Dienstag, 9. Dezember 2014

die Kölner Bettelordnung von 1437

Bettler am Wegesrand (1568)
In den Nachmittagsstunden des 22. März 1572 konnten die Bewohner der Kölner Altstadt ein bizarres Schauspiel erleben. Acht „nackedige bueben“, in kümmerlichen Lumpen gekleidet, die zusammen nicht einmal einen Gulden Wert waren, wurden „bey paren gekoupelt“ als „muessig gengere unnd muylenstoessere“ von der Polizei und den „clocken“ aus Wohnhäusern in der Altstadt heraus gefischt, so steht es in den Ratsprotokollen der Stadt Köln.

Der Haufen dieser zwielichtigen und bunt zusammengewürfelten Gestalten versammelte sich auf der Straße. Das war David Roesen aus Tournai in Belgien, von Beruf eigentlich Krämer, der beim Taschendieb erwischt worden war; der Leinenweber Rutger von Gymnich, der im Fremdenhospital übernachtet und tagsüber gebettelt hatte;  Johann von Hillesheim (aus der Eifel), ein fauler frescher Bursche, war im Hospital aufgelesen und heraus geworfen worden; Hans Jerguleman aus Ulm, ein gelernter Büchsenmacher, hatte vor allem in Kirchen gebettelt; Peter Meyer aus Béthune in Nordfrankreich, der eigentlich Tuchscherer war, hatte in Weinstuben Geld und Kleidung gestohlen; der Bäcker Leonhart Wale aus Lüttich bettelte und hatte sich bei einer Frau namens Agnes einquartiert;  Leonhardt Junghblueth aus St. Vith, ein Landsknecht, bettelte und hatte mit seiner Frau Unterschlupf in einer Scheune gesucht; schließlich Daniell Metz von Weisenheim am Sand in der Pfalz, ein Bettler und „muylenstoesser“.

Über den Rhein, den Warenaustausch und den Handel, war Köln im Mittelalter reich geworden. Dabei hatte die Kirche ihre Machtposition genutzt, um auch die Außenseiter und die Armen in die Gesellschaft einzubeziehen. Die Kirche suchte danach, den Wohlhabenden Gelegenheiten zu christlicher Mildtätigkeit zu geben. Dies bedeutete: die Kirchen riefen die Reichen, Kaufleute, Fürsten, Grafen, Herzöge und Patrizierfamilien zu Spenden auf, damit Arme und Reiche gleichermaßen den Segen Gottes erhalten konnten. Im 15. Jahrhundert begann dieses System zu funktionieren, um ein gewisses Existenzminimum zu gewährleisten. Jeder Mensch sollte ein Dach über den Kopf haben, Arme sollten nicht verhungern, um Kranke sollte sich gekümmert werden. Hospitäler und Armenhäuser wurden gebaut, die dann die Grundversorgung der Armen übernahmen, wenn diese krank waren oder aus anderen Gründen keiner geregelten Erwerbstätigkeit nachgehen konnten. Darüber hinaus wurden Arme, deren Grundversorgung nicht sichergestellt war, auf ihrer Kleidung als Arme gekennzeichnet. Diese Kennzeichnung wurde restriktiv gehandhabt: die Armen mussten Bürger der Stadt Köln sein, und Nachbarn oder der Pastor mussten ihr persönliches Schicksal bestätigen, welches zur Armut geführt hatte. In diesem Fall war das Betteln eine anerkannte Lebensform, da die Bettler ihren Lebensunterhalt nicht anderweitig aufbringen konnten.

verschiedene Arten der Kunst des Bettelns
Zeichnung Hieronymus Bosch um 1500
Die Sozialstandards waren im mittelalterlichen Köln hoch, und die Menschen verhielten sich vom Prinzip her genauso wie in der heutigen Zeit. Die Menschen wanderten aus Gegenden mit niedrigem Sozialstandard nach Köln, man könnte auch sagen, dass Köln von Armutsflüchtlingen heimgesucht wurde. Im mittelalterlichen Sprachgebrauch bezeichnete man diese Armutsflüchtlinge als „muylenstoesser“. Sie bettelten, waren keine Bürger der Stadt Köln, sie waren arbeitsfähig, lungerten herum oder gingen keiner geregelten Tätigkeit nach. Oder sie nutzten die Leistungen von Armenhäusern und Hospitalen, obschon ihnen diese nicht zustanden, oder sie tauchten schlichtweg in Wohnungen unter.

Die meisten Bettler gingen von Tür zu Tür, sie standen auf der Straße oder vor Kirchen. Bisweilen nahm das Betteln abstoßende, aufdringliche Formen an, wenn Bettler in Gottesdienste eindrangen. So störte Greitgen von Overraedt die Predigt, sie schlug auf einen Messdiener ein und die Kirchengemeinde musste sie in tumultartigen Szenen wieder aus der Kirche hinaus werfen.

So wie heute, versuchte man mit Bürokratie und Vorschriften das Problem in den Griff zu bekommen. Das hatte  aber nicht den durchgreifenden Erfolg, den die Verantwortlichen sich erhofft hatten. So kam die Kölner Bettelordnung von 1473 zustande, die auf Hochdeutsch übertragen so lautet:

„Unsere Herren vom Rat vernehmen, dass viele Leute, Männer und Frauen, hier in der Stadt der Bettelei nachgehen., obwohl sie stark und gesund sind und ihr Brot selbst gut verdienen können. Auch finden sich hier viele „muylenstoesser“. Deshalb gebieten unsere Herren, dass all diese Gesunden für ihren Lebensunterhalt arbeiten und dienen sollen, und wer das nicht will, soll sich schnellstens zur Stadt hinaus machen. Wer sich nicht nach diesem Befehl richtet, in Köln bleibt und bettelt, den sollen die Gewaltrichter gefangen nehmen und ein Jahr lang in einen der Stadttürme legen, wo er nur Wasser und Brot bekommen soll, und danach soll man ihn aus der Stadt jagen.“

Um dies zu überwachen, wurde eigens eine Ordnungspolizei eingerichtet, das waren die „clocken“. Die Ordnungshüter trugen ein glockenförmiges Gewand, woraus dann die Bezeichnung „clocken“ wurde. Diese hatten auch die Befugnis, die Häuser zu betreten und dort nach „muylenstoessern“ zu suchen.

Unterstützt wurde das System von Ordnungsstrafen durch den Bau von Zuchthäusern. Diese Strafvollzugsform wurde aus Amsterdam übernommen und wurde auf jugendliche Kriminelle angewandt, indem diese ihre Strafe in Form von Arbeit abbüßten.

Heutzutage fürchten Ladeninhaber um den Ruf ihrer Einkaufsmeilen, wenn sich dort zu sehr Bettler niederlassen. Dann werden sie aus bestimmten Zonen entfernt, lassen sich anderer Stelle nieder und breiten sich in einer Art von Ameisen-Strategie wieder aus: einzeln schwärmen sie irgendwann an ihre alten Plätze zurück, und das Problem der Bettelei wird nur zwischen Orten hin- und hergeschoben, aber nie bereinigt.

Bettlerzeichen um 1500
So war der Abschreckungseffekt der Kölner Bettelordnung von 1437 begrenzt. Gegenüber den Bettlern befanden sich die Ordnungshüter in hilfloser Unterzahl, so wie heute etwa Zollbeamte an den Grenzen innerhalb der EU gegenüber Drogenschmugglern. Köln war reich und Handwerker waren stark nachgefragt, aber Arbeit in einer solchen Größenordnung, dass alle Bettler hätten beschäftigt werden können, gab es in den Handwerksbetrieben nicht. So fiel es den Bettlern nicht schwer, bei ihrer Anzahl ihre Art von Ameisen-Strategie zu praktizieren. Sie tauchten unter in Häusern, dazu war das System aus verwinkelten Gassen, Hinterhöfen, Gärten, Schuppen und Bretterverhauen zu unübersichtlich. Da manche Hausbesitzer nicht viel besser gestellt waren, machten sie gemeinsame Sache mit den Bettlern. Sie konnten bei ihnen wohnen und sie ließen sie betteln, wobei sie einen bestimmten Anteil des erbettelten Geldes – oftmals den zehnten Teil – als Miete bezahlen mussten. Wenn die Bettler in Wirtshäusern übernachteten, war es üblich, dass auf das Übernachtungsgeld ein – oder mehrere – „helffgen“ Bier, das sie trinken mussten, angerechnet wurde. So artete so manche Übernachtung eines Bettlers in einem Zechgelage aus.

Mancher Bettler stellte sich krank – und wurde von einem Hospitälern aufgenommen. Warf man die Bettler an einem Stadttor hinaus, versuchten sie es so lange an einem der übrigen Stadttore, bis sie von dort aus wieder in die Stadt hinein gelangten. Ähnlich dreist waren Bettler, die sich als Pilger ausgaben. Pilger genossen im Mittelalter Sonderrechte, denn sie brauchten beispielsweise keinen Wegezoll zu zahlen und oftmals durften sie kostenlos übernachten. Pilger gaben fälschlicherweise vor, sie wären Pilger – und sie durften betteln.

Die acht zwielichtigen Gestalten, die in den Nachmittagsstunden des 22. März 1572 aus der Stadt geworfen wurden, dürften die Kölner Bürger früher oder später wieder gesehen haben. So wechselte so mancher Bettler ins Umland von Köln. Zum Beispiel Mery Pontier, aus Paris kommend. Eine Zeitlang bettelte er in Lüttich, dann kam er nach Köln. Er wurde in einem Hospital aufgenommen, wo ihn ein „klocken“ aufspürte und aus der Stadt hinaus warf. Er wanderte nach Bonn. Den Bonnern fiel erst nach rund einem Jahr auf, dass er mit Betteln seinen Lebensunterhalt bestritt. Kurz darauf flog er aus Bonn heraus. Dort tat er sich mit zwei Italienern zusammen und kehrte nach Köln zurück. Dort wurde er im Gefängnis des Stadtturms inhaftiert und als „Wiederholungs“-Bettler heraus geschmissen. Danach reißen die Quellen ab. Was nicht bedeuten muss, dass er in Köln niemals mehr gesichtet wurde.


Quelle: Franz Irsigler/Arnold Lassotta: Bettler und Gaukler, Dirnen und Henker

2 Kommentare:

  1. So gaaanz gaaanz weit hinten meine ich mich an einen Teil davon zu erinnern. Von daher ein liebes Dankeschön dafür und den wirklich ausführlichen Post über die Bettelordnung. Kann man doch auch wieder mal sehen das sich soviel im Laufe der Jahrzehnte nicht geändert hat ;-)

    Hab einen schönen Tag und herzliche Grüsse

    N☼va

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  2. Manches hat Bestand, da gebe ich Nova recht! Vielen Dank für deine Recherche und den ausführlichen Post.
    Ich habe heute viel Neues bei dir erfahren! LG Martina

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