Sonntag, 30. März 2014

898



… bei dem Alter dieser Kirche halte ich inne. Ich überlege. Im Rheinland fällt mir nur der Aachener Dom ein, der älter ist, denn sein Bau wurde im Jahr 796 begonnen. Alle romanischen Kirchen Kölns sind jüngeren Datums, erbaut um das Jahr 1000 oder später. Mit dem Baubeginn im 13. Jahrhundert ist der Kölner Dom ohnehin bei weitem nicht so alt. 898 wurde St. Jakob in Wachtberg-Werthhoven in einer Schenkungsurkunde erwähnt. Der Bau dieser Kirche fällt mitten in die karolingische Epoche hinein, als das Christentum zu Beginn des Mittelalters Fuß fassen konnte.




Der Kirchenbau in Wachtberg-Werthhoven, fünfzehn Kilometer südwestlich von Bonn, ist klein. Nach 898 wahrscheinlich mehrfach umgebaut, hat sie ihr kleines Aussehen erhalten, zumal die Anzahl der Christen im 9. Jahrhundert noch sehr übersichtlich war.


Leider war die Kirche verschlossen. Daher habe ich die Pietà aus dem 15. Jahrhundert sowie den Altar mit dem Patron der Kirche, dem Heiligen Jakob (links), von der Hinweistafel vor der Kirche abfotografiert.

Freitag, 28. März 2014

Küstenmacher/Seiwert - Simplify your Life


Voller Leichtigkeit, unvoreingenommen, daher schwebend, über den Dingen stehend, wer möchte so nicht durch den mit lauter Kompliziertheiten aufgeblähten Alltag schreiten ? Wenn wir ein Technik-Freak sein müssen, um uns durch Bedienungsanleitungen zu kämpfen, wenn wir ein Jura-Studium absolviert haben müssen, um die Information unserer Hausbank über die Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu verstehen, oder wenn Reparaturrechnungen Unsummen verschlingen, wenn die Elektronik in unserem Auto den Geist aufgegeben hat.

„Simplify your Life“ weckt eine hohe Erwartungshaltung und der Inhalt erfüllt sie auch. Voller Leichtigkeit, daher schwebend, ist das Buch zu lesen. Vereinfachend, beginnt das Buch beim Stil. Es werden keine Fremdwörter gebraucht, der Leser wird nicht mit Querverweisen auf Geschichtsepochen, große Ereignisse, große Persönlichkeiten oder philosophische Abhandlungen belastet. Von Anfang bis Ende fließt der Stil dahin, so dass Jedermann und Jedefrau ihn verstehen kann. Davon kann auch ich als Blogger viel lernen.

Die Kernbotschaft von „Simplify your Life“ ist, dass unsere Umwelt zu aufgebläht und viel zu kompliziert ist. Uns umgibt ein Apparat von Dingen, von denen wir einen großen Teil gar nicht brauchen. Diese Kompliziertheiten haben Eingang in unsere Persönlichkeit und unser Handeln gefunden. Es gilt, diese Kompliziertheiten wieder loszuwerden, um zu unseren Grundstrukturen zurückfinden. Theologen würden dies als Katharsis bezeichnen.

„Simplify your Life“ erreicht dies über eine Pyramidenstruktur. Über Sachen, Finanzen, Zeit, Gesundheit, Beziehungen, Partnerschaft führt der Weg stufenweise zum Gipfel der Pyramide, zur eigenen Persönlichkeit, zum inneren Kern, der sich selbst vereinfacht. Die Vision des Buches, den Sinn des Lebens zu entdecken, bildet einen Spannungsbogen: als Mensch werden wir uns verändern, wir werden neue Kontinente entdecken, aus neuen Quellen der Kraft werden wir schöpfen. Wir werden uns wohlfühlen, andere werden uns lieben und schätzen. Die zentrale Behauptung, dass viele Menschen den Sinn des Lebens nicht finden, weil sie zu komplizierte Fragen stellen, finde ich schlichtweg genial. Über Dinge, Beziehungen, Partnerschaft haben sich Verhaltensweisen eingeschlichen, die wir nicht mehr hinterfragen. Manches blockiert uns, weil die dahinter liegenden Strukturen zu kompliziert sind.

„Simplify your Life“ ist keine „Katharsis“ in theologischem Sinne durch Gebet, Fasten oder Beichte, sondern ist ein komplett neuer Ansatz, der die Arbeitswelt mit zu Hause und der Freizeit verbindet. „Simplify your Life“ ist als Leitfaden oder Konzept angelegt, wie wir einfacher leben lernen können. Das ist pragmatisch, weil von unten die Alltagsnöte und Alltagsprobleme betrachtet werden. So kommen die ersten Stufen der Pyramide zustande: aufräumen, klare Strukturen im Haus schaffen, in der Arbeitswelt Konzentration auf wichtige Themen, mit den Schranken von Besitz, Geld und Zeit umgehen lernen. Das bedeutet natürlich nicht, dass eine wunderbarer Geldsegen einsetzt, damit wir uns alles leisten können. Wir müssen uns konzentrieren lernen auf unsere wirklichen Bedürfnisse und nicht auf das, was uns von außen eingeredet wird. Diese sind oftmals frei von wirtschaftlichen Zwängen.

Stark sind die Kapitel über den Neid und über den Ärger. Neid ist als Gefühl negativ belegt; oft sind es Dinge, die sich andere leisten, die Neid erzeugen, und die man ihnen nicht gönnt. „Simplify your Life“ dreht den Blickwinkel um. Dass nämlich andere hart dafür arbeiten mussten, um sich diese Dinge zu leisten. Wären wir selbst bereit gewesen, diesen Zeitaufwand zu investieren ? Wofür investieren wir selbst Zeitaufwand ? Wenn  wir nur investieren und kein Ergebnis zu sehen ist, ist die Zeit vergeudet. Wenn die investierte Zeit einen Nutzen gebracht hat, sollten wir ihn  auch erkennen und auf die selbst erreichten Ziele stolz sein. Neid kann genauso ein Indiz sein, dass wir unsere eigenen kreativen Potenziale nicht ausleben.

Wenn wir uns ärgern, sind es oft unsere Mitmenschen, über die wir uns ärgern. „Simplify your Life“ dreht hier genauso den Blickwinkel um. Wir ärgern uns über Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen unserer Mitmenschen. Daher entwerfen wir von unseren Mitmenschen ein Bild, wie sie sein sollten, um unseren Vorstellungen zu entsprechen.

Wollen wir dies ? Als gestandener Mittfünfziger habe ich meine Probleme damit, wenn ich mich verbiegen soll, um so zu sein, wie andere es haben wollen. Auf meiner Bücherliste, was ich gerne lesen möchte, schiebe ich zwei Bücher vor mir her, die genau in diese Richtung gehen: „Dürfen wir so sein, wie wir sind ?“ von Jürgen Wiebicke und „Du sollst nicht funktionieren“ von Ariane von Schirach.  „Simplify your Life“ plaziert dazu die zentrale Botschaft: „Du sollst nicht über Deinen Mitmenschen urteilen“. Zudem sind solche Urteile meist negativ belegt, dass wir anfangen herum zu nörgeln, wie schlecht die anderen sind und dass sie nur noch Laster kennen und keine Tugenden.

Der schwierigste Balance-Akt in diesem Buch ist das Thema Partnerschaft. Die gesellschaftlichen Rollen von Mann und Frau befinden sich in einem historischen Umbruch, Mann und Frau bewegen sich längst auf Augenhöhe, Mann und Frau wollen gegenseitig alles: Erfolg im Beruf, viel Freizeit, materielle Unabhängigkeit, erfüllte Sexualität, lebenslange Verliebtheit, wunderbare Kinder … Noch nie war die Partnerschaft so überfordert wie heute. Nichts geht ohne den Partner, viel miteinander reden, geben und nehmen, den anderen verstehen: auf 26 Seiten versucht „Simplify your Life“, das Thema Partnerschaft in einfache Bahnen zu lenken, worüber ansonsten massenweise Bücher geschrieben worden sind. Diese 26 Seiten werden an ihre Grenzen stoßen, da manche Partnerschaften komplett anders gestrickt sind.

Voller Leichtigkeit, unvoreingenommen, daher schwebend, über den Dingen stehend, liest sich „Simplify your Life“ bis zum Schluß. Dort wird der innere Wesenskern der eigenen Persönlichkeit erreicht. Diese Sichtweise ist neu und befreiend. Alleine durch das Lesen des Buches sind mir diverse Alltagszwänge, die wir nicht näher hinterfragen, bewusst geworden.

„Simplify your Life“ setzt auf Tipps, Methoden, Alltagssituationen auf. Das ist das schöne an diesem Buch, dass es so praxisorientiert ist, dass wir sofort damit beginnen können. Denn die meisten Menschen verschwenden zu viel Zeit auf den Wunsch, das Leben solle anders sein als es ist.

Montag, 24. März 2014

Formlos (7) - Begegnung mit einem Hund

Friseurtermin. Zehn Minuten war ich zu früh – das war eher ungewöhnlich. Ich hockte mich hin, machte es mir auf dem Sitzelement aus Leder gemütlich. Die Blätter der Boulevardpresse, die sich auf der linken Seite stapelten,  ließ ich unbeachtet. Die schwere Eingangstüre war in ihren Eisenrahmen zurückgefallen. Ein Stimmengewirr kämpfte gegen einen Föhn, der aus Leibeskräften pustete, und Friseuse und Kundin schafften es irgendwie, sich zu entwirren und sich gegen die Lautstärke miteinander zu verständigen. Haare standen zu Berge und fügten sich danach in die Kunst einer Frisur mit wohl geformten Proportionen und einer vollendeten Schönheit, die beide, die Kundin und die Friseuse, mit einem zufriedenen Lächeln registrierten, als das Meisterwerk fertig war.

Ich beobachtete, nutzte den Freiraum, um die Fingerfertigkeit zu bestaunen, was Friseure tagtäglich leisten. Ihre Arbeit hatte objektiv einen Wert, und sie wussten, was sie mit ihrem Stehvermögen und mit ihrer Schere in der Hand am Ende des Tages geleistet hatten.  

Nebenher bemerkte ich, wie sich zwei Pfoten auf der Kante des Ledersitzes vorwärts tasteten. Schüchtern verharrten die Tatzen auf der Stelle, ein Kopf streckte sich in die Höhe, zwei Hundeaugen schauten mich voller Sehnsucht an. Sie durchbohrten mich mit ihrem Blick, so sehr hatten sie sich an meiner sitzenden Gestalt fest gehakt. Ich rätselte, war voller Skepsis, wusste nicht, ob ich hinschauen sollte, denn ich war auf Katzen gepolt und nicht auf Hunde.

Eine Katze hatte sich bei meinen Eltern stets zu Hause gefühlt. Über mehrere Jahrzehnte haben wechselnde Katzen meine Schwiegereltern begleitet. Nach langem Werben unseres kleinen Mädchens haben wir es seit einem Jahr geschafft, dass wir stolze Besitzer einer Katze und eines Katers sind. Das gibt unserem Leben einen zusätzlichen Schub an Lebensfreude, wenn sich unser Kater abends auf meinen Schoß setzt, wenn ich sein samtweiches Fell streichele, wenn er schnurrt, als ob er einen Motor einschalten würde, und wenn er wohlwollend seinen Schädel gegen meine streichelnde Hand reibt.

Nun also ein Hund. Mit Rassen kenne ich mich überhaupt nicht aus. Das war ein Pudel im Kleinformat. Die Ohren waren rund und hingen nicht herab. Das Fell war weiß, mager und lückenhaft, so als wäre ihm ein Stück  geklaut worden. Oder es war eine Katze im Großformat. Nase, Mund und Ohren lagen dicht beisammen, und der Körper war vielleicht doppelt so groß wie eine Katze.

Der Fehler im nächsten Moment war fatal, denn ich behandelte diesen Hund, der vor sich her schlummerte und wartete, dass etwas geschah, wie eine Katze. Ich streichelte sein Fell. Das hatte mit dem Fell einer Katze ungefähr so viel zu tun wie Helene Fischer mit AC/DC oder der TuS Königswinter-Oberpleis mit der Ersten Fußball-Bundesliga. Ich griff in eine gebürstete Masse hinein, die sich sträubte. Meine Hand rutschte über das Fell hinweg, und in diesem Moment verhielt sich der Hund sogar wie unser Kater, denn er sprang auf meinen Schoß, wie durch fremde Geisterhand gesteuert.

Er äußerte sogar sein Wohlbefinden, schnupperte, fing an zu lecken, genau in mein Gesicht hinein. Er fuhr nicht seine Krallen aus – so wie ich es von unseren Katzen kannte – denn er besaß keine. Was unseren Katzen die Krallen bedeuteten, das waren seine Zähne. Sein Mund öffnete sich, und stolz bleckte er sein Gebiß entgegen. In Zacken formierten sich seine Zähne nebeneinander, vier Augen standen sich frontal gegenüber.

Ich spürte Angriffslust in den schwarz getünchten Pupillen. Ich bin an Katzen gewöhnt. Mit Hunden verbinde ich einige negative Erlebnisse. Meine erste Freundin hatte einen winzigen Rehpincher, der mich permanent anbellte, so dass wir uns kaum unterhalten konnten. Viele Jahre später, lief mir beim Joggen ein Hund hartnäckig hinterher und zerriss mit seinem Gebiß meinen Trainingsanzug. Es stört mich heutzutage, wenn sich zwei Hunde begegnen und dann endlos und laut anbellen.

Seine Zähne bissen zu. Entschlossen, aber auch verspielt. Zuerst bissen sie sich zwischen meinen Fingern fest, kauten darauf herum, als wollten sie eine Wurst verspeisen. Die Bisse wurden härter, schmerzten aber nicht und wichen zurück. Ich war entsetzt. Weil ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte, kraulte ich vor lauter Verlegenheit seine schlappe Haut, die sein Fell sein sollte.

Der Hund hatte sich auf meinem Schoß eingenistet und knabberte an mir herum. Seine Zähne bissen in das hinein, was ihnen in die Quere kam. Nun war mein Pullover an der Reihe. Das Gebiß fraß sich in das rot-weiß-graue Muster hinein, drehte den Kopf nach oben, die Zähne rissen zwischen den Fäden des Pullovers herum. Das reichte. In diesem Moment hätte ich diese doppelte Katzengröße, die ein wild herum fressendes Monster war, in die Hölle gewünscht.

„Platz“ erlöste mich die Chefin des Friseur-Salons, die erst jetzt mitbekommen hatte, dass das Treiben ihres Vierbeiners eskalierte.

Der Hund gehorchte. Augenblicklich sprang er auf den Bistrot-Stuhl, blickte schüchtern wie ein Unschuldslamm und hockte sich auf seine Hinterpfoten. Der Schreckensmoment war verflogen, und nun sah er wieder so treu und so streichel-bedürftig wie unsere Katzen aus.

„Sie dürfen nicht anfangen, ihn zu streicheln. Dann werden Sie ihn nicht wieder los. Entschuldigung. Habe einen Moment nicht aufgepasst.“

Die Aufregung war vorüber. Wenn ich tiefere Einblicke in Vierbeiner habe, dann sind es Katzen. Und nicht Hunde.

Sonntag, 23. März 2014

Wachtberg

Wenn ich tiefer nachbohre, sorgt die Bezeichnung „Wachtberg“ für Verwirrung. Wie so manche andere Stadt, entstand das Gebilde „Wachtberg“ während der kommunalen Neuordnung, als 1969 die selbständigen Gemeinden Adendorf, Arzdorf, Berkum, Fritzdorf, Grimmersdorf, Holzem, Ließem, Niederbachem, Oberbachem, Pech, Villip, Werthoven und Züllighoven zwischen Bonn und der Rheinland-Pfälzischen Landesgrenze unter dem Oberbegriff „Wachtberg“ zusammengefaßt wurden. Die Geschichte von Wachtberg ist durchaus alt, denn die Erzbischöfe von Köln bauten linksrheinisch ihr Herrschaftsgebiet aus, indem die Wasserburg Gudenau als Festung gegen die Grafen von Neuenahr diente. Sie läuft aber am 258 Meter hohen Wachtberg vorbei, denn weder große Schlachten wurden dort geschlagen, noch wurde eine Festung auf der Höhe gebaut. Geschichte hatte der 263 Meter hohe Hohenberg geschrieben, der auf der anderen Seite des Stadtteils Berkum liegt, denn ohne ihn wäre der Kölner Dom undenkbar gewesen. Nachdem das Siebengebirge unter Naturschutz gestellt worden war, wurde aus dem ein Kilometer entfernten Hohenberg die letzten Steine gewonnen, um das Kirchenschiff und den Chor des Kölner Doms zu vollenden.


Der Wachtberg ist mit seinem Ehrenmal und dem Siebengebirgsblick ein markanter Punkt. 


Das Gelände steigt sacht und unauffällig an, so dass der Wachtberg keinen signifikanten Berggipfel hat.



Der Blick von der linken Rheinseite auf die rechte Rheinseite mit dem Siebengebirge ist grandios. 



Obschon hier keine großen Schlachten geschlagen worden sind, erinnert ein Ehrenmal an die Gefallenen des Ersten und Zweiten Weltkriegs.

Donnerstag, 20. März 2014

Selfkant 1949

Parallelen zur Krim gibt es nicht. Aber die Ereignisse auf der Krim haben mir den Anstoß gegeben, dass  wir so etwas auch im Rheinland hatten: eine Annexion deutscher Gebiete, sogar noch viel undemokratischer, ohne dass die betroffenen Einwohner das Recht hatten, auf einem Zettel ein Kreuzchen zu machen, zu welchem Staat sie denn gehören wollten.

Vorangekündigt und von den Alliierten gebilligt, marschierte die „Koninglijke Maréchaussée“, das war die Niederländische Militärpolizei, ein. Das mussten höchst merkwürdige Szenen gewesen sein, wie Jeeps in die Straßen eindrangen, wie die Militärpolizei mit Gewehren patrouillierte, wie sie deutsches Staatsgebiet besetzte und wie die eingeschüchterte Bevölkerung zum Schweigen verdammt war. Unglaubliches spielte sich im Rheinland ab, am 29. April 1949. Militärische Gewalt des Nachbarstaates setzte sich in der Gemeinde Selfkant durch, das sind zehn Dörfer in der äußersten westlichen Ecke unserer Republik, rund dreißig Kilometer nördlich von Aachen.

Formal und in der Sache hatte dies sogar seine Ordnung. Wie in so vielen anderen Staaten, hatten die Nationalsozialisten die Niederlande mit den Schrecken des Zweiten Weltkrieges überzogen. Sie hatten nicht nur Städte wie Rotterdam bombardiert und dem Erdboden gleich gemacht, sondern sogar in s’Hertogenbosch ein eigenes Konzentrationslager gebaut, um den Völkermord an den Juden zu perfektionieren.

Die Niederlande wollten Wiedergutmachung und sich auf Augenhöhe mit den übrigen Siegermächten bewegen. Frankreich erhielt Elsaß und Lothringen zurück, zusätzlich sogar das Saarland. Daraufhin formulierten die Niederlande ihre eigenen Entschädigungsansprüche: die Städte Osnabrück und Oldenburg sollten eine Niederländische Exklave in deutschem Staatsterritorium werden. Doch den Alliierten war dies eine Nummer zu groß. Sie strichen die Niederländischen Ansprüche zusammen. Klein- und Kleinstgebiete blieben übrig, damit es nicht den Anschein haben könnte, sie hätten diese Ansprüche ignoriert. Auf dem grünen Tisch, mit geschärftem Blick auf die Landkarte, zwackten sie den „Katzenkopf“ ab. So nannten die Selfkanter selbst den Zipfel ihres Gemeindegebietes, welches in die Niederländische Landkarte hinein ragte. Außer dem Selfkant war es noch Elten nördlich von Emmerich und Suderwick im Kreis Borken. Die 69 Quadratkilometer deutsches Staatsgebiet, die wegfielen, konnten somit vernachlässigt werden.

So marschierte am 29. April 1949 die „Koninglijke Maréchaussée“ in den Selfkant ein. Tüddern, das war der Standort der deutschen Gemeindeverwaltung, wurde zum „Drostambt“ umgeschwenkt, das war die Niederländische Mandatsverwaltung. Dort wurde die Niederländische Flagge gehisst und in den Empfangsräumen ein Porträt der Niederländischen Königin aufgehängt. Die Selfkanter argwohnten schlimmes, denn bald durften sie die Mandatsverwaltung aufsuchen: ihre Pässe mussten sie ergänzen lassen, denn ihre deutsche Staatsangehörigkeit wurde mit blumigen Worten umschrieben: „wordt behandeld als Nederlander“. Die Zollkontrollen mit dem Schlagbaum wurden rund sechs Kilometer nach Osten verlegt. Das war noch weit in der Zeitrechnung vor dem Schengener Abkommen. „Strippen“, so nannten die Deutschen jenseits der Grenze in Gangelt, Waldfeucht, Geilenkirchen oder Heinsberg die Grenzkontrollen. Der Niederländische Zoll hatte einen eigenen Raum für Leibeskontrollen. Bei der Einreise nach Deutschland wurde der Körper abgetastet, ob nicht ein paar Schachteln Zigaretten oder ein Paket Kaffee eingekauft worden war.

D-Mark und Pfennig waren Vergangenheit. Anstatt dessen mussten die Selfkanter mit Gulden und Cent bezahlen. Nordrhein-Westfalen war genauso Vergangenheit. „Welkom in de Provincie Limburg“ begrüßten einen Schilder mit dem Landeswappen des Löwen des alten Herzogtums Limburg, wenn Deutsche hinter dem Schlagbaum in den Selfkant fuhren. Lehrer aus der Provinz Limburg wechselten umgekehrt in den Selfkant, um neben der deutschen die Niederländische Sprache in den Schulen zu unterrichten.

Die Selfkanter nahmen dies gelassen hin. Auf der Ebene des Dialektes verstand man sich ohnehin, denn Selfkanter Platt und Limburger Dialekt in Sittard oder Brunssum gehen fließend ineinander über. Die Selfkanter standen sich sogar besser, was Instandsetzungen der Infrastruktur betraf. Die Kriegszerstörungen waren in den Niederlanden eher gering, so dass Gelder zur Instandsetzung von Straßen und öffentlichen Gebäuden rasch flossen. Die Niederländer beherzigten die humanistischen Ideale des Erasmus von Rotterdam. Sie waren tolerant, respektierten die deutsche Bevölkerung, und Deutsche und Niederländer hatten im Selfkant nie Probleme damit, miteinander umzugehen.

Überraschendes tat sich dann am 1. August 1963. Die Niederlande und Deutschland hatten sich darauf geeinigt, dass der Selfkant (genauso wie Elten und Suderwick) gegen eine Zahlung von 280 Millionen D-Mark nach Deutschland zurückkehrten.

Das war weniger überraschend für Deutsche und Niederländer, denn diese verstanden sich im „Katzenkopf“ sowieso bestens, sondern für den Zoll. Häuser, Scheunen, Säle, Lager, kurzum, alles, was Platz hatte, wurde mit Waren vollgestopft. Ganze Kaffeeplantagen, Teeplantagen und Tabakplantagen, dazu Schnaps, wurden dorthin geschafft. Händler deckten sich mit der Ware ein, die in den Niederlanden weitaus niedriger besteuert wurde. Ganze LKW-Züge warteten mit Eiern oder Gurken, bis die Grenze fiel. Der Schmuggel war perfekt, als vom 31. Juli auf den 1. August ganz einfach das Staatsgebiet wechselte. Ohne die Ware bewegen zu müssen, stieg ihr Wert um ein Vielfaches.

Der Schaden wurde damals auf 60 Millionen DM geschätzt. Zum Glück für die Schmuggler, schaffte der Gesetzgeber es nicht, die Abgabenordnung zu ändern. Die Mühlen der Gesetzgebung mahlten langsam. Am 23. Juli 1963 wurde im Bundestag eine Rechtsverordnung zur Nacherhebung von Verbrauchssteuern und Zoll verabschiedet. Vorschriften zu Verbrauchssteuern und Zoll sind aber Ländersache und müssen von diesen umgesetzt werden. Danach drehten sich die Diskussionen zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Bund im Kreis, ohne dass sie zu einem Ergebnis führten. So lange, bis der 1. August verstrichen war.

Montag, 17. März 2014

mit dem Rennrad über die Margarethenhöhe und Oberpleis nach Hennef-Rott

Blick aufs Siebengebirge von Königswinter-Pleiserhohn aus
Kaum vorstellbar, die Zeit, als es den Rhein noch nicht gab. Ganz anders: die Niederrheinische Bucht und die Kölner Bucht hatten sich abgesenkt, die Flut der Nordsee war bis ins Rheinland vorgedrungen. Das war vor unglaublichen 37 Millionen Jahren. Ein Stück Eifel und ein Stück Ardennen ragten aus dem Wasser heraus. Dann brodelte und kochte es. Die Erde bebte, das Erdinnere riss auseinander, spuckte Lava und eine gigantische Aschewolke in die Luft. Magma aus glutheißem Latit, Trachyt und Basalt flossen. Inseln von Vulkankegeln ragten aus der Wasserfläche empor. Vor genauso unglaublichen 25 Millionen Jahren war das Siebengebirge geboren worden, das beweisen radiometrische Altersbestimmungen an Siebengebirgsgesteinen. Danach, vor 20 Millionen Jahren, hob sich die Niederrheinische Bucht wieder an, so dass das Meer verschwand. Erst Größenordnungen später, nämlich vor 700.000 Jahren, bahnte sich der Rhein seinen Weg. In einem unerbittlichen Kampf zwischen Wasser und den Gesteinen des Rheinische Schiefergebirges formte sich in zahllosen Krümmungen der Rheinverlauf zwischen Bingen und Bonn.

Als Rennradfahrer steigen in mir Glückshormone auf, dass diese atemberaubende Landschaft des Siebengebirges direkt vor der Haustüre liegt. Mit der kurvenreichen Mittelgebirgslandschaft reizen mich alle Streckenvarianten. Ab Alter Zoll den Rhein entlang, über der Konrad-Adenauer-Brücke wechsle ich auf die rechte Rheinseite, Oberkasseler Ufer, Niederdollendorf, immer den Radweg am Rhein entlang, in Königswinter biege ich hinter der Straßenbahnhaltestelle „Clemens-August-Straße“ links ab.

Muelhenssche Anlagen
Ich wähle den Anstieg, bei dem die meisten Höhenmeter zusammenkommen, nämlich von Königswinter aus über die Margarethenhöhe. Von Autobahn zu Autobahn, von der A59 zur Auffahrt Siebengebirge auf der A3, voller Autoverkehr, ist sie nicht gerade eine Einladung zum Rennradfahren. Doch die Vehemenz des Anstiegs reizt. Das geht in die Knochen, bis ich die Bergkuppe der Margarethenhöhe auf 320 Metern erreiche. In Biegungen, Kurven und Kehren dreht und wendet die Straße sich, und bedächtig schaue ich in Bachläufe hinein, die sich abseits in die einstige Vulkanlandschaft krümmen.

Ich stoppe für einen Moment. Am Wanderparkplatz „Muelhenssche Anlagen“ kann ich eine der Auswürfe vulkanischer Gasexplosionen bewundern. Haushoch und von Moos angehaucht, steht der Stein mit all seiner Urkraft wie ein Klotz  im frühjahrskahlen Wald. Ich fühle mich an Obelix erinnert, an seine Hinkelsteine, oder an Findlinge aus der Eiszeit. Autos parken und ein Wanderweg trippelt daher. 

Ich kraxele indes weiter die Steigung hinauf. Mächtig muss ich mich anstrengen, denn die Steigung wächst nach fünf Kilometern Anstieg auf 8% an, bis ich schnaufend die Margarethenhöhe erreiche.

Mit denselben 8% schieße ich nun den Berg hinunter, geradewegs auf Ittenbach zu.  Kurz steuere ich in den kleinen, aber feinen Ortskern hinein. Grau in Grau, ich könnte meinen, November-trüb ist das Ortsbild. So schichten sich die Steinquader an den Häusern aufeinander, schwer und gleichzeitig locker und verspielt in grau-schwarzen Flecken von Basalt, der über abgerundeten weißen Fensterrahmen lastet. Grau in Grau ist die Kirche im Ortskern in Steine gehüllt, abgesehen von dem weiß-eckigen Rundbau, der in der Nachkriegszeit angefügt wurde. Die Bezeichnung „Schmerzreiche Mutter“ passt gar nicht zu der Kirche, denn zwei Jugendliche aalen sich vor dem Nebeneingang in der Sonne, essen Eis und lassen es sich auf einer Sitzbank gut gehen. Kinderscharen strömen aus einem Hinterhof, wo die offene Ganztagsschule ihre Pforten schließt. Eltern warten, sie gestikulieren, die Kleinen rennen kreuz und quer, die Eltern sammeln ihre quirligen Kleinen ein, die voller Tatendrang stecken,  und düsen mit ihrem Auto ab.­

Kirche Schmerzreiche Mutter in Ittenbach
Ich bringe mich wieder in die Spur zurück zur Hauptstraße, wo der Verkehr unverdrossen fließt. Geradeaus  bis zum Kreisverkehr, wo eine angerostete Eisenskulptur sich als modernes Kunstwerk waghalsig verbiegt. Ich steuere wieder geradeaus in Richtung Oberpleis, ich überquere die Autobahn A3. Wie an der Schnur gezogen, fällt die Straße ab, geruhsam lasse ich mich den Berg hinunter treiben, wobei ich besser nicht den Fahrradweg benutze, denn er ist mit Unebenheiten und unausgeflickten Löchern übersät.

Zufrieden stelle ich auf der Landstraße nach Oberpleis fest, dass sich das Industriegebiet mit mir verbündet hat. Alle wollen mir helfen. Wenn mich im Sommer die Mücken kaputt stechen, erhalte ich Insektenschutz aller Art. An dem nächsten Zweckbau, platt gequetscht wie eine Flunder, kann ich Türen und Fenster auf den neuesten technischen Stand bringen lassen. Wenn mich Öle und Fette beim Kochen einnebeln, berät mich die Firma KMA Umwelttechnik optimal über einen Elektrofilter zur Rauch- und Staubabscheidung. Wenn ich denn mal Zank und Streit mit unangenehme Zeitgenossen jeder Art habe, bin ich bei der Rechtsanwaltskanzlei AKMR bestens aufgehoben. Sollte ich in einem geistigen Höhenflug eine eigene Firma gründen, kann ich mich in demselben Glasklotz mit Unterstützung der Unternehmensberatung WB GmbH auf eigene Beine stellen.

Oberpleis naht. Am nächsten Kreisverkehr geradeaus, und die Kirchturmspitze von St. Pankratius schiebt sich markant vor die nächste Hügelkette. Ich passiere das alt-ehrwürdige Gemäuer des früheren Klosters. Das Schild zum Montessori-Kindergarten verheißt, dass die Kinder mit einem Rundum-Sorglos-Paket betreut werden.

Im Jahr 859 wird erstmals ein Gutshof, der den Zehnten abzuliefern hat, in den Verzeichnissen des Bonner Stiftes St. Cassius erwähnt. Der Gutshof war gelegen „In pago Auelgaue in villa vel marca ad Pleisem superiorem“, was bereits der heutigen Ortsbezeichnung „Oberpleis“ entspricht.
St. Pankratius in Oberpleis

Wo kommt die Menschheit her ? Wo geht die Menschheit hin ? Wo befindert sich die Menschheit ? Im Schatten des Ölbergs haben die Menschen nach Antworten gesucht. Das Gelände fällt ab, und unweit des Baches der Pleis wurde 1140 die Pfarrkirche gebaut, die 1206 nach dem Eisheiligen Pankratius benannt wurde. 1150 entstand ein Kloster, in welches Mönche aus der nahe gelegenen Abtei in Siegburg Einzug hielten.

Ich betrete das Innere der Kirche St. Pankratius und staune – außer dem Marienalter und dem romanischen Taufstein – über das Tonfliesenmosaik. 1974 wurde es bei Renovierungsarbeiten entdeckt, die Original-Fliesenaus dem 13. Jahrhundert befinden sich im Kölner Schnütgen-Museum, und das Kosmos-Bild, das ich nun bestaune, greift bis auf Aristoteles zurück. Die Welt des Aristoteles bestand aus den Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer. Aristoteles zeichnete einen konzentrischen Ring von 12 Kreisen, wobei die Erde im Zentrum stand und die ersten vier Kreise waren die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer darstellten; die übrigen acht Kreise beschrieben die Sonne plus die damals bekannten 7 Planeten.

In Oberpleis können die 12 Kreise aus der Religiösität des Hochmittelalters gedeutet werden. Gott ist der Ursprung allen Seins, symbolisiert durch die Sonne als Zentrum der 12 Kreise. Um den Ursprung herum, unterschieden sich Kreise mit dreieckigen Fliesen, die 7 Kreise ergeben, und Kreise mit viereckigen Fliesen, die 4 Kreise ergeben. Die Zahl 12 kann die 12 Monate oder 12 Tierkreiszeichen darstellen, die Zahl 7 die 7 Tage der Schöpfung oder die 7 Planeten, die Zahl 4 die 4 Wochen oder 4 Jahreszeiten oder auch die 4 Elemente des Aristoteles.


Tonfliesenmosaik

Das Tonfliesenmosaik in Oberpleis schafft einen Übergang von den Darstellungen des Kosmos in der Antike, da es in den vier Ecken um weitere, kleine Kreise ergänzt wurde. Diese kleinen Kreise verknüpfen mit ihren Aufschriften und Symbolen vier Himmelsrichtungen mit vier Jahreszeiten und vier menschlichen Charaktereigenschaften:

Nordosten = Frühling = Sanguiniker
Nordwesten = Winter = Phlegmatiker
Südwesten = Herbst = Melancholiker
Südosten = Sommer = Choleriker

Diese Verknüpfungsformen von Himmelsrichtungen, Jahreszeiten und Charaktereigenschaften finden sich wiederum in den Schriften des Isidor von Sevilla, der 636 starb. Die Mönche aus Oberpleis dürften ähnliches geleistet haben wie der spanische Geistliche aus Sevilla. Schrift war Sache der Gelehrten, nein, es verhielt sich sogar umgekehrt: nach dem Untergang des römischen Reiches hatten die Menschheit verlernt zu schreiben. Erst als im 6. Jahrhundert die ersten Klöster des Abendlandes entstanden, fingen die Mönche wieder an zu schreiben. Sie lasen Texte aus der römischen und aus der griechischen Antike, sie schrieben die Texte ab, sie reflektierten, verfassten eigene Schriften. Die mittelalterliche Denkwelt entwickelte sich in Klöstern weiter, so auch in Oberpleis.

Ich verlasse Oberpleis, und 100 Meter hinter der Kirche St. Pankratius muss ich aufpassen, denn dort gabelt sich die Straße und ich muss nach rechts mit starkem Gefälle tief bis zum Pleis-Bach weiter fahren.

Plakat an der Bushaltestelle in Pleiserhohn
Das Unheil sehe ich hinter der Verkehrsampel. Dort knickt die Straße spontan nach oben, und der Anstieg ist mächtig. All seine Wucht offenbart der Anstieg auf seinem ersten Stück. Danach wird er moderat und ist in Tritte zu fassen. Er hat nichts von diesem Biss und dieser Ausdauer, die zur Margarethenhöhe hoch geführt hat. In mittleren Gängen strebe ich auf Pleiserhohn zu. Zarte Blüten von Raps huldigen dem milden Winter. Der Anstieg ist seicht und lang und regt zum Nachdenken an: „Wer mit Lebensmitteln spekuliert, spielt mit dem Leben von Menschen“ sinniert ein Plakat an einer Bushaltestelle. Darin steckt ein Stück Wahrheit, denke ich mir, und so mancher, der in Investment-Fonds, Riester-Fonds oder Renten-Fonds sein Geld hinein gesteckt hat, wird wohl nicht so richtig wissen, ob das Geld mit Weizen oder Reis oder Bananen oder sonst was spekuliert.

Auf der Höhe angekommen, gleite ich in der Trägheit des Nachmittagsstimmung dahin. Die Sonne hängt schräg über dem Ölberg, der mir im Rücken treu bleibt. Mein Blick springt von Berg zu Berg über Wiesen, über dessen Zäune sich unförmige Gebilde von Stacheldraht verhaken.

Zustand der Landstraße L331 im Frühjahr 2013
Gegen die Mühlen der Bürokratie anzukämpfen, war aufreibend. Die Landstraße L331 war zwischen Oberpleis und Hennef über Jahre hinweg in einem katastrophalen Zustand, da sie mit Schlaglöchern übersät war. Noch im letzten Jahr musste ich Kurven und Schlangenlinien fahren, um mir Felgen und Reifen nicht kaputt zu fahren. 2006 gingen die Bewohner von Pleiserhohn das erste Mal auf die Straße, um zu demonstrieren. Erst im letzten Jahr zeigten all die Proteste und Demonstrationen, die in regelmäßigen Mehrmonatszyklen stattfanden, Wirkung: ganze sieben Jahre dauerte es, bis sich die Straßenverwaltung bequemte, Gelder für eine grundlegende Sanierung bereitzustellen. Das war einerseits ein Erfolg, aber andererseits traurig, dass gerne Gelder in Großprojekten zum Fenster hinaus geschmissen werden, während Grundbedarfe erst gar nicht gesehen werden.

In Hennef-Söven folge ich der Hauptstraße nach links. Wo die Straße rechts nach Hennef abbiegt, fahre ich weiter geradeaus nach Rott. Mit freiem Blick in die Landschaft grüßt mich linkerhand abermals der Ölberg.

Wo kommt die Menschheit her ? Vor 25 Millionen Jahren spien die Vulkane des Siebengebirges Glut und Asche. Die Dinosaurier waren in diesem Zeitraum bereits ausgestorben. Vor 700.000 Jahren bahnte sich der Rhein durch die Vulkanlandschaften seinen Weg. Und vor 120.000 Jahre trat der Homo Sapiens auf die Bühne, denn so alt sind die Funde des Neandertalers. Das Landschaft geht über in die Köln-Bonner-Bucht, und an dieser Randzone hat das Meer seine Spuren hinterlassen, denn vor 20 Millionen Jahren wich es zurück und hinterließ eine Sumpflandschaft.

Hennef-Rott
Ich radele hinein in diese Unscheinbarkeit von Hennef-Rott. Sperrmüll drängelt sich an den Straßenrand; Tische, Stühle, Holzbretter, Schubladen und allerlei anderer Plunder türmen sich die Höhe. Leer und unberührt ist der Platz hinter der neugotischen Kirche, die 1906 fertiggestellt wurde. Die Ortsdurchfahrt von  Hennef-Rott ist eng, verlassen, ruhig und angenehm. Fachwerkhäuser zerstreuen sich im Ortskern, ohne dass sie ein geschlossenes Ganzes ergeben. Aus einer Gaststätte tastet sich eine Frauengruppe auf die Straße, sie senken ihre Köpfe und staksen über den tadellos sauberen Asphalt. Am Ortsende schrecke ich auf, denn vor einem Kriegsgräberdenkmal stiere ich auf einen Hexenbusch. Jedenfalls lautet der Straßenname so, und das läßt schlimmes erahnen.

Dann fällt die Landstraße jäh ins Tal der Pleis ab. Genau an dieser Stelle ist der Blick in die Ferne symbolträchtig. So klar und sonnig, wie das Wetter ist, reicht der Blick bis zu den Braunkohlekraftwerken jenseits des Rheins nach Bergheim-Niederaußem oder Grevenbroich-Neurath.

Vor mehr als 200 Jahren besannen sich Geologen darauf, was vor 20 Millionen Jahren geschah. Die Niederrheinische und die Kölner Bucht falteten sich auf, das Meer wich zurück. In der zurückgelassenen Sumpflandschaft moderten und verrotteten Pflanzen vor sich her, woraus sich dann Braunkohle bildete.

Blick auf die Niederrheinische Bucht mit Braunkohlekraftwerken
Linksrheinisch, auf der Ville in der Nähe von Brühl, hatte man 1732 mit dem Abbau von Braunkohle begonnen. Die Geologen vermuteten auch rechtsrheinisch, an dieser Stelle, Braunkohle, da erdgeschichtlich die Gesteinsschichten ähnlich sein mussten. Also begann man 1749, in die Gesteinsschichten hinein zu graben beziehungsweise diese aufzubohren. Dabei waren die Geologen optimistisch, da man Jahrhunderte vorher siegaufwärts keine Braunkohle, aber Flöze mit Eisenerzen entdeckt hatte.

Doch an den Hängen der Pleis waren die Flöze anders. Es war keine Braunkohle, sondern Faulschlammgestein voller Teer und Öl, das auch als „Blätterkohle“ bezeichnet wurde, obschon es nichts mit Kohle gemein hatte. Ein wenig ähnelte dieses Gestein dem Ölsandschiefer, wie er heutzutage in Kanada abgebaut wird.

1759 eröffnete in Hennef-Rott ein erstes Bergwerk, die Grube „Johanna“, die Blätterkohle förderte. Um 1860 waren es sechs Bergwerke, in denen etwa 300 Bergleute 88.000 Tonnen Blätterkohle förderten. Die Bergwerke selbst waren eigentlich nur Löcher, die senkrecht in die Erde gegraben wurden und die dann ca. 20 Meter Tiefe auf kohleführende Schichten trafen. Die wurden unter Tage abgebaut, indem man einfach Stollen in das Material hineingrub, wobei breite Pfeiler als Stützen stehen blieben. Mit Schubkarren brachte man die Kohle zum Schacht, wo sie mit Handhaspeln heraufgezogen und auf Handkarren verladen wurde. Von dort aus wurde die Blätterkohle ins Tal abtransportiert, von wo aus sie mit der Eisenbahn weiter zur Augustenhütte nach Bonn-Beuel transportiert wurde. Dort wurde aus der Teer- und Öl-haltigen Masse Leuchtöl, Petroleum, Schweröle, Schmierfette, Ölgas und Paraffin hergestellt. 1868 stellten die Bergwerke ihre Förderung ein, als sowohl Rohöl wie Paraffin aus Amerika importiert wurde, was kostengünstiger war. Während des Ersten Weltkriegs, 1915, wurde kurzzeitig in den Bergwerken wieder Blätterkohle gefördert, um 1919 wieder eingestellt zu werden.

nach Bonn-Hoholz hinauf
Von den Hängen der Pleis rutscht die Straße rasch ins Tal hinunter. In Dambroich biege ich rechts ab Richtung Siegburg, ich folge der Pleis, unter die Autobahnbrücke der A3 und der ICE-Bahnlinie hindurch. In Birlinghoven biege ich links ab, am Wasserschloß vorbei, dann wieder rechts auf den dritten großen Berg hinauf. Der Anstieg, anfangs seicht, zieht zum Schluß deutlich an, so dass ich einen der kleinsten Gänge nehmen muss.

An der nächsten Kreuzung in Hoholz fahre ich links, an der nächsten Ampel rechts, über Oberholtorf, hinter dem Ortsende links in Richtung Ramersdorf. Nach 5% Gefälle im Tal angekommen, fahre ich zum Rhein und in umgekehrter Richtung wie bei der Hinfahrt zum Alten Zoll zurück.






Strecke (Länge 45 Kilometer):


Höhenprofil (570 Höhenmeter):



Samstag, 8. März 2014

St. Pankratius in Königswinter-Oberpleis - Darstellung des Kosmos

St. Pankratius Oberpleis
Die Suche nach den letzten Dingen treibt wohl jeden Menschen an. Wo kommen wir her ? Wo gehen wir hin ? Wer sind wir ? Seitdem es die Menschheit gibt, hat sich diese darüber den Kopf zerbrochen. Im Christentum ist der Ursprung aller Dinge Gott. In der Antike – bei den Ägyptern, den Griechen oder den Römern – war es eine Vielzahl von Göttern. Philosophen wie Aristoteles definierten den Ursprung aller Dinge anders. Hinter der sichtbaren Gestalt der Dinge sahen sie einen Kern, der alle Dinge auf eine gemeinsamen Wesensgestalt zurückführte. Diese Wesensgestalt musste nicht zwingend ein Gott sein.

Ich staune, was es in unserer Gegend alles zu sehen gibt. Im Rücken des Siebengebirges fällt das Gelände steil ab. Vielleicht inspiriert durch die opulenten Formen des Siebengebirges, haben die Menschen darüber nachgedacht und Darstellungsformen gefunden, wie sich der Mensch und die Welt zueinander verhalten. Der Denkansatz stammt aus dem Mittelalter, greift aber auf die Antike zurück.

Es ist ein Tonfliesenmosaik aus dem 13. Jahrhundert in der Kirche St. Pankratius in Königswinter-Oberpleis, das 1974 bei Renovierungsarbeiten 80 Zentimeter unter dem Fußboden entdeckt wurde, als dieser aufgestemmt wurde. Rund ein Drittel der weiß-grau-blauen Fliesen wurde von 1210 bis 1230 verlegt, sie fügen sich zu einer Darstellung des Kosmos zusammen, die übrigen zwei Drittel ergänzten die Archäologen, fußend auf Weltbildern, die die Menschen seit der Antike entwickelt haben.

Krypta, Marienalter, romanischer Taufstein, Jesus am Kreuz, das Tonfliesenmosaik will als Darstellung des Kosmos in der Kirche St. Pankratius in Oberpleis nicht so Recht in die übrige religiöse Innenausstattung hinein passen.

Tonfliesenmosaik Oberpleis
Solange es die Menschheit gibt, haben sich Denker über Ordnung, Struktur, Geometrie und Ursprung der Welt den Kopf zerbrochen. Schon die Ägypter zeichneten Mond, Sterne und andere Planeten als astronomischen Raum um die Erde herum. Im 4. Jahrhundert vor Christus entwarf Aristoteles ein Weltbild, das bereits dem Tonfliesenboden in Oberpleis in den Grundstrukturen ähnlich war. Die Erde stand im Zentrum, und sie umgab ein konzentrischer Ring von 12 Kreisen. Die ersten vier Kreise waren die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, die übrigen acht Kreise waren für Sonne plus die damals bekannten 7 Planeten vorgesehen.

In Oberpleis können die 12 Kreise aus der Religiösität des Hochmittelalters gedeutet werden. Gott ist der Ursprung allen Seins, symbolisiert durch die Sonne als Zentrum der 12 Kreise. Um den Ursprung herum, unterschieden sich Kreise mit dreieckigen Fliesen, die 7 Kreise ergeben, und Kreise mit viereckigen Fliesen, die 4 Kreise ergeben. Die Zahl 12 kann die 12 Monate oder 12 Tierkreiszeichen darstellen, die Zahl 7 die 7 Tage der Schöpfung oder die 7 Planeten, die Zahl 4 die 4 Wochen oder 4 Jahreszeiten oder auch die 4 Elemente des Aristoteles.

Das Tonfliesenmosaik in Oberpleis unterscheidet sich von den Darstellungen des Kosmos in der Antike, da es in den vier Ecken um weitere, kleine Kreise ergänzt wurde. Diese kleinen Kreise verknüpfen mit ihren Aufschriften und Symbolen vier Himmelsrichtungen mit vier Jahreszeiten und vier menschlichen Charaktereigenschaften:

Nordosten = Frühling = Sanguiniker
Nordwesten = Winter = Phlegmatiker
Südwesten = Herbst = Melancholiker
Südosten = Sommer = Choleriker

Kosmos-Darstellung Isidor von Sevilla
Die Spuren dieser kleinen Kreise, die den antiken Darstellungen noch nicht hinzugefügt worden sind, führen nach Spanien. Das Wissen von Ägyptern, Griechen und Römern hatte sich im Mittelmeerraum gesammelt. Durch den Untergang des west-römischen Reiches, durch die Völkerwanderung und den Einfall von Hunnen, Wandalen, Normannen und Wikingern drohte dieses Wissen verloren zu gehen. Gelehrte, Geistliche und später Klöster schrieben Schriften aus der Antike ab, um dieses Wissen zu erhalten.

Einer dieser Geistlichen war Isidor von Sevilla, der 636 in Sevilla starb. In seinen Schriften findet sich eine Darstellung des Kosmos, in der dieselben Grundeinheiten von mundus (Welt), annus (Jahr) und homo (Mensch) stehen. Dieselben Begriffe der Charaktereigenschaften „sanguina“, „phlegma“, „melancolia“ und „cholera“ finden sich sowohl bei Isidor von Sevilla, sondern auch in Oberpleis.

Wo kommen wir her ? Wo gehen wir hin ? Wer sind wir ? In Oberpleis habe ich erstaunliches dazu gelernt. Die Hügel werden schlapper, und das Hinterland des Siebengebirges habe ich bislang wenig beachtet. Im schützenden Tal der Pleis bin ich den letzten Dingen auf den Grund gegangen.

Mittwoch, 5. März 2014

der Ölberg und die Rechtschreibung

Ölberg über dem Rhein
Lang, lang ist’s her, dass ich zu Fuß den Ölberg erwandert habe. Es ist unstrittig: die Mühe lohnt sich, die Aussicht aus 460 Metern Höhe ist fulminant. Anders als beim Drachenfels oder beim Petersberg, sind vom höchsten Berg des Siebengebirges dem 360-Grad-Rundumblick keine Grenzen gesetzt. In aller Freiheit kann der Blick in die Ferne vordringen, bis nach Köln, in den Westerwald hinein, bis in die Eifel, das lässige Band des Rheins verliert sich irgendwo zwischen Remagen und Bad Breisig, am Fuße schart sich das Häusermeer von Bonn zusammen.  Der Ausblick berauscht. Das Erlebnis sitzt tief, die Landschaft aus einer höheren Perspektive von ganz oben wahrzunehmen.

Aus meiner Perspektive von unten, auf dem Rennrad, nähere ich mich der Symbolik des Ölbergs. Oben auf der Margarethenhöhe angekommen, besinne ich mich. Innere Einkehr, Ruhe, Meditation lassen sich erwandern, denn das Netz von Wanderwegen ist dicht, verzweigt sich in alle Richtungen, auch auf den Ölberg hinauf. Doch wenn ich auf die Beschilderungen schaue, stutze ich. Grammatikalische Feinheiten verwirren mich, denn meistens wird der „Ölberg“ mit „Oe“ geschrieben, also „Oelberg“.

Hinweisschild zum Berggasthaus auf dem Oelberg
Am Margarethenkreuz lerne ich, dass die christlichen Pilgerwege einen weiten Bogen um den Ölberg geschlagen haben. Der Bittweg mit dem Margarethenkreuz verlief wo anders, nicht hinauf zum Ölberg, sondern zum Rhein hin, zur mittelalterlichen Wallfahrtskapelle auf dem Petersberg.

Also alles pfusch. Die Schreibweise, ob Ölberg mit „Oe“ oder „Ö“ geschrieben wird, hat in der Entstehungsgeschichte nichts mehr mit dem Berg aus der Bibel zu tun, wo Jesus Christus seine Jünger vor dem Letzten Abendmahl versammelt hatte und von wo aus er in den Himmel aufgefahren war.

Erstmals erwähnt wurde dieser von Geheimnissen umgebene Berg in einem Verpfändungsprotokoll von 1407, in dem es hieß: "an dem Maelberg geleygen". Dabei verstand man „Mael“ als Grenzmarkierungen zwischen den Gebieten der Kölner Kurfürsten, den Herzögen von Berg und der Siegburger Abtei. In späteren Urkunden wurde aus „Mael“ „Mohl“ und aus einem „Maelberg“ ein „Mohlberg“.

Der Ölberg, eine einzige Wortblase ? Mit Worten kann man spielen, man kann sie anders aussprechen, Silben unterschiedlich betonen, Buchstaben weglassen oder hinzufügen. Die Grammatik und das „M“ brachten die entscheidende Wendung. „Mohlberg“ stand des öfteren hinter Präpositionen wie „am“ oder „beim“ oder „aufm“. Die „M“‘s hoben sich gegenseitig auf. „Am Mohlberg“ schrumpfte dann auf „Am Ohlberg“ zusammen. Das war im 17. Jahrhundert, als die Bezeichnungen „Ohleberg“, „Oellberg“ oder „Oelberch“ dem heutigen Wort „Ölberg“ schon ganz nahe kamen.

Ölberg mit Eisenskulptur vor der Autobahnauffahrt Siebengebirge
Und siehe da: die Zisterziensermönche aus dem drei Kilometer entfernten Kloster Heisterbach entdeckten den Heiligen Berg für sich, jedenfalls belegen dies Grenzsteine mit den Insignien „HB“ für Heisterbach und dem Krummstab. In einer Vision sollen die Mönche über der Bergwelt des Siebengebirges einen leuchtenden Kreis mit sieben Sonnen gesehen haben.

Auf der Margarethenhöhe holt mich die Rechtschreibung wieder ein. Auf dem Hinweisschild unter dem schützenden Schieferdach lese ich „Berggasthaus auf dem Oelberg“. Wieder mit „Oe“ geschrieben, verblüfft die Schreibweise mit ihrer Hartnäckigkeit. Erst Ende des 18. Jahrhundert wird das „Ö“ anstatt „Oe“ verwendet. Ich greife auf die Wortentstehung im 17. Jahrhundert zurück. Vor dieser Zeit war das „o“ in „Mohlberg“ offen und gedehnt. Das „e“ in „Oellberg“ oder „Oelberch“ muss ein sogenanntes Dehnungs-e und kein „o“ mit zwei Pünktchen gewesen sein, um den Vokal zu verlängern.

Egal, ich lasse mich nicht verwirren. Ich schreibe ein „Ö“ und spreche den Berg „Ölberg“ aus. Der Ölberg ist nicht daher gepfuscht, sondern der markanteste Punkt auf meinen Rennradtouren. Selbst in größten Entfernungen, auf der Deutzer Brücke in Köln, vor Eitorf im Westerwald oder von der Grafschaft aus, behauptet er, wie ein Denkmal in der Landschaft, seine Stellung.

Unweigerlich schrauben sich seine 460 Meter in die Höhe. Ich kenne keine Marke, die so treffend, so prägnant und so sicher wiederzuerkennen ist. Egal, ob mit „Ö“ oder„Oe“geschrieben. 


Ölberg von Hennef-Rott aus