Freitag, 31. Januar 2014

Städte im Rheinland (4) - Rheinbach

Römerkanal
„Dat Wasser vun Kölle es jot !“ dieses Karnevalslied von den Bläck Fööss kannten die Römer noch nicht. Gleichwohl legten die Römer Wert auf Qualitätsstandards. Als ihre Hauptstadt der „provincia Germania inferior“ auf 40.000 Einwohner angewachsen war, wurde das Trinkwasser aus dem Duffesbach knapp. Ihre Idee war abenteuerlich, Wasser aus Quellen in der Eifel anzuzapfen. Es war ein waghalsiges Unternehmen, eine Wasserleitung von Nettersheim bis nach Köln zu bauen. „Dat Wasser vun Kölle es jut!“: Trinkwasser floß über eine Strecke von 90 km, davon kamen in Köln täglich 20.000 Kubikmeter besten Trinkwassers an, und der Römerkanal verlief quer durch Rheinbach.

Neubaugebiet „Römerkanal“, Haltepunkt der Voreifelbahn „Römerkanal“, Altenzentrum „Römerkanal“, „Römerkanal“-Wanderweg: unterhalb einer Frostgrenze von 90 Zentimetern eingegraben, scheint sich die Stadt Rheinbach zentral auf dieses eine Relikt aus der Römerzeit zu besinnen. Gleich viermal kann man diese aus Ziegeln gemauerten Röhren in Rheinbach bestaunen, nachdem sie bei Ausschachtungsarbeiten aus der Erde gebuddelt worden waren.

Umrauscht vom Autoverkehr, steht eines dieser Exponate an der Martinstraße. Auf hohem Sockel erhebt sich das Erbe der Römerzeit. Massives Gemäuer hat die Jahrtausende überdauert. Ziegelplatten schichten sich aufeinander. Die U-Form des Kanals krümmt sich über die Wasserrinne, die erst hinter Rheinbach die Vollendung der technischen Meisterleistung erfuhr: zuerst über das Tal des Swistbachs hinweg, dann in den ansteigende Höhenzug des Kottenforstes hinein. Erst bauten die Römer ein 1,4 Kilometer langes Äquadukt, dann gruben sie sich in den Kottenforst hinein, und das beim einem konstanten Gefälle von 0,5%.

Beim Streifzug durch Rheinbach glaube ich erkennen zu können, wo die Bomben des 2. Weltkriegs eingeschlagen sind und welche Gebäude sie verschont haben. Die Stadt ist eine sorgfältige Mischung aus Wiederaufbau in der Nachkriegszeit und liebenswürdig erhaltenen Fachwerkbauten. Stilbrüche sind selten, schockierende Fassaden aus Glas und Beton halten sich zurück.


Glasmuseum und Fachwerkhäuser in der Polligsstraße
Besonders prächtig ist der Fachwerkbau des Himmeroder Hofes, der 1686 nach einem Brand originalgetreu wieder aufgebaut wurde. Er beherbergt das Glasmuseum, das Exponate von Aussiedlern aus dem Sudetenland ausstellt, die 1948 eine böhmische Glasfachschule nach Rheinbach geholt hatten.

In der Polligsstraße hat ein entkerntes Fachwerkhaus noch jede Masse Arbeit vor sich. Das Gebälk steht fest auf der Bodenplatte, dazwischen herrscht gähnende Leere. Das Fachwerkhaus denkt nicht nur an packende und helfende Hände von Freunden, Verwandten und Vereinen: „Wir bitten alle um Verständnis, die durch die schwierigen Arbeiten gestört werden“ entschuldigt sich der Besitzer und zeigt stolz ein Modell, welches Fachwerkidyll aus der Baustelle nach der Renovierung werden soll.

Trotz des Römerkanals ist Rheinbach keine Römerstadt. Eine Urkunde des Klosters Prüm belegt, dass 762 König Pippin und seine Gemahlin Bertrada dem Kloster eine „villa reginbach“ geschenkt hatten. Das war eine Ansammlung von Gutshöfen, ein sogenannter Fronhofsverband, wo die Knechte genau definierte Pflichten an die Grundherren des Klosters auszuüben hatten. „Regin“ könnte Althochdeutsch „Regen“ bedeuten, denn aus den Bergen der Eifel vereinigten sich sechs Bäche in Rheinbach, so dass Wasser reichlich floß.

Das Kloster Prüm kümmerte sich intensiver um seinen Fronhofsverband, denn 1178 beauftragte es einen “Emelricus de Reynbag“ als Kastellan. Daraus ging das Rittergeschlecht „de Reinbach“ hervor, die ein eigenes Siegel führten. Als „dominus de Reinbach“ stiegen die Ritter sogar zu einem Adelsgeschlecht auf. Im Schutz der Nordosthänge der Eifel, auf den fruchtbaren Lößböden der Zülpicher Börde, erkannten die Ritter die strategische Bedeutung. Wichtige Handelsstraßen kreuzten sich, so dass sie 1189 mit dem Bau einer Stadtmauer und einer Burg begannen. 1289 wurde Rheinbach „oppidum“ genannt, das war eine befestigte Stadt mit Burg.

Wasemer Turm mit Überresten der Stadtmauer
Zwei Stadttore und sieben Türme hatte Rheinbach einst, dies zeigen alte Stadtansichten aus den Jahren 1659 und 1673. Somit hatten die Ritter von Rheinbach ein mächtiges Bollwerk in die flache Ebene gepflanzt. Der Wasemer Turm, Reste der Südmauer, das Neutor, der Hexenturm und der Kallenturm können noch heute bestaunt werden. Die Überreste des Mittelalters sind fulminant, sieben Meter ragt der Wasemer Turm in die Höhe. Transporter drängeln sich unter die Toreinfahrt, denn auf der Rückseite des Tores schließt der Wochenmarkt. Die Händler bauen ihren Stände ab, sie rufen sich Wortbrocken zu, deren Inhalte ich nicht identifizieren kann. Es rappelt, klappert, schleift in offene Ladeflächen. Die Geschäftigkeit im Rücken des Wasemer Turmes verstummt, als Gesichter die Toreinfahrt durchschreiten, sich unbestimmt anschauen, mit einem prüfenden Blick in ihre Transporter einsteigen. Schüler mischen sich in die Ungeduld der Abfahrt hinein, indem sie Mountain-Bikes vor sich herschieben und ihre Rucksäcke auf ihren Rücken baumeln lassen.

Die Rheinbacher profitierten davon, dass sie sich mit den Erzbischöfen von Köln zusammen taten. Als 1342 der letzte große Herrscher von Rheinbach, Tilmann, starb, fiel die Erbfolge an das Erzbistum Köln. Rheinbach markierte die Außengrenzen des Erzbistums. Jenseits der Festung waren die Feinde - das waren die Herzöge aus Jülich oder aus Aremberg in der Eifel - heiß auf eine Eroberung. Doch das sollte ihnen lange Zeit nicht gelingen, denn die Ritter von Rheinbach verteidigten tapfer ihre Festung. Dies belohnten die Kölner Erzbischöfe, denn 1440 durfte die Stadt  zwölf Bedienstete zur Verwaltung von Burg, Stadt und  Einnahmen bestimmen. Außerdem erhielt Rheinbach eine eigene Gerichtsbarkeit und durfte zweimal jährlich einen Jahrmarkt abhalten. Die Zugehörigkeit zum Erzbistum Köln endete erst 1802, als Rheinbach von Franzosen erobert wurde. Rheinbach und das Erzbistum Köln waren eng miteinander verflechtet, obschon das Erzbistum zwischenzeitlich Rheinbach an andere Fürstentümer verpfändete.

Brunnen auf dem Rathausplatz
Wo einst das Zentrum Rheinbachs mit Leben erfüllt wurde, klafft heute eine Lücke. Einen Hauch von Vergangenheit wehen die beiden Fachwerkhäuser herüber, von denen eines das heutige Stadtarchiv beherbergt und das andere das Restaurant „Raths am Bürgerhaus“. Auf der gegenüberliegenden Seite rahmt die Pfarrkirche St. Martin diesen Platz ein, dessen Vorgängerbau übrigens älter als die Stadtgründung war. 943 steht diese Kirche in einer Urkunde der Abtei in Prüm. Diese hatte eine weitere Abtei in Bad Münstereifel gegründet, wozu eine „ecclesia sita in villa reginbach“ gehörte („eine in Rheinbach gelegene Kirche“).

Cafés, Einzelhandel, Geschäfte gruppieren sich entlang der Hauptstraße. Auto an Auto schleicht über die Einbahnstraße. Dieser Platz, eine ungewollte Kombination von Alt und Neu, hat ein Übermaß an Zerstörung erlebt. Im 17. Jahrhundert hatten niederländische Truppen das östliche Stadttor, das Voigtstor, verwüstet. 1944 haben Fliegerbomben die Kirche St. Martin bis auf den Turm einstürzen lassen. Ein Stück half der Mensch auch nach, als 1902 das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert abgerissen wurde. Mager wirkt der Brunnen, der nun die Mitte des freien Platzes einnimmt. Die grauen Steinquader bemühen sich, Größe zu zeigen. Eine Markierung in der Pflasterung soll das Alte Rathaus nicht ganz vergessen machen.


Hexenturm
Man könnte Rheinbach zum Ort des Aberglaubens erklären, denn es gibt ja schließlich den Hexenturm, einen wichtigen Teil von Mauer und Stadtbefestigung. Das läßt schlimmes erahnen, denn das Verließ des Hexenturms diente als Gefängnis, in das von 1631 bis 1636 Hexen eingekerkert wurden, davon wurden 130 Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Diese 130 Hexenverbennungen war in Rheinbach nicht überproportional im Vergleich zum übrigen Rheinland, doch sie spaltete die Ratsherren. Der Hexenkommissar Franz Buirmann verdächtigte Ehefrauen einiger Ratsherren, Hexen zu sein. Buirmann war promovierter Jurist, selbst hatte er sich zum Hexenjäger ernannt. Er redete er auf die Ratsherren ein, Haftbefehle gegen die verdächtigten Ehefrauen zu erlassen. Als sie sich weigerten, betete er so lange die Vorschriften der Kurkölnischen Hexengerichtsordnung rauf und runter, bis sie die Haftbefehle erließen. Schließlich kam es, wie es kommen musste: die Ehefrau eines Ratsherren starb, weil der Hexenkommissar sie über das erlaubte Maß foltern ließ. Die Ratsherren waren außer sich – und jagten den Hexenkommissar aus der Stadt. Danach wurde er nie mehr in Rheinbach gesehen. Anstatt dessen trieb er Jahre später in Siegburg sein Unwesen.

Hexenslam
Aberglaube und Hexen haben die Zeiten sogar überdauert, wenngleich in einer harmlosen und schönen Variante. An vielen Ecken, in Schaufenstern oder auf Plakatwänden, las ich:„Hexenslam“, das war eine Intiative des Vereins „Rheinbach liest“. „Dichtkunst vom feinsten – politisch, schräg, witzig und amüsant“ – so hatte der General-Anzeiger, unsere Tageszeitung, von der Veranstaltung im letzten November berichtet.

In der Buchhandlung, die fleißig für den „Hexenslam“ warb, stöberte ich herum.
 „Dass Schnecken so interessant sind, hätte ich nicht vermutet“ meinte eine Kundin.
… 80 Seiten habe ich gelesen
… ich bin gefesselt, wie spannend das Buch ist.“

Nicht nur Hexen, sondern auch Schnecken machen neugierig. Die ungewöhnlichen Verbindungen hatten mich in Rheinbach fasziniert.

Montag, 27. Januar 2014

Paragraphen

Piet Klokke, der Kabarettist, antwortete in einem Radio-Talk auf die Frage, welches die größte Leistung seines Lebens gewesen sei: die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 vollständig rezitieren zu können. Das war in seiner Abiturprüfung, in der das Fach Geschichte sein absoluter Schwachpunkt war. Er hatte auf Lücke gelernt, und er hatte Glück, dass das Gelernte zum Abiturthema wurde. Er bestand mit Bravour. Was für Piet Klokke die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, das waren in meinem Studium die Rechtswissenschaften. Zwei Leistungsscheine musste ich im Grundstudium schaffen, und seitdem es Paragraphen gibt, stehe ich mit ihnen auf Kriegsfuß. Nicht mit Bravour, sondern mit Ach und Krach (und wahrscheinlich jede Menge Glück) bestand ich. Zweimal 4,0 ließen mich in einen Himmel höchster Gefühle schweben.

Bis heute ist mir diese juristische Denkweise verquer. Mein Verstand sperrt sich dagegen, in Gesetzen und Paragraphen herum zu suchen, was wie wo für welche Sachverhalte geregelt ist. Ich betrachte Gesetzesvorschriften als künstlich aufgeblähte Konstrukte, in wirrem und kompliziertem Deutsch, gekünstelte Wortblasen, wie niemand auf der Straße redet. Bandwurmsätze wollen nicht enden, Verweise auf andere Paragraphen führen einen in die Irre.

Wieso ich mich mit Recht und Gesetz befasse ? Meinem Interesse zuwiderlaufend, habe ich eine gewisse Dominanz von Prozessen und Gerichtsentscheidungen in unserer Tagespresse festgestellt. Bundesweit beschäftigt unser Justizapparat rund 150.000 Menschen, das ist nicht wenig. Dass Menschen ihre Streitereien und Zankereien vor Gericht austragen müssen, dadurch erhält ein Heer von Rechtsanwälten ihre Existenzberechtigung.

Zuletzt haben mich drei Gerichtsverfahren in unserer Tageszeitung ins Grübeln gebracht:

Fall 1:
Ein Ehepaar hatte ihre Nachbarn auf Unterlassung verklagt, weil deren behinderte Tochter zu viel Lärm machte. Eine Stunde lang morgens und vier Stunden abends, brüllte sie, schlug, schimpfte, fluchte, bevor bzw. nachdem sie in der Behindertenwerkstatt gewesen war.


Fall 2:
Anwohner hatten gegen einen geplanten Bahntrassenradweg geklagt, weil sie feuchte Keller befürchteten (Asphaltweg liegt höher als die Keller) sowie ihre Intimsphäre bedroht sahen (Radler können in Gärten hinein sehen).


Fall 3:
Bei der Eröffnung einer Sportsbar kam es zu einem Gerangel unter Fotografen. So als ob Paparazzis dem britischen Königspaar hinter her jagen würden, wollten Fotografen den besten Platz erhaschen. In diesem Gerangele verpasste ein Fotograf einem anderen einen Faustschlag. Vor Gericht wollte der geschlagene Fotograf Schadensersatzansprüche wegen Körperverletzung geltend machen.

Ich habe den virtuellen Ausflug in die Gerichtskanzleien gewagt. Im Internet habe ich in den Themen gestöbert, für was sich Menschen, die voll bei Verstand sind, vor Gericht herum streiten und herum zanken. Ich bin amüsiert und entsetzt zugleich. Den Alltag von Richtern und Rechtspflegern stelle ich mir jedenfalls nicht langweilig vor.

Es findet sich manches Kurioses unter den Gerichtsurteilen. „Wer in Afrika mit einer Banane herum läuft, dem kann es passieren, dass er von einem Affen gebissen wird“  so urteilte das Amtsgericht Köln zu einem Urlaub in Kenia. Ein Urlauber hatte eine Banane aus dem Frühstücksraum mitgenommen, um sie tagsüber zu verzehren. Auf dem Weg zum Hotelzimmer tauchte ein Affe auf, krallte sich die Banane und biß dem Urlauber in den Finger, weil er die Banane nicht hergeben wollte. Es ist nicht unüblich, dass in Afrika Affen frei herum laufen, mit dieser Begründung wies das Amtsgericht die Klage auf Schmerzensgeld gegen den Reiseveranstalter ab.

„Straßenfeste müssen nicht zwingend von Sicherheitsdiensten überwacht werden“, das befand das Amtsgericht Oldenburg. Als beim „Störtebecker Straßenfest“ eine Rock’n’Roll-Band spielte, stellte ein besoffener Gast zwei Biergläser auf die Lautsprecher. Als ein Mitglied der Band ihn aufforderte, die beiden Biergläser dort wegzustellen, schmiss der Gast ihm die beiden Biergläser ins Gesicht. Der Musiker wollte Schmerzensgeld gegen den Veranstalter des Straßenfestes geltend machen (und nicht gegen den Gast). Der Veranstalter muss weder für eine massive Polizeipräsenz sorgen, noch Sicherheitsdienste engagieren, das sagte das Gericht, so dass der Gast für den Schaden blechen muss und nicht der Veranstalter.

Das Amtsgericht Bonn hatte die Ehre, sich mit Katzen beschäftigen zu dürfen. Im Kleingedruckten des Mietvertrages stand, dass Haustiere mit Zustimmung des Vermieters gehalten werden dürfen. Mieterin und Vermieter redeten aber nie miteinander, bis der Vermieter nach anderthalb Jahren erstmalig in der Wohnung Mieterin samt Katze erblickte. Er bestand auf Beseitigung der Katze. Doch der Richter hatte ein Einsehen mit der Welt der Vierbeiner und die Katze durfte bleiben, weil der Vermieter sie anderthalb Jahre geduldet hatte.

Sogar der Kölner Karneval war Gegenstand von Gerichtsstreitigkeiten. Einem Besucher des Rosenmontagszuges wurde ein Schokoriegel ins Gesicht geworfen, worauf er Schmerzensgeld forderte. Der Kläger muss ein extremer Ignorant gewesen sein, denn das Amtsgericht Köln bügelte ihn schnell ab, dass das Werfen von Süßigkeiten beim Rosenmontagszug üblich, erwartbar und eine Jahrhunderte alte Tradition ist. Im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches stellen Kamelle keine Gefahrenquelle dar.

Recht und Gesetz sind ungefähr so alt wie die Menschheit selbst. Schon das römische Recht regelte Eigentum, Besitz und Bürgerrechte. Wesentlich später, nach der französischen Revolution, kamen im wesentlichen Freiheits- und Grundrechte dazu. Damit betrunkene Autofahrer bestraft werden, damit wir nicht alle gleichzeitig bei Rot über die Ampel fahren, damit uns Verkäufer nicht irgendwelchen Schrott andrehen, dazu brauchen wir Recht und Gesetz. Viele Streitigkeiten, die vor Gericht ausgetragen werden, haben im Kern sicherlich ihre Berechtigung.

Doch in einigen Fällen, die ich oben beschrieben habe, reagieren Menschen gereizt, als wolle man ihnen Böses. „Kniesbüggel“, so beschreibt man diesen Menschentyp auf Kölsch, der stets schlecht gelaunt ist. In einer Abwehrhaltung will er seine Umwelt von sich wegschieben, er ist leicht gekränkt und eingeschnappt.

Der Gang zum Rechtsanwalt ist dann gleichzeitig ein Gang zum Psychologen. Rechtsanwälte nehmen dann die Kommunikation auf, zu der ihr Klient nicht fähig ist. Das ist bequem, wobei der Streit auf die rein formale Ebene von Paragraphen gehoben wird. Rechtsanwälte können sich dann in diesen aufgeblähten Konstrukten von Gesetzen und Gerichtsentscheidungen bewegen, die kein normal Sterblicher versteht. Dahinter kann sich solch ein „Kniesbüggel“ verstecken. Er wird sogar aufgewertet, weil er sich solch einen Experten für diese höherwertige juristische Materie leisten kann.

Bisweilen wird er zusammenschrumpfen wie ein Uli Hoeness bei seiner Steuerhinterziehungs-Affäre. Er wird jegliche Kommunikation einstellen, er wird aufhören zu reden. Sofern er zurück schlägt, überläßt er das seinen Anwälten. Sofern diese Menschen eine Machtposition innehaben, sind das wahrlich unangenehme Zeitgenossen.

Sonntag, 26. Januar 2014

Kreisverkehr

Seit Mitte letzten Jahres rollt der Verkehr. Im Umfeld der Kostenexplosionen beim U-Bahn-Bau in Köln, beim World Conference Center oder bei der Sanierung der Kennedybrücke ist der Kreisverkehr auf der B9 als wahre Erfolgsgeschichte gefeiert worden. Die kalkulierten Baukosten wurden eingehalten, genauso der Fertigstellungszeitpunkt. Gebaut wurde in den Sommerferien, und selbst im Berufsverkehr staute sich der Autoverkehr nicht übermäßig. Ich sehe das etwas anders. Die 4,5 Millionen Baukosten sind eine schwergewichtige Größenordnung, zumal ich auf dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln – so bewege ich mich durch die Stadt – nichts davon habe. Die Verfechter des Kreisverkehrs werden dagegen halten, dass Autofahrer an den Verkehrsampeln nun links abbiegen können. Dafür mussten die Autofahrer bisher 200 Meter weiter in der einen Richtung oder einen Kilometer in der anderen Richtung fahren. Diejenigen, die den Kreisverkehr als Erfolgsgeschichte gefeiert haben, haben vor allem vergessen, dass zuvor die U-Bahn einen halben Kilometer ein weiteres Stück unterirdisch verlegt worden ist. Das hat 13,9 Millionen Euro gekostet. Das bringt den Fahrgästen der Stadtwerke überhaupt nichts, weil die Fahrzeit exakt dieselbe bleibt. Als Steuerzahler stelle ich fest, dass einerseits fleißig in die Verkehrsinfrastruktur investiert wird, während andererseits die Stadt mit ihren 1,6 Milliarden Schulden am Abgrund steht, so dass Theater, Oper, Bibliotheken und Schwimmbäder um ihre Existenz bangen. Verkehr oder Kultur ? Die Frage beantwortet sich von selbst. Freie Fahrt für den Autoverkehr. Die Blechlawine muss rollen.







Hochtrabend, wie über allen Galaxien schwebend, wird der Kreisverkehr  als „Trajektknoten“ bezeichnet. Mit den 36 Metern Außenradius ist er einer der größeren seiner Art.


Seitwärts des Kreuzungspunktes werden nun Bürogebäude hochgezogen.


Die U-Bahn fährt nun 500 Meter früher unter die Erde. Die Fahrt wird dadurch keine Sekunde kürzer.

Freitag, 24. Januar 2014

Formlos (3) - Schnellbus 55



Dass ausgerechnet Busfahrer übergewichtig sind, hält sich hartnäckig in meiner Erinnerung. Statistiken, wenn es sie gibt, werden das nicht beweisen können. Busfahrer ernähren sich genauso wie andere Berufsgruppen: es wird dicke und dünne geben, lange und kleine, dumme und schlaue und so weiter. Busfahrer essen nicht anders, trinken nicht anders, bewegen sich nicht anders, kurzum: biologisch unterscheidet sich ihr Körper nicht, wie viele oder wie wenige Kalorien ihr Körper verbrennt.

Trotzdem: zuletzt habe ich das lebendige Beispiel eines Busfahrers erlebt, dessen Gewicht ein Exempel statuiert hat. Wartezeiten sind öde, nutzlos, vergeudete Zeit. Die Muster des Wartens ähneln sich, wenn man mit dem Auto im Stau steht, wenn die Durchsage auf dem Bahnsteig eine Zugverspätung angekündigt hat oder, wie in meinem Fall, dass ich mitsamt den anderen Fahrgästen auf den Schnellbus 55 warte. Ein Lehrstuhl für Verkehrswissenschaften hat sogar an einer Universität kompliziert herum gerechnet, wie viel volkswirtschaftlicher Schaden in Euro entsteht, wenn Autofahrer im Verkehrsstau stecken bleiben.

Der ganz normale Büroalltag war vorbei, als die Prozedur des Wartens seinen Lauf nahm. Erst U-Bahn, dann Aussteigen, dann gemächlicher Fußweg. Ein kurzes Stück passierte ich die Grünanlage, die lang, geradlinig, entschlossen und mit schönem Blick auf das Poppelsdorfer Schloss zu lief. Der Fußweg knickte ab, ließ die barocke Pracht in der Ferne und ich näherte mich der Wartezone, dem Busbahnhof.

Busse kreisten umher, kurze Busse, Gelenkbusse, leere oder mit Menschen vollgestopfte Busse, von denen einer der Schnellbus 55 sein sollte. Erwartungsschwanger, kauerten die Fahrgäste vor sich her, blickten dumpf in den Feiertagshimmel, standen mit den Füßen wie festgewurzelt auf dem Bussteig. Dieser war nicht gerade eine Augenweide, weil er eine komplette architektonische Fehlplanung war und am Rande des Busbahnhofs Drogenabhängige in Scharen herum lungerten.

Heute hatten wir Glück, denn der Schnellbus 55 trudelte pünktlich ein. Minutengenau schob sich die Front des Busses vor die Kante des Bussteigs. Die Türen öffneten sich. Doch anstelle dass wir Fahrgäste einsteigen konnten, kam der große Auftritt des Busfahrers. Seine Sternstunde hatte geschlagen, als er ausstieg und die Türe von aussen wieder verschloss. Das irritierte uns, und unsere vereinigten Blicke hakten sich an dem Busfahrer fest, denn wir wollten eigentlich pünktlich einsteigen.

Den ließ alles kalt. Schwerfällig trotteten seine Schritte quer über den Busbahnhof. Seinen starren Körper schleifte er hinter sich her. Lahm wie eine Ente, konnte ihn niemand aus der Ruhe bringen. Er schaute nicht links, nicht rechts, und die fest gekrallten Blicke der Fahrgäste fragten sich, was er im Schilde führte. Ich dachte an die Anfangsszenen des Westerns „Spiel mir das Lied vom Tod“, in der die Bewegungen nur eine Spur schneller als der Stillstand waren. Die Handelnden konnten sich kaum aufraffen. Lethargisch waren die Abläufe. Langsamkeit wurde zum dominierenden Stilelement.

Die Umrisse, was er im Schilde führte, wurden klarer, als er den Glaskasten des gegenüberliegenden Kiosks erreichte. Der Anblick dieses Nestes, wo die Busse wild umher kreisten, war ohnehin deprimierend. Ruhelos, rastlos, schnell, anonym, auf einen Verkehrsknotenpunkt des öffentlichen Personennahverkehrs reduziert, war der Busbahnhof jeder Menschlichkeit entblößt. Grüne Flecken waren Fehlanzeige, die Augenblicke meiner Anwesenheit drückte ich schnell weg: ab in den Schnellbus 55, der mich in 30 Minuten nach Hause bringen sollte.

Als der Busfahrer aus dem Glaskasten des Kiosks heraustrat, wurde alles klar. Einen Pappbecher in der Hand, schlürfte er Kaffee in sich hinein. Und der Busfahrer hatte sich gedreht. Nun hefteten sich die Blicke der Fahrgäste auf seine Frontseite. Diese stand auf dem Präsentierteller. Theaterreif, wie auf einer Bühne, bewegte sich seine Gestalt zum Bussteig zurück. Zu einer Halbglatze hatte sich sein Haar gelichtet, klein und geduckt und kugelig war seine Gestalt zusammen geschrumpft. Je näher er zu unserem Schnellbus 55 zurück schritt, um so dominanter wurde sein Bauch.

Sein Übergewicht versteckte sich unter seinem blauen Winterpullover, der sich aufblähte. Die Fettmasse seines Bauches wabbelte hin und her, nahm die Form einer Kugel an. Auch hier bewahrte er diese unerschütterliche Ruhe, seine Fettmasse wurde zum Denkmal. Nicht viel hätte gefehlt, dann wäre sein nackter Bauch heraus gequollen, doch Hemd und Pullover schafften es, all diese Kubikzentimeter von Fett zu bedecken.

Häßlich und abstoßend kehrte er zu seinem Schnellbus 55 zurück. In unser aller gemeinsames Gedächtnis hatte er sich verewigt. Das ist schade für die Stadtwerke, dass der Eindruck entsteht, dass Busfahrer im Vergleich zu anderen Berufsgruppen übermäßig übergewichtig sind.

Der Busfahrer war eine Provokation. Zehn Minuten Verspätung hatte er uns Fahrgästen eingehandelt, weil er seinen wabbeligen Bier- oder Süßigkeiten- oder Freßbauch spazieren geführt hatte.  Dieser Moment, der sich zu zehn Minuten ausgedehnt hatte, habe ich in meinem Gedächtnis verewigt. Dass Busfahrer übergewichtig sind, daran werde ich mich wahrscheinlich bis zu meinem Tode erinnern.

Donnerstag, 23. Januar 2014

auf der Krönungsstraße von Frankfurt am Main nach Aachen

Albrecht Dürer, Karl der Große (1513)
Quelle: Wikipedia
Kaiser, Könige und Herrscher führten ein unstetes Leben, denn sie mussten nicht nur große Schlachten schlagen, sondern sie mussten reisen. Dies geschah ausgedehnt, damit die Herrscher wussten, was bis in den letzten Winkeln ihres Herrschafts- und Königreich los war.

Es war kein geringerer als Karl der Große, der eine familienfreundliche Politik betrieb. Er kümmerte sich selbst um die Erziehung seiner Söhne und Töchter, speiste zu Hause stets mit ihnen zusammen. Abgöttisch liebte er seine Töchter, weil sie sehr schön waren, und am liebsten hätte er sie alle bis zu seinem Tode in seinem Haus behalten. Er war Patriarch, und außer Frau und Kinder lebten noch Mutter, Schwester, Onkel und Tanten in seinem Hause. Seine familienfreundliche Politik ging sogar soweit, dass er seine Großfamilie auf Reisen mitnahm. Wenn er nicht gerade Krieg führte, was wohl einen großen Teil seines Lebens ausgemacht hat.

Das klingt unglaublich ? Ist es aber nicht, denn der Gelehrte Einhard war Architekt am Hofe Karls des Großen und hat nach seinem Tode 814 eine Biografie geschrieben, die „Vita Caroli Magni“. Dadurch wissen wir relativ viel über den ersten Kaiser des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation in dieser ansonsten eher armen Zeit des Frühmittelalters, was historische Quellen betrifft.

Wenn er reiste, übernachtete er in „villae“ oder Pfalzen. Dabei erscheinen die Worte „villae“ oder „palatium“ gleichrangig in den historischen Quellen. Inventare des frühen 9. Jahrhunderts beschreiben, wie solche „villae“ in Flandern ausgesehen haben: „… Sehr schön aus Stein errichtet, mit drei Hallen, elf Frauengemächern und ganz von einer Galerie umgeben. Fernerr fanden wir einen Keller, zwei Portiken, im Inneren des Hofes siebzehn weitere Holzhäuser mit ebenso vielen Gemächern. Alle übrigen Nebengebäude waren in gutem Zustand: ein Stall, eine Küche, eine Bäckerei, zwei Getreidespeicher, drei Scheunen; ein Hof mit festem zaun, einem steinernen Tor und darüber eine Galerie, ein weiterer kleiner Hof, ebenfalls mit einem festen Zaun umschlossen, ordentlich angelegt und mit verschiedenen Baumsorten bepflanzt.“

Dort ließ es sich mit Kind und Kegel gut aushalten. Ein Junker verwaltete die „villae“, Bauern und Knechte kümmerten sich um das Anwesen. Im „capitulare de villis“ war sogar akribisch geregelt, wie solch ein Gut zu bewirtschaften war. Während die Kaiserpfalz in Aachen weithin bekannt ist, standen im Rheinalnd weitere „villae“ oder Pfalzen in Düren und Sinzig. So berichtet Einhard, dass Karl der Große sich am 25.12.769 und am 15.9.774 in der „villa Duria“ aufgehalten hat – das ist Düren. Die Pfalz in Sinzig wird in einer Urkunde in der Kirche in Kesseling erwähnt – das liegt in einem Seitental der Ahr - , dass Karl der Große am 7.7.762 Eigentumsrechte an einer „palatium Sintiacum“ erwarb.

Wenn Karl der Große mit Frau und Kind und Kegel von Pfalz zu Pfalz gereist war, dann musste es logischerweise Verkehrswege zwischen den Pfalzen geben. Dass Karl der Große und andere Könige des karolingischen Adelsgeschlechts über die Strecke Aachen - Düren - Sinzig den Rhein entlang gereist waren, dazu sind die Belege im frühen Mittelalter noch zu dürftig. Einhard nennt in seiner „Vita Caroli Magni“ einen Ort „Hludovesthorp“ an der Ahr, dass könnte „Lohrsdorf“ bei Sinzig sein. 870 erleidet Ludwig der Deutsche einen Unfall in „quandam regiam villam nomine Flamersheim“. Flamersheim liegt bei Euskirchen. Die Existenz dieser Straßenverbindung bleibt aber Spekulation.

Straßenkarte von Sebastian Münster (1515)
Es mussten Quellen aus späteren Jahrhunderten durchforscht werden, um dieses Geheimnis zu lüften. Das Geheimnis trägt das Kürzel „AFH“ und erscheint 1515 in der Kartografie als „Codex latinus 10691 Manuscriptum mathematicum“ in der königlichen Hof- und Staatsbibliothek in München. Der Cosmograph Sebastian Münster hat eine Straßenkarte gezeichnet, auf der er die Orte Ach (Aachen), „Tewern“ (Düren), „Tormens“ (Tomburg bei Rheinbach) und „Rynmagen“ (Remagen) nennt. Noch früher, im 14. Jahrhundert, erscheint die Straße im „Itinéraire Brugeois“ als Pilgerstraße von Brügge den Rhein entlang nach Venedig – aber ohne die Bezeichnung „AFH“.

„AFH“ steht für Aachen-Frankfurter-Heerstraße und taucht seit dem 15. Jahrhundert durchgängig als Straßenbezeichnung auf. Zu dieser Zeit musste das Verkehrsaufkommen auf der AFH riesig gewesen sein – sozusagen wie heutzutage auf einer Autobahn. 1510 berichtete ein Wallfahrer aus Metz in Lothringen, dass er auf seiner Reise nach Aachen an einem Nachmittag „auf der großen Straße“ an mehr als 50.000 Menschen vorbeigeritten sei. 1546 steht in der Marschordnung des Generals von Büren, dass er mit seinem Heer Aachen verlassen hatte und über die AFH von Düren bis nach Andernach geritten war. 1496 wird die AFH im Kursbuch der Thurn- und Taxisschen Post erwähnt, dass diese Teil der großen niederländisch-tirolischen-italienischen Postroute war.

Ebenso nahmen Handel und Gütertransport zu, zumal die Stadt Köln 1256 das Stapelrecht eingeführt hatte. Neben dem Wegezoll, der ohnehin üblich war, mussten Kaufleute alle über den Rhein transportierten Waren zum Kauf anbieten. Das kostete nicht nur Zeit, sondern auch Geld, wenn sie die Fahrt über den Rhein nicht stoppen wollten, denn gegen Zahlung eines Stapelgeldes konnte die Schiffsladung ihre Reise fortsetzen.

Straßenkarte im Eifel- und Hunsrückgebiet (15. - 18. Jh.)
Um diesem Ärgernis zu entgehen, luden die Kaufleute ihre Waren am Hafen in Remagen aus, und machten auf dem Landweg über die AFH einen großen Bogen um Köln. Die Städte entlang der AFH waren aber nicht dumm und wollten von dem blühenden Handel profitieren, und so entstand das nächste Ärgernis: sie richteten Zollstellen ein. So war Rheinbach prädestiniert für den Wegezoll, denn dort kreuzten sich zwei bedeutende Fernhandelswege, das waren die AFH und die alte Römerstraße vom Rheintal in die Eifel. Die Stadtkämmerer in Rheinbach rieben sich die Hände, denn die Einnahmen aus den Zollgebühren stiegen von 1421 nach 1449 von 252 rheinischen Gulden auf 925 rheinische Gulden.

Doch die Kaufleute ließen sich nicht alles gefallen. 1470 beschwerten sie sich beim Kölner Magistrat – aber ohne Erfolg. Anders geschah es Gerhard von Are, dem Propst des Bonner Cassius-Stiftes. Er richtete bei Eckendorf eine Zollstelle ein. Diesmal beschwerten sich die Kaufleute direkt beim König. Daraufhin musste Gerhard von Are geloben, den zu Unrecht erhobenen Zoll in Zukunft nicht mehr zu verlangen. Weiterer Zank und Streit entstand, weil es eine Anweisung des Aachener Bischofs gab, dass alle Pilger keinen Wegezoll zu zahlen hatten. So schrieb der König direkt an König Offa von Mercien im Nahen Orient, dass er das Treiben gewisser Pilger beklage, die zudem keinen Wegezoll zahlten.

Es war die Krönung Heinrichs III. im Jahr 1028, die die AFH zur Krönungsstraße gemacht hatte. „Kaiser des Heiligen römischen Reiches deutscher Nation“, diese höchste Stufe der Krönung hatte Karl der Große eingeführt. Zuerst die Kaiserkrönung in Aachen, wo er die Reichsinsignien Krone, Zepter und Schwert erhielt, dann die Vollendung in Rom, indem der Papst dem Kaiser seinen Heiligen Segen dazugab. Das Jahr 1028 war ein besonderes, denn zuvor fand erstmals eine Wahl statt. Das war keine Wahl nach heutigem Verständnis, denn es wurde vielmehr ein richtiger Nachfolger aus dem Adelsgeschlecht des verstorbenen Königs ernannt oder benannt. Gewählt wurde in Frankfurt am Main. Dort nahm die Zeremonie ihren Lauf, denn der frisch gewählte König reiste nach Aachen zur Krönung. Die Reise folgte dem Main, dann dem Rhein, wobei die „villae“ oder Pfalzen Fixpunkte auf der Reiseroute waren. Rheinaufwärts Ingelheim bei Mainz, im Rheinland dann Sinzig und Düren.

Goldene Bulle (um 1400)
Quelle Wikipedia
Heinrich III. war der erste deutsche Kaiser, der nachweislich die Strecke von Frankfurt am Main nach Aachen zurückgelegt hatte. Noch genaueres weiß man von Friedrich Barbarossa etwas mehr als einhundert Jahre später. Er wurde am 4.3.1152 in Frankfurt zum König gewählt. Am 6.3.1152 betrat er in Frankfurt das Schiff. Am selben Tag erreichte er Sinzig („in villa regali Sinziche applicuit“). Am 9.3.1152 ritt er mit dem Pferd weiter und erreichte abends Aachen. Später, 1356, wurden die Vorgehensweisen der Wahl und der Krönung des deutschen Königs in Aachen in der „Goldenen Bulle“ festgeschrieben. Erst Napoleon, danach die Preußen, machten diese Wahl ab Ende des 18. Jahrhunderts hinfällig.

Auf 259 Metern Höhe, auf der höchsten Erhebung zwischen Düren und Sinzig, zwischen Fritzdorf und Ringen in Grafschaft, erinnert man sich heutzutage an die Krönungsstraße. Das Gelände steigt an, ein Wirtschaftsweg schiebt sich durch Plantagen von Apfelbäumen. Oben, auf der Höhe, besticht die Aussicht ins Gelände hinein, das wie Bugwellen ansteigt, dann ins Ahrtal abstürzt und dann in der Ferne an den bewaldeten Hängen der Eifel wieder ansteigt. Eine Windmühle ohne Flügel sticht in die Weite hinein. Ein Ort zum Innehalten, ein „genius loci“, der den Kopf frei macht und gleichzeitig Ideen sucht, entwickelt und sammelt.

Allenfalls kümmerliche Reste haben sich von der Krönungsstraße erhalten. Das Kopfsteinpflaster, das seitwärts an der Windmühle vorbei führt, kann jedenfalls nicht zur Krönungsstraße gehören, denn auf solch einer rumpligen Oberfläche können keine Pferdefuhrwerke mit schwer beladenen Wagen auf längerer Strecke verkehrt haben. Die Krönungsstraße versteckt sich hinter Wegen, Straßen, mit Schotter besser befestigte Straßen, die im Verlauf der Jahrhunderte längst mit Gestrüpp zugewuchert sind. Das Ende der Krönungsstraße kam mit der Eisenbahn, die Waren besser, schneller und günstiger transportieren konnte. Heute ist die Krönungsstraße fast verschwunden, aber im Abschnitt von Rheinbach über Grafschaft nach Sinzig versuchen Hinweistafeln, sie wieder zu beleben. Meist erinnern nur noch Flurnamen an Könige, Herrscher und Geschichten entlang der Krönungsstraße.

eigenes Foto
Die AFH oder Krönungsstraße verläuft heute im Abschnitt vom Autobahndreieck Bad Neuenahr bis zum Autobahnkreuz Kerpen ungefähr parallel zur heutigen Autobahn A61. Das ist aber Zufall, denn die Planer der Autobahntrasse werden kaum von der einst großen Heer,- Pilger-, Post- und Handelsstraße gewußt haben.

Quellen:
http://www.via-regia.org/bibliothek/pdf/Kroenungsstr.Sinzig.Dueren.pdf
J. Nottebrock: die Aachen-Frankfurter-Heerstraße in ihrem Verlauf von Aachen bis Sinzig
Pierre Riché: Die Karolinger

Montag, 20. Januar 2014

Formlos (2) - Entsorgung



Es gibt Momente, die beschreibt man am treffendsten durch ihr Gegenteil. Weihnachten, das ist ganz viel Feierlichkeit, Familienfest, Freude, Erwartung, Besinnlichkeit unter den Lichtern des mit viel Glitzerschmuck behangenen Tannenbaums. Nun geht alles rückwärts. Einmalaktion statt Feierlichkeit, Unaufgeregtheit statt Familienfest, Wegschauen statt Erwartung, Sachlichkeit statt Freude, maschinelle Verarbeitung statt Besinnlichkeit.

Schluss, aus, vorbei. So wie man das Licht ausschaltet, wird in einem Moment die Weihnachtszeit für beendet erklärt. Bei uns zu Hause ist es ein Abschied auf Raten, wenn stückweise die Weihnachtsdekorationen aus den Zimmern verschwinden. Entsorgung steuert viel mehr auf einen einzigen Augenblick zu.

Entsorgung hat keine Dramatik. Die Weihnachtsbäume warten auf den einen, unspannenden Moment. Wie sie den Straßenrand bevölkern,  ist sogar ein Massenphänomen, denn sie kehren nach festen Handlungsmustern wieder. Ab vor die Haustüre, das Weihnachtsfest wird in die Vergessenheit geschoben. Manche versperren den Bürgersteig, die meisten Weihnachtsbäume achten aber auf ihre Mitmenschen und halten sich jenseits von Laufwegen oder Autoverkehr auf. Oftmals ähneln sich die Handlungsmuster. Unselbstständige Grünflächen sind begehrt. Dort, wo das Grün auf genau zugewiesenen Flecken gegen die hoffnungslos zugepflasterte Stadt aufbegehrt, wird dieses Stückchen Erde aufgewertet. Die grünen Zonen gewinnen an Üppigkeit, wenn sich das Tannengrün gemächlich ausbreitet und querliegende Tannenbäume Unkraut oder Matsch verdecken.

Was dann geschieht, läuft in einer durchgeplanten Sachlichkeit ab. Weihnachtsbäume werden ihrer Wiederverwertung zugeführt. Die Emotionen der Menschen laufen rückwärts ab, denn ungefähr elf Monate später jährt sich das Weihnachtsfest aufs Neue, irgendwo aus dem Sauerland oder der Eifel werden neue Weihnachtsbäume importiert. Es wird dafür gesorgt sein, dass jeder Haushalt aufs Neue seinen Weihnachtsbaum bekommt, damit es dort fleißig glitzert und dekoriert wird.

Die Müllabfuhr hat ihre Touren. Ein Plan organisiert die Abfuhrbezirke. Da wir uns im industriellen Zeitalter befinden, schonen Maschinen die Handarbeit beim Einsammeln und Wiederverwerten der Weihnachtsbäume. Der Farbton in Orange hat Tradition. Er warnt, erregt Aufmerksamkeit. Der Signalton hat auch den Eindruck in mir hinterlassen, dass die Arbeit der Müllmänner wertvoll ist.
Die zwölf Kubikmeter Sammelvolumen bewegen sich von Haus zu Haus vorwärts. Der Behälter ist so groß, dass ich meine, er könnte die Weihnachtsbäume der halben Stadt schlucken. Die Müllpresse verrichtet ganze Arbeit. Es rattert, reibt, zerreibt, zerkleinert, stampft mit Herkuleskräften zusammen, die Müllpresse stöhnt. Langsam, im Schneckentempo, ohne Schwung, stochert der LKW vorwärts. Der Dieselmotor brummt zwischen Doppelhaushälften.

Ein Handgriff genügt. Die orangene Schutzbekleidung der Müllmänner sticht in den winterlichen Morgen, fest stapfen ihre Sicherheitsschuhe über den Asphalt, der Müllwagen treibt sie hinter sich her. Ich erlebe das Weihnachtsfest rückwärts. Die Weihnachtsgeschenke sind wieder vergessen, das winzige Baby des Jesuskindes ist ein paar Wochen alt geworden. Christliche Nächstenliebe wird zum nächsten Fest, dem Osterfest, wieder recycled.

Der eine Müllmann, ein stämmiger, derber Typ, macht kurzen Prozess. Er greift in Vergängliches hinein. Die Einmaligkeit des Augenblicks verschwindet auf Nimmerwiedersehen. Er entsorgt das Weihnachtfest, indem er den Tannenbaum am Stamm packt und senkrecht in die Höhe hebt. Ohne nachzudenken, sind seine Handgriffe Routine. Der Weihnachtsbaum bäumt sich auf, streckt die Zweige zur Seite, und der Müllmann übergibt Bündel von Tannennadeln an die nüchterne Realität. Ein Schwung, und die Müllpresse schreddert und zerkleinert und staucht das Weihnachtsfest zusammen.

Die letzte Reise des Weihnachtsbaums hat begonnen. Sie endet im Kompostwerk. Eine riesige Zerkleinerungsmaschine häckselt dort die vergangene Weihnachtspracht in kleinste Bestandteile. Mikroorganismen leisten im Kompostwerk ganze Arbeit. Weihnachten wird in Humus verwandelt. Das gesegnete Weihnachtsfest wird sich danach in unseren Gärten wiederfinden.

Sonntag, 19. Januar 2014

Entsorgung

Während auf unserem Nachbargrundstück Schlitten und Nikolaus in hellem Licht erstrahlen, sorgt man anderenorts für klare Verhältnisse. Aus, Schluß, vorbei. Die Heiligen Drei Könige sind längst vorbei, und irgendwann sollte sich die Weihnachtsstimmung in Luft auflösen. Die Weihnachtsbäume sind Vergangenheit, denn sie warten am Straßenrand auf den Abtransport. Weg damit, bis sie in elf Monaten wieder neu gekauft werden und mit lauter Deko und Weihnachtsschmuck behangen werden.


Auch auf zentralen Plätzen wie dem Münsterplatz warten sie auf ihre Entsorgung.




Die Stimmungsbilder der Weihnachtsbäume am Straßenrand sind bisweilen bizarr: inmitten von Verkaufskästen der Bild-Zeitung, neben viel PS eines Motorrads oder neben einem Plakat einer Kasperle-Theaters.


Nun heißt es, Abschied von den Weihnachtsbäumen zu nehmen. Ein Griff genügt, und Geäste von Tannenbäumen landen in der Müllpresse der Müllabfuhr.

Samstag, 18. Januar 2014

Städte im Rheinland (3) - Remagen

Denkmal Caracciola
Kinderreichtum bringt Segen, das dachte Johann Otto August Caracciola. Er war ein Mann der Taten. 1815 geboren, hatte es ihn mit 28 Jahren nach Remagen gezogen, wo er die Agentur der Kölner Dampfschifffahrts-Gesellschaft übernahm. Doch nicht nur im Geschäft, sondern auch im Bett war er ein Mann der Taten. So zeugte er mit seiner Ehefrau Marianne dreizehn Kinder. Er bliebt treu, seine Rheindampfer schifften Touristen aus Europas über den Rhein, er war Familienmensch mit Leib und Seele, bis das Unglück geschah: seine geliebte Gattin starb 1860. Doch das warf den dynamischen Witwer nicht aus der Umlaufbahn. Irgendwie kam er mit den dreizehn Kindern über die Runden, und danach stürzte er sich in ein neues Glück: 1864 ehelichte er seine zweite Ehefrau Adelheid. „Kinderreichtum bringt Segen“, in dieser Ehe bewahrheitete sich diese Weisheit aufs Neue, denn nun folgten sechs Kinder. Wer rechnen kann, zählt nunmehr neunzehn Kinder.

Unvorstellbar ? Nun schaut Johann Otto August Caracciola von seinem Denkmal rheinaufwärts, die Lastkähne tuckern auf dem Rhein. Der Himmel drückt tief hängendes Gewölk herunter. In der Januarblässe steigen die auslaufenden Berghänge der Eifel unvermutet an. Rheinaufwärts kanalisiert sich der Verkehr. Bundesstraße plus Einsenbahnlinie plus Rhein, alles fließt. Das Gestänge der Oberleitung frißt sich in den Berghang hinein. Die Verkehrstrassen schieben sich wie ein Fremdkörper unter die Apollinariskirche, die schüchtern oben auf dem Berg liegt.

Apollinaris-Kirche
Es waren die Verkehrswege und der Schutz des Rheintals, was die römische Siedlung „Rigomagus“ entstehen ließ. Erstmals durch den römischen Chronisten Marcellinus erwähnt, konnte sich ein „oppidum Rigomagus“ als einziger römischer Stützpunkt gegen die Germanen behaupten. Dabei kommt der Name „Rigomagus“ nicht aus dem Germanischen, sondern aus dem Keltischen. „Rigo“ bedeutet so viel wie König, „magus“ ist das Feld.

Römermuseum
Die Römer hatten sich an dieser Stelle breit gemacht. 30.000 Doppelschritte waren nach Köln zurückzulegen, das zählt ein Meilensteinrest aus dem Jahr 145 zusammen. Kaiser Trajan sollte von dem Außenlager in der fernen germanischen Provinz Notiz nehmen: „Dem Imperator und Cäsar, dem Sohn des göttlichen Nerva, Nerva Trajanus, dem besten Augustus, Germanicus …“, das hat sich auf einer Stele verewigt. Die Inschrift auf einem Altar belegt sogar, dass „Rigomagus“ im Jahr 179 einen Hafen gehabt hat. Die Überreste aus der Römerzeit sind vielfältig, wenngleich einige Bestände des Römermuseums im zweiten Weltkrieg zerstört worden sind. In der Stadt muss man schon mit mikroskopischem Blick hinsehen, um die Römerzeit zu entdecken. So sind in der Kirche St. Peter und Paul einige Steinquader aus der Römerzeit verbaut. Bruchsteine aus Grauwacke standen jedenfalls reichlich zur Verfügung, denn an dieser Stelle, wo mehrere Jahrhunderte später die Kirche gebaut wurde, war die römische Stadtmauer ein gewaltiges Monstrum. Drei Meter war sie breit und sechs Meter ragte sie in die Höhe.

Die Gassen Remagens sind eine übersichtliche Angelegenheit und bewegen sich in einem magischen Dreieck zwischen dem Bahnhof, dem Rhein und der Kirche St. Peter und Paul. Römermuseum, Kirche St. Peter und Paul, Caracciola-Gedenkzimmer, Rheinpromenade, Friedenskirche, Obelisk: in handlichem und fußläufigem Format liegt alles schön dicht beisammen. Die Gassen ergeben sich in der Januarblässe einer gewissen Trägheit. „Geschlossen vom 20. Dezember bis zum 12. Januar“ weist ein Hotel mögliche Gäste ab. Die Besitzerin tritt die Eingangstüren hinaus, schließt ab, wirft einen flüchtigen Blick über das Treppengeländer. Wie schlaftrunken, staksen ihre Schritte über die holprigen Pflastersteine. Schräg gegenüber, im Lokal „Kwartier Latäng“ stapeln sich im Hinterhof leere Getränkekästen, die Türe des Lokals steht offen, der Wirt hantiert unter schummrigen Licht an der Theke herum.

Gaststätte "Kwartier Lateng"
„Rigomagus“ hielt sich hartnäckig. Bis in das 8. Jahrhundert erschien es in den Annalen des Geographus Ravennae. Wie in anderen Römerstädten, waren es in den nachfolgenden Jahrhunderten Kirchen und christliche Märtyrer, die die Stadt zu neuem Leben erweckten. Des einen Freud, des anderen Leid. Im 9. Jahrhundert wurde die Basilika in Ravenna in Oberitalien geplündert, in der die Reliquien des Bischofs Apollinaris aufbewahrt wurden. Die Reliquien verstreuten sich in ganz Europa und gelangten auch ins Rheinland nach Remagen. Eine Kirche wurden auf den zum Rhein auslaufenden Berghängen gebaut, Wallfahrten setzten ein, wobei die heutige Apollinaris-Kirche im 19. Jahrhundert neu gebaut wurde.

Im Mittelalter erging es Remagen nicht viel anders wie so manchen anderen Städten. Der 30-jährige Krieg, der weite Teile Süd-, Südwest- und Ostdeutschlands in tiefstes Elend stürzte und regelrecht entvölkerte, erreichte das Rheinland erst relativ spät. Aber dafür um so heftiger. 1632 besetzten Truppen des schwedischen Feldherrn Wolf Heinrich von Baudissin Remagen. Dabei hatte sich der Erzbischof von Köln mit den spanischen Niederlanden verbündet. Im Januar 1633 befreiten die spanischen Niederlande unter dem General Ernst von Isenburg-Grenzau die Stadt. Doch einen Monat später, im Februar 1633, kehrten die schwedischen Truppen zurück und vertrieben die spanisch-niederländischen Befreier. Diesmal legten sie die ganze Stadt in Schutt und Asche und brannten die Stadt nieder. Die Kirche und 106 Häuser ohne Scheunen und Stallungen verbrannten. Nur 24 Häuser waren stehen geblieben, und bis auf weiteres verkrochen sich die Bewohner in ihren Kellern. Plünderungen und Brandschatzungen, Besatzungen und Kontributionszahlungen, Erpressungen und Misshandlungen hörten nicht auf. Noch 1714, als der spanische Erbfolgekrieg zu Ende ging, beklagten sich die Remagener Bürger, sie wären so ausgesaugt und der Nahrungsmittel entblößt wie zu Zeiten des 30-jährigen Krieges.

Sein Imperium konnten die schwedischen Truppen nicht abfackeln, denn es entstand erst 250 Jahre später. Von seinem Denkmal aus betrachtet Johann Otto August Caracciola, was von seinem Imperium übriggeblieben ist. Er war nicht nur 19-facher Vater, Inhaber der Kölner Dampfschifffahrts-Gesellschaft, agiler Geschäftsmann, sondern auch Hotelinhaber. Rheintourismus, Schifffahrt und Hotels, das war alles miteinander fest verzahnt. Er stieg in das Hotelgeschäft ein, wurde zum Bauherrn. 1858 wurde sein Hotel Fürstenberg eröffnet. 1870 kaufte er ein weiteres Hotel, das daneben liegende „Hotel von Preußen“, als sein Besitzer starb. Es ging noch weiter. 1869 gründete er in Koblenz den „internationalen Verein der Gasthofbesitzer“, das war der Vorläufer zu der heutigen „internationalen Hotelier Vereinigung“.

früheres Hotel von Preußen
Das „Hotel von Preußen“ hat die Zeiten überdauert. Heute ist es das „Ristorante da Franco“. Mit Würde repräsentiert es seine geschichtsträchtige Vergangenheit. Die Rundbogenfenster haben Form und Schönheit, der Rheinblick fügt seine eigenen Form- und Schönheitsideale dazu, an den Seitenflügeln blättert die Farbe ab, in historisch gediegenem Ambiente kann man italienisch essen, speisen und trinken.

Die übrige Rheinpromenade ist nicht häßlich, aber es wäre vermessen, sie als schön zu bezeichnen. Sommers tummeln sich die Ausflugstouristen, und nun genieße ich diese Januarblässe, in der die Rheinpromenade ausholen und atmen kann. Entweder ist im Krieg zu vieles weg bombardiert worden oder wie anderenorts haben phantasielose Stadtplaner ihr Unwesen getrieben oder alle haben ihre Ideale auf dem Altar von Kostenobergrenzen geopfert. Das ist jedenfalls platt, einfallslos, bauklotzartig und könnte genauso in der Fußgängerzonen in Hagen, Bottrop oder Düren stehen.

Die wahre Schönheit des Rheins liegt auf der anderen Seite. Unkel, Erpel, Linz, die Remagener blicken anderswo hin. Die Lastkähne arbeiten sich rheinaufwärts voran. Zum Mythos der kriegszerstörten Brücke von Remagen, die für mich heute zu Fuß zu weit ist.

Möven am Rhein

Mittwoch, 15. Januar 2014

Auswanderer aus Dernau

Dernau; Quelle: Wikipedia
Es waren grausame Zeiten, als der Klimawandel und die Erderwärmung noch Zukunftsmusik waren. Davon erahnten die Bewohner in der Eifel und an der Ahr im 19. Jahrhundert noch nichts. Jahraus, jahrein zeigten die Winter ihr ruppiges, strenges, grimmiges Gesicht. So waren die Winter von 1816 bis 1818 wahre Katastrophenwinter, wobei selbst der Sommer eine mildere Variante des Winters darstellte. Es herrschte Frost bis in den Mai hinein. Noch zu Ostern waren die Menschen eingeschneit, von Mai bis September regnete es unaufhörlich. Die Hungersnot grassierte in der Eifel. Eine Chronik nannte 1816 „das Jahr, als das Vieh Dachstroh fraß“. Und selbst im geschützteren Ahrtal war die Situation nicht besser: infolge Nässe und Sonnenarmut fiel die Weinlese praktisch komplett aus. Es bewahrheitete sich, was Gottfried Kinkel, einer der Denker der 1848er-Revolution, bei seinen Wanderungen durch das Ahrtal erkannt hatte: „Ein gutes Jahr macht den Winzer für den Augenblick reich, und – wir wollen es nicht leugnen – oft auch verschwenderisch in lustigem Leben … Darüber kommen dann viele schlechte Jahre, und die Not wird unendlich.“

Pure Not und der Kampf ums Überleben drängte nicht nur die Menschen aus der Hocheifel in eine bessere Welt, sondern auch Bewohner aus dem Ahrtal. Es war der Sohn Johann Joseph der Familie Leyendecker aus Dernau – das liegt rund fünfzehn Kilometer vor der Rheinmündung – der im jugendlichen Alter eine Leidenschaft fürs Zeichnen und die Malerei entwickelt hatte. Vielleicht hatte sein Onkel ihm die mathematisch-geometrische Fertigkeit des Zeichnens vermittelt, denn er zeichnete für die Gemeinde Morgenbücher – das waren Grundbücher nach heutigem Verständnis.

Johann Joseph Leyendecker
- Kölner Kaufmann Leopold Leyendecker
1810 geboren, hielten Johann Joseph keine zehn Pferde in seiner Heimat. Dernau, heutzutage ein belebtes Touristennest, beste Weinlagen mit Spätburgunder, lag zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch am Ende der Welt, denn die Eisenbahnanbindung kam viel später, nämlich erst 1888.  Die einzige Verbindung über eine holprige Straße war nach Remagen zum Rhein, während in der anderen Richtung, spätestens ab Altenahr, die öde Wildnis der Eifel undurchdringlich war.

Nach Amerika auswandern, ins verheißene Land, gemeinsam mit den Menschenströmen aus dem übrigen Europa, das war die Top-Adresse der Bewohner aus der Eifel. Doch Johann Josephs Ziel war anders, extravaganter, schöner, eine Verheißung an seine Vision als Künstler: es zog ihn nach Paris.

"Non-seulement les tailleurs allemands sont en très-grand nombre à Paris, mais encore il est à remarquer que tous les plus célèbres dans les annales de la mode nous sont arrivés d'outre-Rhin, et le bon goût français, si renommé en Europe, doit une immense partie de ses progrès à ces Allemands qui passent tout justement pour très-mauvais juges en fait d'élégance et d'adjustments." So beschrieb Adrien Huart, der Herausgeber einer Pariser Tageszeitung, 1844 ausgewanderte Deutsche in Paris. In ganz Frankreich stagnierte im Gegensatz zum übrigen Europa das Bevölkerungswachstum, so dass Handwerker überall willkommen waren. Dabei schätzten die Pariser besonders die Schneider aus Deutschland.

Johann Joseph Leyendecker
- Bleibergwerk Mechernich
Johann Joseph Leyendecker aus Dernau war gerade 16 Jahre alt, als er nach Paris auswanderte. Von 1826 bis 1838 studierte er in den Ateliers von Paul Delaroche und Francois-Josef Heym die Malerei, wobei Portraits und Stillleben seine Schwerpunkte bildeten. Mit Malern wie Courbet, Manet, Delacroix oder Ingres war Paris ein Anziehungspunkt zu Beginn des 19. Jahrhunderts, eine Art Künstlerschmiede oder „Silicon Valley“, würde man heute sagen. Erst zum Ausgang des 19. Jahrhunderts waren Fotografien ausreichend scharf, um mit der Malerei mithalten zu können. Daher war die Malerei nachgefragt wie kaum zuvor. Industrielle, Reiche, die Kirchen, die Stadt, aber auch Kleinbürger erteilten in der boomenden Stadt Paris Aufträge für Portraits, Stillleben, Alltagsszenen, Stadtimpressionen oder Landschaften, um diese in ihren Gebäuden zu verewigen. Diese Wünsche konnte Johann Joseph Leyendecker erfüllen, so dass er von der Malerei leben konnte. Später folgte ihm sein elf Jahre älterer Bruder Mathias. Sie wohnten gemeinsam in der Rue Cassette. Mathias lernte genauso die Malerei und konnte von Portraits, Stillleben, Alltagsszenen, Stadtimpressionen und Landschaften leben. Ab dem Jahr 1866 schafften es die Bilder der Gebrüder Leyendecker regelmäßig in die Ausstellungen des Pariser Salons. Den Weg in Pariser Museen blieb ihren Gemälde indes verwehrt, oder vielmehr: ein Gemälde von Mathias Leyendecker – das ist ein Portrait des Kaisers Napoleon III – befindet sich im Keller des Louvre und ist dem Besucher nicht zugänglich. Die übrigen Gemälde verstreuen sich in Privatbesitze.

Mathias Leyendecker
- Federvieh
Die Gebrüder Leyendecker waren also in Paris angekommen und kamen dort gut zurecht. Johann Josephs Ehefrau stammte aus Ahrweiler und die beiden hatten 1829 in Ahrweiler geheiratet. Beide wohnten bis zu ihrem Tod in Paris. Ihr Sohn Paul trat in die Fußstapfen seines Vaters und seines Onkels und wurde ebenfalls Maler. Mathias heiratete 1859 eine Lehrerin aus Paris. Ob er bis zu seinem Tod in Paris gelebt hat, ist ungewiss, denn sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Bonn. „24. Mai 1871, gestorben bei Bonn“, steht auf seinem Grabstein. Über seine letzten Lebensjahre weiß niemand etwas, zumal zwischen Frankreich und Deutschland zuvor fast ein Jahr lang Krieg geherrscht hatte.

Sie waren nicht die großen Maler, die beiden Ausgewanderten aus Dernau im Ahrtal. Aber sie hatten einen Spürsinn für die künstlerischen Strömungen in ihrer Zeit. Und sie hatten es verstanden, an sich zu arbeiten und ihre künstlerischen Fähigkeiten umzusetzen. Ihre Auswanderung hatte ein Konzept und sie hatte Erfolg. Ganz im Gegensatz zu unserer heutigen Zeit, so blauäugig, wie sich manche Geschichten über Auswanderungen in den VOX-Sendungen anhören.

Quelle der Geschichte: http://www.ahr-eifel-rhein.de/index.php?hauptmanue=allesfliesst&todo=alles_inhaltsverzeichnis