichtete Turm und das Eingangsportal in Ansätzen an größere Dome in Deutschland, wenngleich einige Größenordnungen kleiner. Am Marktplatz mache an einem Eiscafé Pause, wo es sich trotz der befremdenden Kombination von schattigen Platanen, die die Pfarrkirche umgeben, und einem nüchternen Klotz aus Beton und Glas, in dem die Raiffeisenbank untergebracht ist, gut aushalten läßt.

St. Laurentius in Asbach
Sieht man davon ab, dass Neustadt an der Wied im Tal liegt und Asbach auf der Höhenzügen des Westerwaldes, so haben die beiden Orte vieles gemeinsam. 1180 erschienen die beiden Orte erstmals in denselben Güterverzeichnissen der Siegburger Abtei, 600 Jahre lang bestimmten die Grafen von Wied die Geschicke. Gleichzeitig waren beide Orte eng verbunden mit den Kölner Kurfürsten, da diese mit dem Tod von Mechtild von Sayn, das war 1291, von ihnen verwaltet wurden. Beide Orte sind nicht gerade mit touristischen Sehenswürdigkeiten gespickt, außerdem hatte der Zweite Weltkrieg deutliche Spuren der Zerstörung hinterlasssen.

Dass die Bomben von der Pfarrkirche St. Laurentius nur die beiden Seitenflügel und den Glockenturm verschont hatten und dass um diese Ruinen herum eine neue Kirche gebaut werden musste, sieht man dem Gotteshaus nicht an. Mit ihrem zartgelben Anstrich wirkt die Kirche homogen wie aus einem Guß, so als hätte sie ihre Entstehungszeit um 1200 überdauert.

Aus dieser Zeit stammt noch der Glockenturm, der im Mittelalter nicht nur eine religiöse Bedeutung hatte. „Ind wysten den hohen clockschlag ind dye gantze heirlichkeit hoe ind nedergerichte ind alle gebot und verbot … „ so heißt es auf einer Inschrift der Grafen von Wied aus dem Jahr 1403 auf Schloss Altenwied, das liegt im Wiedtal nicht unweit von der Autobahnbrücke A3 entfernt. Es war Mechthild von Sayn, die die Hohe Gerichtsbarkeit für Raub und Mord auf den „Spillhügel“ von Asbach verlegte. Es bedarf nur wenig Phantasie, dass an diesem grausigen Ort ein Galgen oder Folterinstrumente ihr Werk verrichteten, um die Strafe zu vollziehen. Wenn das Gericht ein Urteil gesprochen hatte, dann erschallte der „Clockschlag“ in alle Ferne und weit in die Lande hinaus. Die Grundsätze des „Landrechtes“ im Kurkölnischen Amt Asbach aus dem 15. Jahrhundert dokumentieren dies.

Bahnhof der Bröltalbahn in Asbach
Ich drehe zurück auf die Hauptstraße, fahre ein Stück ortsauswärts, nach einhundert Metern biege ich rechts ab auf die Bahnhofstraße, bis ich einen Kilometer später doch etwas entdecke – eine Touristenattraktion im Kleinen. Es sind die Überbleibsel einer Schmalspurbahn mit Lokschuppen, Bahnhof und Gleisen, die einst Asbach mit Hennef verbunden hatte. Güter und kaum Personen wurden befördert, denn Ziel der Bahnstrecke waren Steinbrüche, die der Basalt Lava AG gehörten und sich als riesige Löcher in die Landschaft fraßen. Die Menschen dachten vielleicht ökologischer, denn all die Steine aus den Steinbrüchen wurden nicht auf LKWs verfrachtet, die dann die Straßen verstopften, sondern auf die Schienen. Das Schienennetz war weitflächig, verband unter anderem Waldbröl, Bonn-Beuel, Siegburg, Aegidienberg und Asbach, und das auf einer Schmalspurbahn. In den 1960er Jahren fuhr der letzte Zug, und dann wurden die Gleise abgerissen - oder zurückgebaut, wie es vornehmer heißt. Sonntags kann man auf dem Asbacher Bahnhof sogar Dampflokomotiven bestaunen.

An der nächsten Krezung fahre ich links, dann gelange ich auf die Durchgangsstraße. Am Ortsende von Asbach fahre ich in Richtung Bad Honnef weiter. Ich bin angenehm überrascht, dass die Straße entlang eines Bachlaufes bergab führt. Ich lasse mich hinab tragen, bis die Straße nach zwei Kilometern in Kurven das Profil wechselt und den Berg hoch geht. Der Anstieg ist nicht spektakulär, er will aber nicht enden und meine Beine werden schwerer. Waldstücke wechseln mit Wiesen ab, freistehende Gehöfte säumen den Straßenrand. An der Musser Heide, die diesmal kein Blütenteppich belegt, biege ich rechts ab nach Königswinter, den Sauerbruch mit der Buchholzer Moorfläche lasse ich rechts liegen, dann biege ich nach einem Kilometer erneut nach links ab.

In Richtung Königswinter komme ich an dem Munitionsdepot der Bundeswehr vorbei, ein letzter seichter Anstieg, dann können meine müden Knochen aufatmen, denn es geht nur noch bergab. Ich lasse meine Beine baumeln, vor Eudenbach grüßt mich linkerhand die gigantische Kulisse des Siebengebirges. Das Ortsbild von Eudenbach ist nichts besonderes, angegraute Hausfassaden unter weißem Putz, die neuromanische Kirche in einem bleicheren Weiß, hier und da werden Häuser mit heruntergelassenen Rolläden zum Verkauf angeboten.

Blick auf das Siebengebirge bei Eudenbach
Und doch lassen mich die Separatisten nicht locker. Als sie zwischenzeitlich nach Aegidienberg zurückkehrten, nahmen sie Geiseln, die dann befreit wurden. Anschließend flohen die Separatisten und wurden nie mehr gesehen. Bei der Befreiungsaktion kam der Eudenbacher Wilhelm Staffel ums Leben. Ihm zu Ehren findet sich in der Ortsmitte von Eudenbach ein Denkmal.

Die restliche Strecke zum Alten Zoll zurück wähle ich die bequeme Variante: so weit es geht bergab oder flach. Ab Eudenbach fahre ich stets geradeaus, nach zwei Kilometern geht es munter bergab, bis an die große Kreuzung mit Ampel vor Oberpleis. Dort halte ich mich rechts, fahre weiter über die Umgehungsstraße von Oberpleis, die einen breiten Seitenstreifen zum Rennradfahren bereithält. Dieser verschwindet ab Uthweiler, und abermals folge ich der Route immer geradeaus, bis Niederpleis, auf separatem Radweg . In Niederpleis fahreich links, folge der Beschilderung nach St. Augustin,. Dort fahre ich an der großen Kreuzung links hinter die Straßenbahnlinie, zu der parallel ein Radweg verläuft.


Diesem folge ich mit kurzen Unterbrechnungen bis zum Alten Zoll, dabei kann ich in Bonn-Beuel über die alte Trasse der Bröltalbahn radeln.


Strecke (80 Kilometer):



Höhenprofil: